Schriesheim im Bild 2023

23.08.2005

„Wir können den Verwaltungshaushalt nicht auf Dauer über Kredite finanzieren. Das wäre der Anfang vom Ende“

RNZ-Sommerinterview: CDU-Fraktionssprecher Siegfried Schlüter sieht nur wenig Gestaltungsspielraum im Haushalt 2006 – „Nichts überstürzen“ in Sachen Jugendsozialarbeiter

Von Carsten Blaue

Schriesheim. Siegfried Schlüter ist CDU-Fraktionssprecher im Gemeinderat und erster Stellvertreter von Bürgermeister Peter Riehl. Im RNZ-Sommerinterview äußert er sich optimistisch in Bezug auf den Branichtunnel und kritisiert die Öko-Vorgaben der europäischen FFH-Richtlinien in ihren möglichen Auswirkungen auf die Rebflurbereinigung. Für den Haushalt 2006 sieht er wenig Anzeichen der Besserung und hält Zuschusskürzungen bei VHS und Musikschule für möglich – da die Nutzer-Beiträge moderat erhöht werden könnten. Zu Beginn bewertet Schlüter die Bürgermeister-Kandidatur des Wieslocher Baubürgermeisters Erwin Leuthe (SPD).
Herr Schlüter, was sagen Sie denn zur Kandidatur des Sozialdemokraten Erwin Leuthe für die Bürgermeister-Wahl in Schriesheim?

Ich stehe dieser Bewerbung grundsätzlich positiv gegenüber. Es ist gut, wenn der Bürger unter mehreren Kandidaten auswählen kann. Ich habe bei Ihnen ja etwas über seinen Werdegang gelesen. Und danach muss man sagen, dass er ein ernst zu nehmender Kandidat ist.
Warum hat die CDU eigentlich so früh auf die Tube gedrückt in Sachen Bürgermeister-Kandidat?

Viele sagen, dass das zu früh war. Aber wir wollten mit den Freien Wählern schnell einen gemeinsamen Kandidaten haben. Und mit Peter Rosenberger bot sich ein ausgezeichneter Bewerber an. Die frühe Festlegung war auch ein Zeichen für andere Interessenten, dass sie sich bei uns nicht mehr vorstellen müssen. So war die Diskussion über den Kandidaten schnell vom Tisch. Ich glaube, dass Rosenberger die besten Chancen hat. Er hat die fachliche Kompetenz und kann auf die Leute zugehen.
Regierungspräsident Kühner hat Ihnen bei seinem Antrittsbesuch in Schriesheim ja nicht gerade Hoffnung gemacht, dass aus dem Branichtunnel schnell etwas wird.

Ich bin dennoch optimistisch. Bürgermeister Riehl hat die Weichen auch durch seine Gespräche in Stuttgart gut gestellt. Ein weiteres Gespräch mit den Fachministern und dem Ministerpräsidenten wird noch in seiner Amtszeit folgen. Für den Landeshaushalt 2006/07 ist das Projekt nicht realistisch. Aber für 2008 sehe ich eine gute Chance. Ich glaube an die ernsthaften Bemühungen des Landes, den Tunnel zu realisieren. In Baden-Württemberg ist schließlich noch nie ein Planfeststellungsbeschluss verfallen. Aber da wird auch der neue Bürgermeister am Ball bleiben müssen. Außerdem haben wir mit Georg Wacker einen Landtagsabgeordneten, der in Stuttgart seinen Einfluss geltend macht. Wir kämpfen seit Jahrzehnten für den Branichtunnel und waren noch nie so weit wie jetzt. Das muss jetzt etwas werden. Ansonsten hätte man auch Planungskosten in Millionenhöhe einfach verpulvert.
Wie bewerten Sie die Aussagen des Amtes für Flurneuordnung, die zwei Grundstücksbesitzer Dieter Thoni und Karl-Heinz Grüber von der Rebflurbereinigung gegebenenfalls ausschließen zu können?

Da misch‘ ich mich nicht ein. Das sollen die Fachbehörden entscheiden. Aber nachvollziehen kann ich nicht, warum gleich jede Brachfläche ein Biotop sein muss. Es ist schon unglaublich, welche Vorgaben da durch diese europäische Richtlinie Flora Fauna Habitat gemacht werden. Da wird jede Fläche, auf der ein etwas dickeres Unkraut wächst, schnell zum Biotop. Man sollte diese Flächen teilweise lieber rekultivieren. Im Gegensatz zu anderen Äußerungen wurden die großen Ausgleichsflächen jedoch schon von Anfang an ausgewiesen. Wir freuen uns, dass die Gesamtkosten nun erheblich geringer geschätzt werden, als ursprünglich vermutet. Keine Frage: Auch die Stadt hat Vorteile durch die Rebflurbereinigung. Aber vor den Folgekosten darf man schon mal warnen.
Über die Attraktivität des Schulstandortes Schriesheim wird viel gesprochen. Er wird nicht schlecht geredet. Aber doch wird darauf hingewiesen, dass etwas getan werden muss, um den Standard zu halten. Wie schätzen Sie die Lage ein?

Schriesheim hat alle Voraussetzungen als Schulstadt. Wir sollten froh sein, dass das so ist und nicht daran herumkritteln. Insofern sollte auch in der Diskussion rund um die Strahlenberger Grundschule Ruhe einkehren. Es ist aber richtig, dass der Standard gehalten werden muss, und dafür müssen wir die Sanierung des Schulzentrums in den kommenden Jahren weiterführen. Das kostet sicherlich viel Kraft. Aber wir müssen das machen, wenn wir im Bildungsbereich attraktiv bleiben wollen. Ich denke, dass es darüber im Gemeinderat auch keinen Streit geben wird. Aber wir müssen anderes zurückstellen und können auch nichts Neues anfangen.
Zum Beispiel?

Zum Beispiel werden wir ein teueres Jugendhaus in den nächsten Jahren nicht bauen können. Auch werden auf die Stadt neue Aufgaben in der Betreuung der unter Dreijährigen zukommen. Da müssen einfach Zuweisungen vom Land kommen, sonst können wir das kaum schultern.
Aber auf dem Push-Gelände entsteht doch so etwas wie ein Jugendhaus.

Das ist die Frage, ob das ein Haus ist oder ob man da nicht etwas blauäugig rangeht. Es ist aller Ehren wert, was die Jugendlichen hier leisten. Aber man braucht mindestens 300000 Euro, wenn man hier etwas Anständiges machen will. Heizung, Böden, Toiletten, Leitungen: Wenn man bedenkt, was noch alles zu machen ist, dann ist die Zahl realistisch.
Und die Frage des Jugendsozialarbeiters?

Da müssen wir nichts überstürzen. Im Arbeitskreis erstellen wir Vorgaben, die Kathrin Michelmann gefehlt haben. Und wenn wir das Konzept fertig haben, müssen wir diese Personalie mit dem neuen Bürgermeister gemeinsam entscheiden. Es wäre ja nicht gerade ein unwichtiger Posten. Das Postillion-Modell will ich da gar nicht ausschließen. Es hat Charme, nicht mit dem Risiko leben zu müssen, dass man die falsche Frau oder den falschen Mann eingestellt hat. Von den Kosten her dürfte es etwa gleich sein. Außerdem hat der Postillion die Erfahrung mit solchen Angeboten. Vielleicht würden wir von Seiten der Stadt zu idealistisch handeln. Fest steht, dass sich die Jugendsozialarbeit auch um die Problemjugendlichen kümmern muss.
Sie sahen das Verkehrsgutachten stets kritisch. Sehen Sie sich nach der Vorlage der Ergebnisse und Verbesserungsvorschläge bestätigt?

In der Tat brachte das Gutachten keine wesentlich neuen Erkenntnisse. Es gibt eben keine Möglichkeiten, die neuralgischen Punkte Talstraße und B 3 zu entschärfen. Ein bisschen Ampelsteuerung und die zweite Zufahrt zum Gewerbegebiet sind ja schöne Vorschläge. Aber die ganz große Entspannung wird es nicht geben. Der Verkehr ist eben da. Die zweite Zufahrt von der B 3 ins Gewerbegebiet wäre die einzige Möglichkeit für ein wenig Entspannung. Und da würde es sich auch lohnen, nochmal nachzuhaken, aber die große Hoffnung habe ich da nicht. Wirklich anbieten würde sich auch die Westumgehung. Gerade nach dem Bau des Branichtunnels würde das Sinn machen. Der Verkehr nach Heidelberg würde dann nicht mehr durch die Stadt fließen.
Aber auch hier geht es doch wieder darum, wer es jemals bezahlen soll.

Richtig. Deswegen hat jetzt auch erstmal der Branichtunnel absolute Priorität. Auch über die Beruhigung der Talstraße können wir uns danach erst Gedanken machen.
Wie bewerten Sie die Entwicklung im Baugebiet „Nord“?

Es ist ein schönes Baugebiet und ein finanzieller Erfolg, der seinen Zweck erfüllt. Wir werden die Erlöse in zwei bis drei Jahren aufgezehrt haben, da sie in die Sanierung des Schulzentrums fließen. Darüber hinaus steigt die Einwohnerzahl, was auch die Pro-Kopf-Zuweisung steigen lässt.
Wie würden Sie die Nachfolge von Archivarin Ursula Abele regeln?

Frau Abele wird ihr Werk nicht ohne Einfluss übergeben wollen. Es liegt in ihrem und unserem Interesse, dass ihre Arbeit ordentlich weitergeführt wird. Ich bin überzeugt, dass wir wieder jemanden finden werden, der die Liebe zu Schriesheim und das historische Grundwissen mitbringt. Ich denke, dass wir mit einer Lösung im Rahmen eines Werkvertrages weitermachen müssen. Eine Vollzeitstelle ist nicht drin. Frau Abele hat auch deshalb so gute Arbeit geleistet, weil sie viel Idealismus mitgebracht hat.
Stichwort: Haushalt 2006. Wo sehen Sie Spielraum? Bleiben die Zuschüsse für die Vereine sicher?

Vereinsarbeit ist auch oft freie Jugendarbeit. Hier zu kürzen, wäre der falsche Weg. Überhaupt tut es weh, dort zu kürzen, wo ehrenamtliches Engagement eingebracht wird. Aber gerade in Bezug auf die Musikschule und die Volkshochschule glaube ich, dass die Beiträge der Nutzer moderat erhöht werden könnten. Dadurch würde sich der Zuschussbedarf senken. Aber wir müssen erstmal sehen, wie der Haushalt aussieht. Ich denke nicht, dass es 2006 viel besser wird. Wir haben den Abriss des Pavillons und die Gestaltung des Schulhofs für nächstes Jahr versprochen. Und es ist ein Stück politischer Kultur, sich daran auch zu halten. Sollte die Stadt diese Maßnahmen also nicht vorschlagen, werden wir von der CDU sie beantragen. Damit wäre der freie Finanzspielraum aber auch schon ausgeschöpft. Wir können den Verwaltungshaushalt nicht auf Dauer über Kredite finanzieren. Das wäre der Anfang vom Ende.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung