Schriesheim im Bild 2023

17.01.2007

Gebetbuch hatte oft die Funktion eines Familienstammbuchs

(sk) Dr. Uri Kaufmann hat sich in seinem Beitrag für das Schriesheimer Jahrbuch 2006 mit den liturgischen Gegenständen beschäftigt, die Herbert Marx der Stadt vermacht hat (wir haben berichtet). Kaufmann erklärt nicht nur Begriffe, die mit der jüdischen Liturgie zusammenhängen, sondern schildert auch Bedeutung von Gebetbuch, -schal und Gebetsriemen.

Die Situation der jüdischen Gemeinden war geprägt durch die Emanzipation nach 1862, in der sich die Juden zahlreiche Rechte erkämpft hatten und die eine berufliche Neuorientierung hin zu Handwerk und Landwirtschaft brachte.

Zentren jüdischen Lebens in der Region waren die großen Städte wie Mannheim oder Heidelberg; in Schriesheim schrumpfte dagegen die Zahl der Gemeindemitglieder von 132 im Jahr 1865 auf 38 im Jahr 1933. Viele Juden wanderten in die Städte ab, und damit einher ging eine Verweltlichung und Aufweichung der strengen Gebote. Die jüdische Lehre zerfiel in drei Gruppen – eine liberale, eine orthodoxe und eine vermittelnde Position. Kaufmann beschreibt, wie sich diese Situation auf Schriesheim auswirkte.

Schriesheim war von der Ausrichtung eher eine kleine, konservative Gemeinde, die jedoch stets bangen musste, die erforderlichen zehn Männer für den morgendlichen Gottesdienst in der Synagoge zusammen zu bekommen. So wuchsen junge Männer wie Herbert Marx schon früh in religiöse Ämter hinein. Er besuchte jeden Morgen die Synagoge. Zu seiner Bar-Mizwa, dem Fest der Religionsmündigkeit, bekam er die Gegenstände geschenkt, die jetzt im Alten Rathaus ausgestellt sind: Gebetbuch, Gebetsschal und -riemen. Das Gebetbuch, das auf Hebräisch Siddur heißt (von seder, Ordnung), enthält religiöse Texte für verschiedene Anlässe. In seiner ausführlichen Erklärung zeigt Kaufmann die enge Verflechtung lokaler, familiärer und religiöser Traditionen, die gerade in diesem liturgischen Gegenstand ihren Niederschlag gefunden hat. Für die Familien war er deshalb so wichtig, weil er oftmals die Funktion eines Familienstammbuchs hatte.

Der Tallit oder Tales ist ein Gebetsschal, der zu Tora-Lesungen oder zu besonderen Anlässen getragen wird. Er geht zurück auf das Verhüllen des Moses angesichts des brennenden Dornbuschs, und so ist auch seine Gestaltung antiken Vorbildern nachempfunden. Je nach religiöser Ausrichtung ist er unterschiedlich ausgestattet. Nicht selten war es, dass er auch mit Torasprüchen bestickt war wie der von Herbert Marx. Kaufmann geht immer wieder auf die unterschiedlichen Auslegungen innerhalb des Judentums ein, die zu den verschiedenen Ausprägungen der Religionsausübung führten.

Tefilin ist der Name für die Gebetsriemen mit den Kapseln. Diese Kapseln enthalten Pergamentstreifen mit Zitaten aus der Tora, beispielsweise dem Glaubensbekenntnis. Eine der Kapseln wird auf der Stirn, die andere an der Hand getragen, und auch über die Anordnung der Riemen und die Art ihrer Benutzung gibt es verschiedene Bräuche. Für viele haben die Gebetsriemen dieselbe Funktion wie ein Amulett; man verbindet eine Schutzfunktion mit dem Anlegen der Riemen.

Interessant ist der Hinweis, dass diese Gegenstände für die ersten Christen selbstverständlich zur Religion dazugehörten: Auch wenn die Heidenchristen nicht zur Ausübung dieser Gebote verpflichtet waren, hielten sich nicht wenige der Judenchristen noch daran.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung