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20.08.2012

Heimbewohner werden vom Hahn geweckt

Von Silvia Rothenburger

Schriesheim-Altenbach. Im Seniorenheim "Ella" mitten im Grünen, oberhalb von Altenbach gelegen, weckt noch der Hahn die Bewohner. Tiere sind hier ein wichtiger Baustein im Betreuungsalltag.

"Der Gockel kräht, jetzt stehen wir auf", so der Weckruf von den Betreuern. Draußen warten schon die Hühner mit Gockel Anton und "Mutti", die Glucke, samt Küken. Die Glucke heißt im Seniorenheim immer Frieda. 21 Tage "hockt" sie, dann ist die Aufregung groß, bis die Küken geschlüpft sind. Liebevoll umsorgen die Heimbewohner den Nachwuchs, und die Henne wird auch verwöhnt. Hahn Anton ist sich seines Ranges bewusst, kräht und schlägt mit den Flügeln, denn soeben kommt das Futter. Das Schaf im Mini-Zoo heißt Emma und die Ziegen James und Jacky. Emma teilt sich zurzeit mit James und Jacky den Stall und die Wiese. Sie bekommt aber bald wieder wollige Gesellschaft.

An diesem Mittag sind die Altenheimbewohner gespannt. Die Schafschur steht an. Hermann Pröll, aus dessen Zucht auch Emma stammt, kommt zum Scheren vorbei. Nach der Schur wird die Wolle gewaschen, verarbeitet, gekämmt und später im Herbst gesponnen. Eine reine Idylle auf den ersten Blick, die "lustige Viecherei" im Haus "Ella" ist aber für die Bewohner, von denen ein Großteil dement ist, ein wichtiges Bindeglied zum früheren Leben, erläutert Pflegedienstleiter Joachim Veigel, der mit seinem Bruder und Heimleiter Christian das private Seniorenheim seit über 20 Jahren mit Erfolg betreibt. Die Kette "Schaf, Wolle waschen, kämmen, spinnen" ist ein Beispiel von vielen, das bei den dementen Senioren Erinnerungen an das frühere Leben weckt. Bald soll auch wieder ein Hund im Haus bellen. Papagei Gino sucht sich seine Bezugspersonen unter den Bewohnern selbst aus. Den hat die Köchin vor 23 Jahren hierhergebracht, erinnert sich "Jockel" Veigel noch gut an die inzwischen verstorbene Käthe Hoffmann. "Integrative Gruppe" heißt das im Fachjargon, was im Haus "Ella" mit Erfolg praktiziert wird. Es gibt keine Trennung zwischen der Geriatrie und Menschen mit Demenz. Unterstützt werden die Brüder Veigel von Inge Rupp, der geronto-psychiatrischen Fachkraft im Haus.

Genau dieses Normalitäts-Prinzip in Anlehnung an das "Prof. Erwin Böhm-Modell" versuchen die Heimleitung und die Pfleger in die Praxis umzusetzen: "Man muss nicht die Beine bewegen, sondern die Seele", ergänzt Inge Rupp. "Denn was nützt die Krankengymnastik, wenn die Menschen nicht mehr laufen wollen, weil die Seele streikt." Zur Bewegung der Seele gehört ein bestimmtes Aufgabengebiet für die Heimbewohner, in dem sie sich wiederfinden. Viele kommen aus dem ländlichen Raum, manche direkt aus der Landwirtschaft.

Auch die Tierhaltung gehört daher zur Philosophie des Heimes. Beim Heumachen sind die Heimbewohner ebenfalls mit Eifer dabei. Und wenn Emma wieder mal ein Ei gelegt hat, tragen sie es direkt ins Haus zum Kochen. Abends passen sie mit auf, dass alle Hühner wieder im Stall sind und dieser geschlossen ist. Solche und ähnliche Alltagsaufgaben helfen den alten Leuten, ihren normalen Alltag zu gestalten. Joachim Veigel zeigt auch auf die Tomatenzucht einer Bewohnerin: "Sie hat sie alle aus Samen gezogen, jetzt hängen hier pralle Tomaten."

Während sich längst Hunde als Therapeuten bei Besuchsdiensten in Altenheimen bewährt haben, gehören im "Ella" Federvieh, Schafe und Ziegen einfach zum Alltag. Sie sind so etwas wie "Therapeuten" für die Senioren und berühren deren Seelen.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung