Schriesheim im Bild 2023

03.06.2003

Noch ein letztes Glas am Stammtisch

Gäste der Weinstube nehmen traurig Abschied - Georg und Käthe Hauser fanden keinen Nachfolger für eine Schriesheimer "Institution"
Schriesheim. Ein schlichter länglich-ovaler Holztisch. Darüber eine Lampe mit Wurzelstock, im Regal an der Wand alte Küferwerkzeuge aus Holz und Eisen. Der Schriesemer Woi wird im Römer mit grünem Stiel serviert. Ein Stück Heimat. An einem Platz zum Verweilen wie diesem vermag man nicht annähernd zu schätzen, wie viel schallendes Gelächter die Wände hier schon erlebt haben, wie viele Geschichten hier über den Tisch hinweg erzählt wurden, wie viele deutliche Worte der Herr Bürgermeister sich am Stammtisch beim "Schorsch" schon hat anhören müssen. Am Samstagabend will aber zunächst nicht die gewohnte Stimmung aufkommen. Es ist schließlich der letzte Samstags-Stammtisch. Der Hauser macht zu.

"Der Hauser macht zu." Leise, fast ängstlich und ungläubig spricht man es aus in der Oberstadt, von wo der Schorsch herkommt. Dann wird es zur Gewissheit. Die alte Weinstubb, 1966 erbaut und seither mit Erfolg und Herzblut betrieben vom Schorsch und seiner Käthe, findet keinen Pächter. Und die beiden Eheleute selbst wollen und können nicht mehr, das Alter macht ihnen zu schaffen. "Aber wie soll es denn dann weitergehen", fragt man sich am Stammtisch.

Alle sind sie doch immer wieder mal beim Schorsch eingekehrt. An jedem Tag der Woche ein anderer Stammtisch. Die werden jetzt wurzellos. "Das löst sich auf", meint einer vom Donnerstags-Stammtisch, der am Samstagabend nur dabeisitzt, weil es der letzte Tag der Weinstube ist.

Ja, am Sonntag früh wollten sie zwar noch mal zusammenkommen, zwischen 10 und 12 Uhr. Vielleicht kommt sogar der Schmidte Karl mit seinen bald achtzig Lenzen noch mal vorbei und juckelt aus seiner Quetschkommod noch mal ein paar Lieder raus. Aber da würde der Abschied dann noch ein bisschen näher sein.

Zehn ältere Herrschaften sitzen am Samstagabend um den Tisch und sie bringen gemeinsam locker 700 Lebensjährchen Schriese zusammen. Bürgermeister Peter Riehl kann in dieser Runde glatt als Benjamin durchgehen. Und trotzdem: "Ich kenn' den Hauser schon ewig. Lange bevor er die Weinstubb hatte, haben wir drüben im Zelt auf dem Schulhof zusammen Theater gespielt", erinnert er sich. Der alte Schuldirektor hatte die Stücke geschrieben. Eine echte Gaudi.

Dann, als die Weinstube direkt schräg gegenüber dem Rathaus stand, hatte der Bürgermeister sein Theater erst im Gemeinderat, danach am Stammtisch beim Hauser bei einem Schoppen Weißherbst. Mäßig, aber regelmäßig. Aber immer erst, wenn die "Ärwet gschafft war".

Die Gretel, die Lieselotte, die Marianne, der Heiner. Alle kommen sie doch "schun immer" hierher. Jetzt muss man halt schauen, ob's mit der Linde was wird. Aber die haben ja samstags Ruhetag. Beim Hauser war's immer voll, einfach gemütlich. Und umziehen in eine andere Gastwirtschaft will man eigentlich gar nicht. Ein kurzer, nachdenklicher Blick ins Leere. Dann ein Stoßseufzer: "Ach Gretel, so wird's nimmer".

Am Samstagabend haben die beiden Wirtsleute noch weniger Zeit als sonst. Alle naslang kommt einer mit Blumen zum Abschied vorbei. Vom Samstags-Stammtisch gibt's ein Kuvert. "Die solle jetzt emol herkomme." Man macht keine großen Worte. Ein Geschenk-Gutschein für ein gemeinsames Essen wird überreicht. Wo? In der Linde. Wo sonst? Man freut sich. Man ist wehmütig.

Die Käthe Hauser ist aber auch froh, dass es vorbei ist. "Wir müssen jetzt erst mal durchschnaufen", meint sie. Es geht einfach nicht mehr. Beim Hauser-Schorsch ist es mehr als Wehmut. Da tut es ein bisschen weh. "Ich spie' ja noch im Posaunenchor", beruhigt er sich selbst. "Außerdem sing' ich gern. Vielleicht geh' ich in einen Gesangverein. Aber da gibt's drei am Ort. Und ich weiß net in welchen ich soll."

Georg Hauser wurde 1934 in der Oberstadt geboren. Am 18. Juni hat er Geburtstag. Sein Küferhandwerk hat er beim Vater gelernt, den Meisterbrief 1954 gemacht. 1962 hat er seine Käthe geheiratet und 1966 dann die Weinstube gebaut. Die Mathaisemarkt-Prominenz war dann regelmäßig hier zu Gast. Helmut Kohl, Joschka Fischer, der Späth, Teufel und Franz Josef Strauß. Der sogar drei Mal. Aber immer im kleinen Nebenzimmer waren die. An den Stammtisch kam von denen keiner. Bilder gibt's davon. Erinnerungen, Anekdoten. Und jetzt soll alles vorbei sein? Noch nicht ganz, meint Käthe Hauser. Eine kleine Hoffnung existiert noch. Einen Interessenten für die Übernahme. "Aber der muss halt noch Ja sagen", erklärt sie.

Schließlich gibt's noch für jeden einen Eisbecher gratis. "Die Kühltruhe muss leer werden. Das kennt Ihr doch schon. Wie vorm Urlaub auch", so Käthe Hauser. Es ist Erdbeer und Vanille mit Kiwistückchen. Aber es schmeckt nach Abschied.

Von Harald Berlinghof

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung