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07.12.2006

Ein mulmiges Gefühl wird wohl bleiben

Schriesheim/Weinheim. Bergstraßen-Schulen reagierten ruhig auf Gefahr eines Amoklaufs
Von Kirsten Baumbusch

Matthias Nortmeyer vom Schriesheimer Kurpfalz-Gymnasium hatte am Dienstagabend Glück im Unglück. Er sah gegen 17 Uhr die E-Mail des Kultusministerium, die vor einem geplanten Amoklauf in Baden-Württemberg warnte. Deshalb konnte er frühzeitig sein Kollegen im Schulzentrum benachrichtigen und den Kontakt zur Polizei suchen. Am Morgen informierte der Direktor dann über die Rundsprechanlage die Schüler. Klar, gab es auch hier zahlreiche Anrufe besorgter Eltern. "Wir haben ihnen versichert, dass wir alles Menschenmögliche tun, um mit der Situation fertig zu werden", so Nortmeyer. Deshalb lief der Unterricht weitgehend normal. Auch wenn es allen ein bisschen mulmig war. Die Nikolausaktion der Schülermitverwaltung fiel gleichwohl dem Ganzen zum Opfer. "Dieser Tag wurde den Kindern gründlich verdorben", bedauert der Schulleiter.

Doch er blickt an diesem Tag noch weiter. "In Zukunft", so sagt er, müssten Eltern, Lehrer, Mitschüler, aber auch die ganze Gesellschaft bestrebt sein, sensibler als bisher Signale aufspüren von Jugendlichen, die so aus dem Ruder zu laufen drohen wie eben jene Amokschützen.

Ganz glücklich über die Abgelegenheit seines Sigmund-Gymnasiums auf dem Branich war gestern Dr. Wolfgang Metzger. Für ihn war es ein weitgehend normaler Schultag, wo alles seinen geregelten Gang ging, auch wenn von den 400 Schülern vier zuhause geblieben waren.

Normal war der Tag für Gernot Jungcurt, den Direktor der Weinheimer Dietrich-Bonhoeffer-Schule beileibe nicht: Ihn erwischte die Nachricht per Radio im Auto am frühen Morgen. In der Schule stand dann das Telefon nicht still. Bis zu drei Leute waren im Einsatz, um Eltern aufzuklären und zu beruhigen. Nicht verhindern konnte Jungcurt freilich, dass eine Fünftklässlerin – vor Schreck ganz aufgelöst – weinend wieder den Heimweg antrat, als sie den zum Schutz abgestellten Streifenwagen vor der Schule entdeckte.

Zur Sicherheit abgeriegelt wurden auch viele Außentüren des ausgedehnten Komplexes, so dass eigentlich nur noch die vier Eingangstüren an der Westseite blieben. Die wiederum konnten dann mit wenigen Personen ganz gut überwacht werden. Der Schulalltag, so Jungcurt, sei dann im Wesentlichen gelassen verlaufen. Er macht indes keinen Hehl daraus, dass er die Reaktion des Kultusministerium für nicht ganz angemessen hält und vergleicht das Vorgehen mit dem Absetzen der Mozart-Oper "Idomeneo" in Berlin. Klare Kritik gibt es auch in Hinblick auf das Krisenmanagement.

Jungcurt, der früher bei der Bundeswehr tätig war, hat dort gelernt, "dass ich bei Krisen erst einmal den Stab informiere, mit dem ich die Krise meistern muss". Die breite Öffentlichkeitswirkung hält er nicht gerade für förderlich. Auch die Schulleiter per E-Mail zu informieren, war seiner Ansicht nach nicht der richtige Weg. Er selbst hätte es besser gefunden, wenn über das Innenministerium und die Polizeiposten die Schulleiter schon am Abend zuvor einen Anruf erhalten hätten.

Auch der Chef des Werner Heisenberg-Gymnasiums, Gerald Kiefer, fuhr der Schreck erst auf der morgendlichen Autofahrt in die Glieder. Er moniert, dass das Kultusministerium zwar gewarnt habe, aber den Schulen keine Hinweise an die Hand gab, wie sie sich denn verhalten sollten. Für ihn war die Lage besonders knifflig, weil schon am Morgen sein Gymnasium von etlichen Medienvertretern belagert wurde. Ist es doch nicht einmal zwei Wochen her, dass aus seiner Schule ein 15-Jähriger festgenommen wurde, weil er einen Mitschüler gefragt hatte, ob er sich vorstellen könne, bei einem Amoklauf mitzumachen. Gestern Nachmittag dann: Allenthalben Aufatmen. Auch wenn ein mulmiges Gefühl bleiben wird. ...mehr im RNZ E-Paper

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung