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30.04.2013

Toleranz ist keine Einbahnstraße

Von Stephanie Kuntermann

Schriesheim. Normalerweise geht es der IG Branich in erster Linie um die Interessen ihrer Mitglieder und deren größere und kleinere Probleme. Beim Vortragsabend zum Thema "Arabischer Frühling" blicken die Mitglieder dagegen hinaus über die Grenzen der Weinstadt.

IG-Vorsitzende Isolde Nelles erinnert an die Aufbruchstimmung, die seinerzeit herrschte und vielerorts bereits wieder einer "Eiszeit" gewichen ist. Thematisches und personelles Bindeglied zwischen der arabischen Halbinsel und dem Schriesheimer Berg ist Gabriele Berrer-Wallbrecht, Islamwissenschaftlerin und Branich-Bewohnerin. Sie bringt ihren Nachbarn und Freunden ein für viele neues Thema mit Herzblut und Begeisterung näher und hat damit am Ende des Abends einige angesteckt.

Ihr Hauptanliegen: Islam und Islamismus sind nicht dasselbe, im arabischen Frühling kämpfte der erstere gegen den letzteren. Weshalb ihr Vortrag noch einen Untertitel hat: "Der Kampf der Muslime und Musliminnen um Menschenrechte, Freiheit und Identität sowie die Auswirkungen auf Europa".

Der Islam, auf Arabisch "Ergebung in den Willen Allahs", verlange von den Gläubigen lebenslanges Streben nach Wissen, er respektiere darüber hinaus die übrigen "Buch-Religionen" Christentum, Judentum, Hinduismus und Buddhismus. "Islamismus ist für mich dagegen die Pervertierung einer Religion aus machtpolitischen Gründen", erklärt Berrer-Wallbrecht.

Er leugne die Meinungs-, Religions- und Pressefreiheit, die Rechte auf Bildung, persönliche Freiheit, Berufswahl und Selbstbestimmung, insbesondere der Frauen. "Wer heute als Muslim zum Christentum konvertieren will, den erwartet in 52 der 54 muslimischen Länder die Todesstrafe. In Deutschland haben wir jetzt insgesamt etwa 2500 Moscheen, aber im Orient sind christliche Kirchen eine Seltenheit", erklärt sie.

Der Kampf der Menschen auf dem Tahrir-Platz in Kairo sei ein Kampf für das Versammlungsrecht gewesen, ebenfalls ein Grundrecht. "Und in der Türkei sitzen 20 000 Menschen im Gefängnis, weil sie eine Meinung vertreten, die der islamistischen Regierung nicht gefällt", erinnert sie an den seinerzeit berühmtesten politischen Häftling der Türkei, Orhan Pamuk.

Dinge wie Ehrenmord, Kopftuchpflicht oder Genitalverstümmelung seien dem Koran fremd, ebenso das Verbot von Musik und Tanz, das in Mali mittlerweile in Kraft ist. Einem Land, in dem Jahrhunderte alte Kulturgüter von Islamisten zerstört wurden, während die Araber in der Hochkultur des Mittelalters Musikinstrumente erfanden, "um Allah für die Schönheit seiner Schöpfung zu danken".

Die Haltung Deutschlands gegenüber den Islamisten empört Berrer-Wallbrecht ebenso. Dass "Feinde der Demokratie" wie der selbst ernannte "Kalif von Köln" noch Personenschutz vom Staat bekämen, dass Waffengeschäfte mit Islamisten abgewickelt würden, dafür bringt die Wissenschaftlerin kein Verständnis auf. Auch nicht für Parallelgerichte in Großbritannien, in denen nach der Scharia geurteilt wird. Weshalb sie findet: "Hier gilt, was viele Islamisten nicht wissen wollen: Toleranz ist keine Einbahnstraße."

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung