Schriesheim im Bild 2023

02.09.2011

Er operiert in schwimmendem OP

Er operiert in schwimmendem OP

Von Stephanie Kuntermann

Seinen Urlaub widmet Georg Eggers aus Schriesheim auch dieses Jahr dem Einsatz auf dem "Mercy Ship", mit dem er im Hafen von Freetown vor Anker gehen wird. Fotos: zg

Schriesheim. Nicht immer heißen die Urlaubsziele der Schriesheimer Algarve, Adria oder Kanaren, und nicht immer geht es in den "schönsten Wochen des Jahres" um Erholung. Ein Schriesheimer Arzt verbrachte im letzten Jahr seinen Urlaub auf ungewöhnliche Weise: Professor Dr. Dr. Georg Eggers fuhr nach Togo, um dort kostenlos Bedürftige zu operieren.

Togo ist eines der ärmsten Länder der Welt. Auf dem UNO-Entwicklungsindex nimmt das westafrikanische Land eine der letzten Positionen ein: Die Kindersterblichkeit ist hoch, die Lebenserwartung für deutsche Verhältnisse niedrig, ebenso das Pro-Kopf-Einkommen, die Alphabetisierungsrate und das Bildungsniveau. Ärzte gibt es nur wenige und auch keine Universitäten, die welche ausbilden. Für viele Patienten war daher der Besuch des "Mercy Ship", das im vergangenen Frühjahr im Hafen von Lomé anlegte, die einzige Chance auf eine Behandlung. Schon Wochen vorher fuhren Mitarbeiter mit Jeeps durch das ganze Land und untersuchten Patienten.

Seit 32 Jahren gibt es die US-Organisation "Mercyships" mittlerweile, die Schiffe mit Spendengeldern zu schwimmenden Krankenhäusern umrüstet. Krankenschwestern, Pfleger und Ärzte kommen auf eigene Kosten aus der ganzen Welt, um dort zu operieren.

Einer von ihnen, der Bremer Arzt Dr. Lür Köper, sprach seinen Schriesheimer Kollegen auf einen schwierigen Fall an, einen Jungen mit einer angeborenen Schädel-Anomalie.

Hypertelorismus bedeutet einen enorm großen Augenabstand, mitunter einen verbreiterten Schädel und eine extrem breite Nasenwurzel. Bei dem Vierjährigen war der Augenabstand derart groß, dass die Augen nicht nach vorn, sondern zur Seite blickten. "So etwas kommt auch bei uns relativ selten vor", berichtet Eggers, der Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurg. Nur wenige Spezialisten können die Patienten operieren, die Operationen sind aufwendig und risikoreich. Eggers erklärte sich spontan mit einer Reise nach Togo einverstanden, und ein OP-Team wurde zusammengestellt.

Einen ganzen Tag dauerte die Operation des Jungen, bei der Teile des Schädels entfernt und die Augenhöhlen in eine neue Position gebracht werden mussten, ohne dabei die Sehnerven zu verletzen. "Er hat es gut überstanden und war schon bald wieder fit", freut sich der Arzt. Nur eine kleine Narbe auf der Nase erinnert heute noch an den Eingriff.

Häufigste Operation war die Behandlung von Katarakten. "Manche Patienten wurden auf das Schiff getragen, sie waren vollständig erblindet", berichtet Eggers. Die Augenärzte arbeiteten wie am Fließband, mitunter wurden 40 Star-Operationen am Tag durchgeführt mit einer Methode, die den Arzt sehr nachdenklich stimmte: "Es wurde immer nur ein Auge operiert. So ist die Sehkraft wieder hergestellt, und man kann doppelt so viele Patienten behandeln." Die einzige Chance für viele, die sonst vielleicht Jahrzehnte lang keinem Arzt mehr begegnen. Entsprechend groß war auch das Leid vieler Menschen. Krebspatienten mit riesigen Geschwülsten wurden behandelt, einem Mann etwa 40 Kilo Tumorgewebe entfernt und einer Schwangeren ein riesiges Speicheldrüsen-Karzinom, das sie sonst erstickt hätte.

Fälle, die Eggers weder in seiner Weinheimer Praxis noch in der Heidelberger Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie in dieser Schwere begegnet wären. Einer seiner jüngsten Patienten war ein Baby mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalte und Wasserkopf. "Wasserköpfe werden bei uns direkt nach der Geburt behandelt", so Eggers, der das bereits sieben Monate alte, unterernährte Kind versorgte. Alles, was er brauchte, gab es auf dem Schiff. Die umgebaute ehemalige Nordsee-Fähre führte von CT- und Röntgengeräten, einer Apotheke und mehreren komplett eingerichteten Operationssälen alles Notwendige mit, denn im Land gab es nicht einmal Spritzen zu kaufen. In diesem Jahr liegt das Schiff etwas weiter westlich in Freetown vor Anker, der Hauptstadt eines noch ärmeren Landes. Das Ziel von Eggers' nächstem "Urlaub" in diesem September heißt damit Sierra Leone, sagt er: "Denn es steht fest, dass ich wieder dabei bin."

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung