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08.02.2007

An den Grenzen des Geschmacks

Von Leo Paul

Puligy was? "Ja", schwärmen Susanne Schneider und Sabine Mosbacher wie aus einem Mund, "ein absoluter Spitzenwein, das gehört zum Besten, was man an Chardonnay bekommen kann, weltweit." Aha. Wenigstens die beiden sind sich einig. Immerhin sind die zwei Frauen ausgebildete Weinakademikerinnen und damit absolute Expertinnen in der Verkostung und Beurteilung von Weinen. Dass Susanne Schneider die Service-Chefin des Sterne-Restaurants "Strahlenberger Hof" und Sabine Mosbacher eine der führenden Pfalz-Winzerinnen ist, macht das blonde Dream-Team nur noch unantastbarer.

Vom Puligy Montrachet aus der Domaine Leflaive im Burgund haben sie sich jedenfalls nicht so locker veräppeln lassen wie ihre rund 40 Schüler im Saal der Schneiderschen Weinwirtschaft "Zum Goldenen Hirsch". Diese haben nämlich erst einmal die Nase gerümpft über den 2004er Chardonnay.

"Fehlerhaft", hat sich ein Mann auf seinen Block notiert. "Der ist drüber hinaus", ruft eine Frau verächtlich aus. Falsch. "Der hat seine große Zeit erst noch vor sich", schmunzelt Sabine Mosbacher. Und Susanne Schneider erntet mitleidige Blicke und verständnisloses Haareraufen, als sie gesteht: "Der gehört zu meinen absoluten Lieblingen."

"So viel Mineralität und Holz in einem Glas", schwärmt die Winzerin, "das trifft man sonst ganz selten." Frustriert beißt das Publikum in eine Brotrinde. Puligy was? "Puligy Montrachet", beten die Lehrmeisterinnen wieder. Der Tropfen kostet – falls man ihn bekommt – 49 Euro im Einkauf. Der Edel-Chardonnay werde noch viel zarter und filigraner, wenn er noch ein paar Jährchen lagert, sagen die beiden Damen. Der streitbare Franzose aus der verdeckten Flasche verblüffte das Publikum am Sonntagmittag mit Schalk im Nacken. "Scheitern wie die Profis", so hatte Gastgeberin Susanne Schneider scherzhaft ihren Crashkurs in Blindverkostung genannt. "Auch wir täuschen uns immer noch und immer wieder, wenn wir nicht wissen, was in der Flasche ist", gibt sie grinsend zu.

Die Rezeptur eines besonderen Näschens und eines exzellenten Gaumens schildert Sabine Mosbacher eingangs des geheimnisvollen Süffelns so: "50 Prozent Erfahrung, 40 Prozent Gedächtnis, fünf Prozent Talent und fünf Prozent Intuition." Vorbedingung beim Blindverkosten: Keine Vorurteile, keine persönlichen Vorlieben, diszipliniertes Vorgehen nach dem Ausschlussprinzip. Also.

Die erste Runde ist noch ziemlich leicht. Drei Weißweine, drei verschiedene Reben. Einer deutlich aromatisch, reichlich Alkohol, Restsüße. Einer mit Pfirsichnoten aber kräftiger Säure – ein Riesling. Das war nicht zu schwer. Der Aromatropfen drängt sich als Gewürztraminer aus dem Elsass auf, der nächste – eher neutral in der Nase, elegant und trocken-spritzig – als Grauburgunder vom Kaiserstuhl. Auch die ersten Roten eignen sich zum lockeren Eintrinken, Gaumen- und Gehirnübungen auf einmal. Drei Spätburgunder, leicht bräunliche Töne in der roten Farbe, pinottypisch hell, auf der Zunge leicht animalisch, eher Pflaumen und Johannisbeeraromen – keine Kirschen. Das geht ja alles noch.

Sabine Mosbacher definiert zwischendurch, was Qualität eines Weines ausmacht – wohlweislich egal, ob er einem jetzt schmeckt oder nicht: Finesse und Eleganz, Balance und Harmonie, Komplexität und Stimmung, Typizität und Charakter. Glaubwürdig müsse der Wein sein. "Die Aromen, die ich in der Nase habe, muss ich später mit dem Gaumen wieder finden." Der Rest ist – wie gesagt – 50 Prozent Erfahrung und so weiter.

Man kann zum Beispiel wissen, dass die Erzeugerländer der neuen Welt, also zum Beispiel USA, Südafrika, Australien, Weine mit dem Dampfhammer herstellen. Alles im Übermaß: Aromen, Alkohol. "Bomben", sinniert Susanne Schneider.

Die europäischen Pendants sind allesamt dezenter. Ein Cabernet Sauvignon hat gerne Eukalyptus-Töne in der Nase, ohne dass man ihn für ein Hustenbonbon halten würde, ein Sangiovese kann einen markanten Stallgeruch haben. Das alles hilft einem weiter. Und eben Erfahrung.

Jedenfalls: Wer einmal einen Puligy Montrachet aus dem Burgund gekostet hat, der muss nicht gleich in Beifallsstürme ausbrechen, bei der nächsten Chardonnay-Blindverkostung hat er aber deutliche Vorteile.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung