Schriesheim im Bild 2023

10.05.2003

Erinnerungen an grausame Zeiten

Die jüdischen Gäste besuchten die Schriesheimer Schulen - Lore Tobias und ihre zweite Klasse: "Meine schlimmste Zeit"

Von Julian Bott

Schriesheim. Die letzten beiden Tage waren für die jüdischen Gäste ein Wechselbad der Gefühle. "Ich bin so froh, dass wir gekommen sind. Die schlechten Erinnerungen aus meiner Kindheit kann ich jetzt durch die heutigen Erlebnisse ersetzen", sagte Lore Tobias zu Beginn ihres Besuchs gestern morgen im Kurpfalz-Schulzentrum am Donnerstagmorgen. Heute endet der offizielle Teil ihres Besuchs.

Im Kurpfalz-Gymnasium erzählte Lore Tobias den Schülern der Klasse 10b von ihrer Kindheit und der Schulzeit in Schriesheim. Die Schüler hatten sich im Rahmen des Geschichtsunterrichts, zusammen mit ihrem Lehrer Rainer Weber, intensiv mit dem Antisemitismus im Dritten Reich beschäftigt. Tobias freute sich sehr über das Interesse und das Engagement, das die Schüler zeigten. In ihren Erzählungen berichtete sie, dass ihre Kindheit in Schriesheim zunächst sehr schön war. Sie musste zwar im Kindergarten schon Nazilieder singen, doch sie begriff natürlich noch nicht die Texte dieser Lieder. Mit dem Antisemitismus wurde sie erst 1935 während ihrer Schulzeit richtig konfrontiert, als die Nürnberger Rassengesetze verabschiedet wurden. Die schlimmsten Erinnerungen hat sie an die zweite Klasse. "Mein damaliger Lehrer war ein Nazi. Er behandelte mich wie einen Untermenschen und er isolierte mich von den anderen Schülern, es war die Hölle." Doch die Erniedrigungen hörten nach dem Unterricht nicht auf. In den Pausen wurde sie von Mitschülern beschimpft, geschlagen und mit Steinen beworfen. Auf die Frage eines Schülers, ob sie heute noch Hass für die damaligen Mitschüler empfinde, antwortete sie: "Nein. Kinder sind leicht beeinflussbar. Unser Lehrer lebte ihnen den Antisemitismus ja vor."

Ihre restliche Schulzeit verbrachte Lore Tobias auf einer jüdische Schule in Heidelberg, bis sie 1938 mit ihrer Familie nach Amerika flüchtete.

Nach dieser außergewöhnlichen Geschichtsstunde war die Besuchergruppe bei Schulleiter Werner Rendel zu Gast, wo sich neben Lore Tobias auch die anderen beiden ehemaligen Schriesheimer Bürger Erwin Maier und Martin Wimpfheimer in das "Goldene Buch" der Schule eintrugen.

Die zweite Station an diesem Morgen war die Realschule. Direktor Hans-Jürgen Krieger machte in seiner Begrüßung auf die große Bedeutung des Besuchs aufmerksam. Durch solche Begegnungen erreiche man, dass die dunkle Vergangenheit Deutschlands nicht in Vergessenheit gerate, so Krieger.

Die Gäste besuchten dann, zusammen mit der Lehrerin Gabi Uhl, die Klasse 7b. Uhl nimmt mit ihrer Klasse an dem Projekt "Sich erinnern für Gegenwart und Zukunft" teil, das von der Shoah-Foundation und dem Cornelsen Verlag bundesweit an Schulen veranstaltet wird. Die Schüler, die sich auch an der Ausstellung im alten Rathaus beteiligen, hatten sich in den letzten zwei Wochen ausgiebig mit der Frage beschäftigt, wie es ist, wenn man aus seiner Heimat vertrieben wird. Gestern bekamen sie von Lore Tobias, deren Ehemann und Martin Wimpfheimer die Antwort. Interessiert und teilweise schockiert lauschten sie den Erzählungen.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung