Schriesheim im Bild 2023

12.04.2007

„Diese Reise war eine Erfahrung, die ich nicht missen möchte"

„Diese Reise war eine Erfahrung, die ich nicht missen möchte"

Von Carsten Blaue

"Es war ergreifend. Diese Reise war eine Erfahrung, die ich nicht missen möchte": Bürgermeister Hansjörg Höfer war vom 2. bis 9. April mit seiner Familie in New York. Hier trafen die Höfers vier ehemalige Schriesheimer Mitbürger jüdischen Glaubens, die 1938 aus ihrer Heimat in die USA flohen: den 88 Jahre alten Herbert Marx, Lore Tobias (Jahrgang 1929), Martin Wimpfheimer (Jahrgang 1932) und Erwin Maier (Jahrgang 1924).

Außer Marx, der seinerzeit aus Altersgründen auf die Reise verzichtete, besuchten sie im Mai des Jahres 2003 ihre alte Heimat an der Bergstraße, und zwar auf Einladung der Stadt Schriesheim. Höfer hatte den Aufenthalt damals noch als Stadtrat in die Wege geleitet. Herbert Marx trat die Reise zwar nicht an, lud Höfer aber ein, ihn doch mal in New York zu besuchen. Das tat er jetzt – als Bürgermeister. Die Familie Höfer traf in der Metropole an East und Hudson River auch René Herrmann wieder sowie Lore Tobias’ Mann Sigmund, genannt Sig, und Ruth Wimpfheimer, die Gattin von Martin Wimpfheimer, die beim Schriesheim-Besuch vor knapp vier Jahren ebenfalls dabei waren. Herrmann hatte damals Erwin Maier begleitet.

Als Geschenk hatte sich Höfer einen Bildband mit aktuellen Schriesheimer Fotos ausgedacht. In jedes Buch schrieb er eine persönliche Widmung mit den Worten: "Ein Gruß aus Schriesheim, Deiner ersten Heimat. Überreicht von Bürgermeister Hansjörg Höfer anlässlich seines Besuchs. Hansjörg Höfer, Bürgermeister. New York, im April 2007".

Natürlich kam auch das Sightseeing nicht zu kurz. Aber Anlass und Mittelpunkt der Reise waren ganz klar die Begegnungen mit den ehemaligen jüdischen Mitbürgern: "Alle haben sich dafür bedankt, dass der Bürgermeister mit der ganzen Familie gekommen ist. Das war ein Symbol", so Höfer in seinem Resümee.

Montags flogen die Höfers von Frankfurt aus mit Singapore Airlines nach New York. Vom Flughafen "JFK" ging es mit dem Shuttlebus zum Hotel "Crown Plaza". Wegen des jüdischen Pessachfestes war das Treffen mit Lore und Sig Tobias erst am Mittwoch möglich. Die ehemalige Lehrerin und der emeritierte Psychologieprofessor wohnen drei Stunden außerhalb, in New Jersey. "Es schüttete an diesem Tag", berichtete Höfer, "also gingen wir erst ins Naturkundemuseum. In China Town sind wir dann essen gegangen. Auch für Lore war es ein toller Tag." Man unterhielt sich auf Deutsch. Zuhause würden Lore und Sig Tobias aber Englisch sprechen, so Höfer.

Martin und Ruth Wimpfheimer sowie Erwin Maier, René Herrmann und deren Partnerinnen trafen die Höfers am Gründonnerstag. Beim Essen in einem jüdischen Restaurant fanden Maier und Höfers Söhne Jan und Tim schnell ein Gesprächsthema: Fußball. Maier, der heute in New Jersey lebt, begann seine Spielerkarriere in Schriesheim beim SV und setzte sie in den USA fort, wo er gemeinsam mit seinem Bruder Hans im Jahre 1942 "Soccer Champion" wurde. Noch heute beobachte Erwin Maier das Geschehen in der Bundesliga, so Höfer.

Man sprach aber zum Beispiel auch darüber, wie das damals war, als Kind nach Amerika zu kommen. Und das ohne Sprachkenntnisse. Auch die Lage in Israel wurde erörtert. Kurzweilig seien die Stunden gewesen – und das auch im Café des Hotels Hilton hoch über der Stadt. "Wir saßen hier, bis es dunkel wurde. Wir haben viel gelacht. Ich glaube, wir haben teilweise den ganzen Laden unterhalten", erzählte der Bürgermeister.

Samstags stieg er mit seiner Frau Birgit und den Söhnen in den Zug und fuhr auf die Insel Long Island, die sich von den Häfen New Yorks in den Atlantik erstreckt. Sie ist knapp 200 Kilometer lang und zwischen 20 und 30 Kilometer breit. Hier lebt Herbert Marx heute mit seiner Frau Irmgard im ehemaligen Wochenendhaus der Familie.

"Irmgard stammt ursprünglich aus der Nähe von Frankfurt und hat noch einen hessischen Akzent. Und Herbert hat auch noch einen Schriesheimer Slang", sagte Höfer. Herbert Marx sei sehr interessiert an den politischen Entwicklungen in Deutschland und schaue auch deutsche Nachrichten.

Maier, Herrmann und Marx waren im Zweiten Weltkrieg Soldaten der US-Army. Nach dem Krieg kehrte Erwin Maier als amerikanischer Soldat nach Deutschland zurück und war bei Frankfurt stationiert. "Und samstags hat er in Schriesheim Fußball gespielt", so Höfer.

Er hat in New York den Eindruck gewonnen, dass sich für die ehemaligen Schriesheimer jüdischen Glaubens durch seinen Besuch ein Kreis geschlossen habe zwischen der Kindheit und dem Alter. Sie alle hätten in den USA ein neues Leben und ihre neue, ihre zweite Heimat gefunden und seien Amerikaner. Schließlich verbrachten sie hier den weitaus größten Teil ihres Lebens. "Sie hegen keinen Groll gegen Schriesheim und haben endgültig Frieden geschlossen mit ihrer Heimatstadt. Sie haben mich gebeten, alle Schriesheimer zu grüßen", sagte Höfer. Die Geschichte sei nicht abgeschlossen und dürfe nicht vergessen werden. Aber die Gräuel seien in einer anderen Zeit geschehen, durch eine andere Generation. Die Neugestaltung der Schriesheimer Kriegsopfergedenkstätte mit den Namenstafeln sei bei ihnen gut angekommen. "Vor allem, dass die Bronzetafeln mitten in der Stadt aufgestellt wurden, fanden sie toll." Schließlich hätten die Schriesheimer Juden im Stadtkern gelebt, aus dessen Gemeinschaft sie 1938 herausgerissen worden seien, erinnerte Höfer, der zu den ehemaligen, jüdischen Mitbürgern auch weiterhin regelmäßigen Kontakt halten will. Auch das Schriesheimer Jahrbuch erhalten sie jedes Jahr.

Ob es zu weiteren Begegnungen mit ihnen in Schriesheim komme, sei auch eine Frage der Gesundheit. Schließlich kann die Flugreise von den USA nach Deutschland durchaus strapaziös sein. Für Höfer stand aber auf jeden Fall fest: "Es ist ein gutes Gefühl, sie alle noch einmal gesehen zu haben."

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung