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11.09.2003

"Jeder Tag am Rebstock ist jetzt bares Geld wert"

Schriesheimer Winzergenossenschaft beginnt am 22. September - Dr. Rühl erinnert an die "Vollablieferungspflicht"

Schriesheim. (ron) Zucker alleine macht nicht glücklich. Zumindest bei der Produktion eines guten Weines. Trotz rekordverdächtiger Öchslegrade, wartet die Schriesheimer Winzergenossenschaft mit ihrem Herbstbeginn noch bis zum 22. September ab (wir haben gestern kurz berichtet). Die "physische Reife" der Trauben soll bis dahin noch deutlich zugenommen haben, erklärten die Verantwortlichen am Dienstagabend während der Herbstversammlung.

Dr. Konrad Rühl, der Leiter des Deutschen Weinbauinstituts in Freiburg, ist Profi genug, um zu wissen, wo er die Winzer packen an: an den Einkünften. "Jeder Tag, den Sie Ihre Trauben jetzt noch am Stock hängen lassen", erklärte der Behördenvertreter am Dienstagabend in Schriesheim, "ist bares Geld Wert". Jeder Tag lasse die Trauben am Stock weiter an Aromastoffen tanken, so dass sich die Qualität noch deutlich verbessern lasse. "In zehn Tagen ein Viertel an Steigerung", verspricht der aus Wiesloch stammende Önologe. Wenn diese Anregungen alle erfüllt werden, so der Mann aus Freiburg, "wir man über die Weine dieses Jahres lange reden". Zumindest beim Vorstand der Winzergenossenschaft rannte Rühl mit diesen Appellen offene Türen ein.

"Die Aromabildung in den Trauben", so hatte es kurz zuvor aus dem Mund von Geschäftsführer Harald Weiss geklungen, hinkt dem Zucker weit hinterher. Am Nachmittag war Weiss durch die Weinberge gestreift und hatte die Öchslegrade der Traubensorten gemessen. Allesamt haben die Beeren viel mehr Zucker gespeichert als im Vorjahr. Aber Weiss warnte: "Der hohe Zuckergehalt darf nicht über den Mangel innerer Werte hinwegtäuschen." Deshalb ist es seiner Ansicht nach falsch, allzu früh mit der Lese zu beginnen. Durch die derzeit noch geringe Ausprägung der Hefen, könne es außerdem zu Press- und Gärproblemen kommen und schlimmstenfalls zu Weinen, die schon bald dem Schreckgespenst "UTA" zum Opfer fallen: der "Untypischen Alterungsnote".

Allerdings: "Wenn wir noch warten, dann wird sich dass wieder gut ausgleichen", schätzt der Geschäftsführer. Die derzeitige Witterung mit den kühlen Nächten sei dazu besonders förderlich. "Die Qualität kann sich innerhalb weniger Wochen verdoppeln", so Weiss.

Denn immerhin dürfe man nicht vergessen, dass nicht wenige Weinberge in diesem Jahr der großen Hitze von einem "gewissen Trockenstress" betroffen waren, wovon sich mancher Rebstock erst jetzt langsam erhole. So birgt der Jahrgang 2003 nach jetzigem Erkenntnisstand Chancen und Risiken: "Wenn wir Geduld haben und Disziplin, dann werden wir so gute Weine einlagern können wie schon lange nicht mehr." So Harald Weiss. Und keine Geringere als Weinkönigin Christina Krämer bekräftigte ihn mit dem Ausspruch: "Mit ein bisschen Glück werden da Spitzenweine heranreifen." Und sie muss es wissen, als gelernte Winzerin.

Auch Rebschutzwart Peter Haas, der das ganze Jahr über die Weinberge beobachtet hat, ging auf die aktuelle Lage im Weinberg ein. Er blickte auf ein "schwieriges Vegatationsjahr" zurück, das durch späten Frost und später durch enorme Hitze mit Trockenheit bestimmt war. "Aber auch so ein Jahr muss man mal mitmachen", erklärte Haas, "und jetzt sind unsere Bestände gut bis sehr " Die Trauben seien zwar "nicht so groß wie sonst, weil das Fruchtwasser fehlt", aber rund 15 Prozent weniger Ertrag ergebe einen Herbst, "den wir auch gut vermarkten können". Zwischen 70 und 80 Kilo pro Ar seien realistisch. Auch Haas appellierte, den Herbstbeginn hinauszuzögern, "um das Aromaprofil" zu schärfen

Am 22. September, einem Montag, will die Genossenschaft im Kelterhaus erstmals Trauben annehmen, wie immer Müller-Thurgau zuerst. Weiss betonte, dass der weitere Leseplan noch nicht festliegt, er will sich möglichst viel Flexibilität erhalten. Jeweils donnerstags wird ein genauer leseplan für die nächste Woche bekanntgegeben.

Institutschef Rühl erinnerte die Winzer an die "Vollablieferungspflicht", die Mitgliedswinzer von Genossenschaften nach EU-Richtlinien haben, um als ein zusammenhängender Betrieb akzeptiert zu werden. Bei Kontrollen (nicht in Schriesheim) habe das Institut im letzten Jahr Winzer ertappt, die verbotenerweise eine eigene private Vermarktung begonnen haben. Rühl: "Das ist nicht rechtsmäßig." Das Problem sei nicht nur die Laienproduktion, sondern vor allem eine zweite Vermarktungsachse. Schriesheims Winzer können ihren Haustrunk, der freilich voll erfasst werden muss, in Form einer Rückvergütung selbst konsumieren.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung