Schriesheim im Bild 2023

14.10.2003

Seit zehn Jahren schreibt Döringer seine Erinnerungen

Der 81-jährige Schriesheimer hat die Entwicklungen und Ereignisse seiner Heimatstadt festgehalten - RNZ-Serie "Erinnerungen"

Schriesheim. "Erinnerungen" heißt eine neue Serie der RNZ, die in dieser Woche starten wird. Darin wird der 81-jährige Schriesheimer Georg Döringer aus alten Zeiten erzählen. Spannende Geschichten haben sich im Leben dieses Mannes ereignet, und er ist ein wandelndes Heimatbuch. Heute stellen wir Georg Döringer unseren Lesern vor.

Der rüstige 81-Jährige ist sicherlich das, was man einen typischen und waschechten Schriesheimer nennen kann. Er stammt sogar daher, wo die Weinstadt am ursprünglichsten ist: aus der Talstraße. Dort wurde er 1923 geboren und dort wuchs er im ländlich geprägten Umfeld auf. Der Vater Jakob, aus Altenbach stammend, war Gipser und Stuckateur. Aber wie überall damals gab es in der Talstraße 34 (heute 181) Hasen und Hühner, ein Hausschwein und einen Gemüsegarten. 1923 erwarb die Familie einen Weinberg unterhalb des Branich, den Georg Döringer bis heute und mit Hilfe seiner Söhne bewirtschaftet. Döringer singt in der Lyra, wo er in diesem Jahr für 50-jährige Mitgliedschaft geehrt wird und ist als gläubiger Katholik ein Mitglied der katholischen Kirchengemeinde. Und er ist als gelernter Schlosser ein Tüftler mit einem Händchen, wie man es selten nur findet: In seinem Haus, das seit den 50er Jahren in der Mannheimer Straße steht, wimmelt es von kleinen Kunstwerken, vom verzierten Fassboden angefangen, über eine nachgebaute Lourdes-Grotte bis hin zur eisernen Weinrebe, die die Fassade ziert. Vor zehn Jahren hat Döringer den Entschluss gefasst, sein Leben aufzuschreiben, das natürlich eng mit den Unbilden des 20. Jahrhunderts zusammenhängt. Gut, dass die Erinnerungen wach geblieben sind im Kopf des bewundernswert rüstigen Mannes. Viel half ihm aber auch ein Tagebuch, das er seit seiner Jugend führt.

Seit 1993 ist also ein Ordner entstanden, den Döringer chronologisch aufgebaut hat. Aber zu manchen Themen sind besonders ausführliche Aufzeichnungen entstanden. Sorgfältig hat er seine persönlichen Erlebnisse eingeordnet in die große Politik.

Und die Geschichten sprudeln nach wie vor aus ihm heraus. Die Anekdoten und Erlebnisse sind anschaulich von Bildern und Dokumenten begleitet. Döringers Erinnerungen sind ein persönliches Geschichtsbuch geworden mit Schwerpunkt auf den Enwticklungen und Ereignissen in Schriesheim. Anrührende Szenen sind dokumentiert. Am spannendsten ist sicherlich jene, die er als 22-jähriger Mann direkt nach Kriegsende erlebte: In Italien, wo Döringer zurzeit der Kapitulation des Deutschen Reiches stationiert war, fand er eine leere Postkarte, die ausgerechnet das Heidelberger Schloss zeigte. Er steckte die Karte als Erinnerung ein.

Nach Kriegsende wurden die deutschen Soldaten in Züge verfrachtet und durch Deutschland in ein belgisches Gefangenenlager geschickt. Im Heidelberger Hauptbahnhof hatte der Zug einen Zwischenhalt; niemand durfte aber den Wagen verlassen. Da kritzelte Döringer auf die Postkarte schnell ein paar Zeilen für seine Eltern. Die Karte reichte er durchs Fenster einem Passanten. Und dieser Mann fuhr das Lebenszeichen des Sohnes mit dem Fahrrad in die Schriesheimer Talstraße. Döringer selbst kam erst zwei Jahre später aus der Gefangenschaft frei. Aber seine Eltern wussten, dass er lebte.

Zu Döringers Aufzeichnungen gehören auch wertvolle Dokumente, wie die von den Nazis herausgegebenen "Schriesheimer Heimatbriefe". Die NS-Ortsgruppe verfasste einmal im Jahr ein Heftchen mit Nachrichten aus der Heimat und verschickte es an die Frontsoldaten. Drinnen standen kleine Artikelchen der Ortsvereine und Organisationen. Döringer muss heute manchmal grinsen, wenn er darin blättert und sieht, wer seine Artikel zu dieser Zeit alles mit einem "Heil Hitler" unterschrieben hat. Ganz wenige dieser Hefte sind der Nachwelt übrigens erhalten geblieben, weil sie von den Soldaten an der Front nach dem Lesen meist achtlos weggeworfen wurden. Aber Georg Döringer schickt sie nach Hause, dass man sie aufheben konnte. Er war schon immer ein bisschen anders.

INFO: Morgen beginnen wir die Serie "Erinnerungen" mit Döringers Schilderungder Weinlese.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung