Schriesheim im Bild 2023

05.10.2009

Einst wurde er von 70 Spitzeln überwacht

Einst wurde er von 70 Spitzeln überwacht

Heinz Eggert fesselte mit seinem Bericht über das schwierige Leben in der ehemaligen DDR seine zahlreichen Zuhörer im Zehntkeller. Foto: Dorn


Von Sabine Kuntermann.

Schriesheim. Der frühere Staatsminister Heinz Eggert sprach beim CDU-Festakt zum Tag der Deutschen Einheit im Zehntkeller.

"Wenn der Bürger die Angst verliert, zieht die Demokratie ein", sagte Heinz Eggert. Der frühere sächsische Staatsminister, Landtagsabgeordnete und ehemalige stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende ließ in seiner Festrede zum 3.Oktober die Ereignisse Revue passieren, die zum Ende der DDR führten. Es war eine sehr persönliche Rede, die unter die Haut ging. Stellenweise war es trotz der zahlreichen Zuhörer mucksmäuschenstill im Zehntkeller.

Eggert war auf Einladung des CDU-Kreisverbandes Rhein-Neckar und des Stadtverbandes Schriesheim in die Weinstadt gekommen. Musikalisch untermalt wurde die Veranstaltung – zu der CDU-Ortsvereinsvorsitzender Anselm Löweneck unter anderem auch Dr. Karl A. Lamers (MdB) begrüßte – vom MGV Liederkranz.

Vor seiner politischen Laufbahn war Eggert Studentenpfarrer in Oybin und Gemeindepfarrer in Zittau in der Oberlausitz. Eggert war kein bequemer Staatsbürger der DDR. 6000 Seiten Stasi-Akten wurden über ihn angelegt, 70 Spitzel überwachten ihn, zapften das Telefon an und hörten seine Wohnung ab.

"Politische Gespräche führte ich nur bei Spaziergängen im Wald", erinnerte er sich im Gespräch mit der RNZ. Seit er 1968 wegen Protests gegen den russischen Einmarsch in die Tschechoslowakei inhaftiert wurde, befand sich der vierfache Familienvater im Visier der Staatssicherheit. Eggert ließ sich nicht einschüchtern, hielt kritische Predigten und schloss sich dem Neuen Forum an. Der Mut seiner Mitstreiter imponierte ihm: "In Zittau waren es die Durchschnittsmenschen, die die Wende herbeigeführt haben."

Noch am 7. Oktober 1989 wurde mit viel Prunk der 40. Jahrestag der DDR gefeiert. Jubelnde Menschenmassen zogen an Erich Honecker vorbei. Viele behaupteten später, ihre nach oben gereckten Fäuste seien Drohgebärden gegen Honecker gewesen. "Ich war von lauter Widerständlern umgeben, ohne es gemerkt zu haben", bemerkte Eggert sarkastisch. Zwei Tage später waren alle fünf Zittauer Kirchen voller Menschen, Polizei und Armee waren in Bereitschaft, bei der Demonstration filmte die Stasi. Die Grenztruppen zur nahe gelegenen Tschechoslowakei wurden verstärkt, waren doch die Menschen zuvor in Scharen geflohen. Nach dem 9. November suchte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl das Gespräch mit den Alliierten, was nicht immer auf Gegenliebe stieß. Trotzdem: "Kohl war der richtige Mann."

"Im Gegensatz zu Oskar Lafontaine." Staatssekretär im Bildungsministerium Georg Wacker erinnerte an die Haltung des heutigen Linken-Vorsitzenden: "Er verhandelte eigenmächtig mit der DDR, um auf Dauer eine friedliche Koexistenz zu zementieren." Auch das SPD-Programm von 1986 sah in der Anerkennung der DDR die Voraussetzung für eine wirksame Entspannungspolitik. "Was wäre damit aus Deutschland und dem Einigungsprozess geworden?", fragte Eggert. Er vollzog zu dieser Zeit den Bruch mit dem Neuen Forum und schloss sich den Bürgern an, die auf ihren Transparenten nicht mehr verkündeten: "Wir sind das Volk", sondern, weit brisanter, "Wir sind ein Volk."

Eggert beklagte das Fehlen einer sauberen Aufarbeitung der Vergangenheit, die durch unerträgliche Ostalgie-Shows ersetzt wurde: "Keiner wurde zur Rechenschaft gezogen. Nur Mielke saß im Gefängnis, aber wegen eines Polizistenmordes von 1933. Die ideologische Verharmlosung des Unrechtsstaats DDR ist gewollt von Leuten wie Gysi."

Trotz Klagen über das Fehlen "blühender Landschaften" sei viel geschehen in den neuen Bundesländern, war die DDR doch einst mit sechs Milliarden Euro, der Höhe ihres Außenhandelsvolumens, verschuldet: "Allein der Erhalt der sächsischen Altbausubstanz kostete 250 Milliarden Mark. 1992 war in Leipzig jedes zweite Dach kaputt." Mittlerweile gebe es Wohlstand, die Einkommen hätten sich verdoppelt, die Lebenserwartung sei um sieben Jahre gestiegen. "Es wurde schon viel geschafft." Auch die Demokratisierung eines Landes, das seit 1933 kein demokratisches System erlebt habe, sei gelungen. Jetzt komme es darauf an, die Einheit ohne Vorurteile gegenüber dem anderen zu erleben: "Wir sollten Gott danken. Wir, weil der Honecker-Spuk vorbei ist, und ihr, weil ihr ihn nie erleben musstet."

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung