Schriesheim im Bild 2023

31.08.2011

Richtlinie könnte zum "Stolperstein" werden

Von Stephanie Kuntermann

Schriesheim. Sie sind zehn mal zehn Zentimeter groß, in den Boden eingelassen und aus Messing: Nach einem Beschluss des Gemeinderats im letzten Dezember soll Schriesheim "Stolpersteine" bekommen, die an die Verfolgten des Naziregimes erinnern sollen, darunter Schriesheims ehemalige jüdische Einwohner. Seither ist es recht still um das Vorhaben geworden. Jetzt wurde bekannt, dass mittlerweile der Auftrag für die Produktion der ersten Steine erteilt wurde.

Auf der Internetseite www.alemannia-judaica.de (siehe auch Kasten), die sich auf Angaben der Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem und aus historischer Literatur bezieht, sind die Namen von 38 Juden aufgelistet, die 1933 in Schriesheim lebten. 21 kamen während der Nazi-Diktatur ums Leben.

Zwei der 38 Schriesheimer Juden, Rosa Fuld und Zacharias Oppenheimer, starben nach 1933 in ihrer Heimatstadt, alle anderen 36 - und das ist das Bemerkenswerte - verließen die Weinstadt bis 1939 in alle Himmelsrichtungen. Seit dieser Zeit lebte kein Jude mehr in Schriesheim. 21 dieser ehemaligen Schriesheimer wurden Opfer der Diktatur.

Voraussetzung für die Stolpersteine aber ist, dass das Haus, vor dem sie verlegt werden, der letzte frei gewählte Wohnsitz der jeweiligen Person ist. So jedenfalls lautet die Richtlinie des "Stolpersteine-Erfinders", des Künstlers Gunter Demnig, der auf seiner Webseite schreibt: "Bitte die konkrete Verlegeadresse angeben - die Steine sollten möglichst vor der letzten selbst gewählten Wohnadresse liegen - nicht an der Stelle, wo sie (die Verfolgten, Anm. d. Red.) schon zwangsweise einziehen mussten. Und möglichst nicht vor einem sog. Judenhaus. Ausnahmen sind möglich, müssen jedoch im Einzelnen besprochen werden."

Für Schriesheim hat das folgende Konsequenz: Eigentlich müssten die Schriesheimer "Stolpersteine" noch einmal im Einzelfall kritisch hinterfragt und begründet werden. Denn, und darauf legt auch die Tafel an der Kriegsopfergedenkstätte großen Wert: Die Opfer wurden alle von anderen Orten als von Schriesheim aus deportiert. Und nicht immer ist die Frage nach dem letzten freiwillig gewählten Wohnsitz so einfach zu beantworten wie in den vielen Fällen, wo Menschen gezwungen wurden, ihren Besitz zu verkaufen und wegzuziehen.

Zweifelhaft sind etwa Fälle wie der des Daniel Marx. Er wuchs in Schriesheim auf, schlug er sich als Hausierer durch und lebte im Burgweg 121. Die Gemeinde betrieb die Aufnahme des geistig zurückgebliebenen, invaliden Mannes in ein Pflegeheim. 1923 wurde er in der Kreispflegeanstalt Weinheim aufgenommen. Hier blieb er, unterstützt von seiner in die USA ausgewanderten Schwester, bis zu seiner Deportation 1940. Immer wieder, so wurde von Verwandten berichtet, kam er zu Besuch nach Schriesheim oder besuchte die Synagoge. War er nun zuletzt ein Schriesheimer oder Weinheimer? War er freiwillig im Pflegeheim oder nicht? Auf der Tafel der Kriegsopfergedenkstätte wird Daniel Marx jedenfalls aufgeführt als Jude, der "von anderen Orten aus deportiert" wurde.

Unklar ist auch die Zugehörigkeit von Karoline Gudenberg, geborene Bloch. Sie wurde in die Lager Gurs, Récébédon und Les Milles deportiert und kam 1942 nach Auschwitz. Später wurde sie für tot erklärt. Ihr letzter Wohnort vor der Deportation war allerdings nicht Schriesheim, sondern Schmieheim, ein Ortsteil der Gemeinde Kippenheim.

Weiter heißt es auf Demnigs Seite: "Jedes Opfer erhält einen eigenen Stein." An jeden der Verfolgten soll also individuell erinnert werden, Steine für ganze Gruppen oder Familien soll es nicht geben. Im Gegenzug aber wohl auch nicht mehrere Steine für eine Person. Auch hier käme Schriesheim vermutlich in Konflikt mit der Absicht der "Stolpersteine".

Etwa im Fall des Karl-Heinz Klausmann. Bereits im Mai 2007 wurde in Weinheim ein Stein zu seinem Gedenken eingeweiht. Im Zuge seiner Ausbildung kam er nämlich in Weinheim in einem landwirtschaftlichen Betrieb unter. Auch im Falle von Auguste Eppsteiner und Johanna Haas existieren bereits "Stolpersteine". Die beiden lebten zuletzt nämlich im Herdweg in Darmstadt.

Die 1870 geborene Eppsteiner wurde von dort im Jahr 1942 deportiert und kam 1943 im Lager Theresienstadt um. Johanna Haas, 1869 geboren, erlitt dasselbe Schicksal. Das Setzen eines neuen "Stolpersteins" ist jedes Mal eine hoch emotionale Sache. Angehörige und Nachfahren reisen zum Teil aus den USA an, es gibt Gedichte und Rezitationen, Tränen fließen. Für die Angehörigen dürfte es schwer zu vermitteln sein, dass ein "Stolperstein" nun an einen anderen Ort verlegt oder ein zweites Mal installiert werden soll. Ob nun aufgrund eines Irrtums oder aufgrund von Änderungen der Richtlinien. Das dürfte in dem Falle keine Rolle spielen.

Gerne hätte die RNZ diese und andere Fragen mit zwei Mitgliedern der "Stolperstein"-Projektgruppe geklärt. Doch leider teilten Monika Stärker-Weineck und Dr. Barbara Schenk-Zitsch mit, "dass wir beide zu dem von Ihnen vorgeschlagenen Interview nicht zur Verfügung stehen. Das Thema 'Stolpersteine in Schriesheim' ist ausführlichst in der Öffentlichkeit erklärt und diskutiert worden, unsere Stellung dazu bekannt. Bekanntlich hat der Gemeinderat am 8. 12. 2010 mit großer Mehrheit den Bürgermeister bzw. die Stadtverwaltung beauftragt, Stolpersteine in Schriesheim verlegen zu lassen."

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung