Schriesheim im Bild 2023

30.07.2003

Der Kindergarten wird zur 'kleinen Schule'

Schriesheim. (dan/ron) Die Schriesheimer Kindergärten arbeiten an ihrer Qualität. Zusätzliche Schulungen und eine Änderung bei der Erzieherinnen-Ausbildung kosten die Stadt künftig 50 000 Euro mehr im Jahr.

Mit großen, strahlenden Augen beobachteten die Kinder ihre Erzieherin. "Ein Schwein trank..." - "Wein!", riefen die Jungen und Mädchen im Chor und lachten laut über den lustigen Satz. Dieser ist Teil der Sprachübung "Reimen", die in der Gruppe besonders beliebt war. Seit Februar wurde in den Schriesheimer Kindergärten das Projekt "Hören-Lauschen-Lernen" erprobt, das den Vorschulkindern einen bewussteren und intensiveren Umgang mit Sprache vermitteln und sie somit auf die Schule vorbereiten soll.

An zwei Nachmittagen wurden die Erzieherinnen in Heddesheim von Diplom-Psychologe Roland Laier informiert und geschult, um das "Würzburger Trainingsprogramm" zu erlernen. Dieses Programm beinhaltet einen strikten 20-wöchigen Plan, der bis zu den Sommerferien andauerte und für jeden Tag ein zehnminütiges Training in Kleingruppen vorsah.

Dort sollten die Kinder spielerisch das Trennen von Silben, zusammengesetzte Wörter, und vieles mehr durch häufiges Wiederholen erlernen. "Die Anforderungen an die Kindergärten werden höher", weiß Schriesheims Hauptamtschef Edwin Schmitt, der für die Organisation der Kindergärten zuständig ist. Das "Würzburger Modell" gehört dazu. Schmitt: "Die Kindergärten gehen immer mehr in die Richtung Bildungseinrichtung, das war früher anders."

Jeden Morgen versammelten sich die Vorschulkinder in einem Stuhlkreis in einem kleinen Raum, wo sie voller Vorfreude auf ihren "Sprachunterricht" warteten. Sie lächelten sich zu, wackelten nervös mit den Beinen und schaukelten unruhig mit ihren kleinen Holzstühlen vor und zurück. Doch als das Programm endlich begann, wurde es schnell ruhig in dem Zimmer. Gespannt fixierten die Kinder ihre Erzieherin und lauschten aufmerksam den gesprochenen Silben. "Po-li-zei-au-to. Wie heißt das Wort?" Der weiche, bunte"Silbenball" wurde in die Runde geworfen und alle Kinderarme streckten sich in die Höhe, denn jeder wollte drankommen. "Polizeiauto!"

Voller Stolz lächelte das kleine Mädchen, präsentierte dabei ihre Zahnlücke und warf den Ball zurück. Ob Wörterbasteln, Silbenklatschen oder Reimen - die Kleinen machten immer begeistert mit, sprangen von ihren Stühlen, wenn sie antworten wollten und freuten sich riesig, wenn ihre Antwort richtig war. Auch die Erzieherinnen hatten viel Spaß mit dem Programm und freuten sich über die hörbaren Fortschritte "ihrer" Kinder, die schon in der achten Woche erkennbar waren. Doch es steckte auch viel Arbeit hinter dem Programm: Die Kindergärtnerinnen mussten sich mit der Thematik auseinandersetzten, die einzelnen Einheiten vorbereiten und die Kinder "unterrichten". Dazu kam das normale Programm, wie frühstücken, turnen, spazieren gehen.

Die Entwicklung wirkt sich auch auf den Stellenschlüssel und damit auf die städtischen Finanzen aus. Ab dem nächsten Kindergartenjahr entfällt der Ausbildungsschritt der Vorpraktikantin. Bislang kann die Stadt wie andere Kindergartenträger auf diese jungen Mitarbeiterinnen zurückgreifen, um zumn Beispiel in der Gruppe die Betreuung durch eine weitere Person zu gewährleisten. Mit rund 360 Euro Gehalt waren die Vorpraktikantinnen auch günstige Arbeitskräfte. Doch diese Zeiten sind bald vorbei.

Dem Gesetzgeber erscheinen die Anforderungen zu hoch, um Vorpraktikantinnen schon vor ihrer Ausbildung im Tagesbetrieb einzusetzen - was Kindergartenexperte Schmitt inhaltlich auch sinnvoll findet.Zweck der Sache: Statt der Vorpraktikantinnen sollen Anerkennungspraktikantinnen eingestellt werden, die nach ihrer Ausbildung entsprechend mehr verdienen müssen. Für die Stadt bedeutet das rund 50 000 Euro mehr Personalkosten im Jahr. Im Kindergarten Römerstraße ist noch etwas besonders wichtig:Vor allem das Spielen darf auf keinen Fall auf der Strecke bleiben. Denn auch wenn das Projekt "Würzburger Modell" als Reaktion auf die PISA-Studie eingeführt wurde und die Kinder nun vor der Einschulung einen Sprachtest machen sollen, darf die spielerische Komponente des Kindergartens nicht verloren gehen. Denn aufmerksam zuhören und lernen müssen die Kinder noch früh genug.

Copyright (c) rnz-online

Autor: Rhein-Neckar-Zeitung