Schriesheim im Bild 2023

16.10.2003

"Weißweine in italienischer Richtung"

Die Weinlese an der Bergstraße liegt in den letzten Zügen - "Jetzt zeigt sich, wo die guten Kellermeister sind"

Von Roland Kern

Schriesheim. Die Schriesheimer Winzer blieben im Vorfeld der Weinlese je ziemlich vorsichtig mit ihren Prognosen. Aber jetzt, wo die Traubenernte 2003 langsam zu Ende geht, wagen auch dort ein paar Leute, jenes Wort in den Mund zu nehmen: "Jahrhundertwein".

Es war schon alles ein bisschen anders in diesem Herbst nach dem trockensten und heißesten Sommer, an den sich Menschen in der Region erinnern können. "Ich war heilfroh", atmet zum Beispiel Winzerwirt Wilhelm Müller auf, "dass der Riesling nicht auch noch im Spätlesebereich war, sondern ein schöner eleganter Kabinett geworden ist". Solche Sätze hört man nicht alle Jahre, wo die Weinbauern doch ansonsten um jedes Grad Öchsle an Mostgewicht froh sind. Aber in diesem Jahr laufen die Uhren, oder anders gesagt: die Refraktometer, eben anders. "Fast zu gut", schmunzelt auch Peter Jäck über die Qualität seiner Ernteausbeute. Was die beiden Erzeuger damit meinen, war in den letzten Wochen schon öfter Thema: gewaltige Öchslegrade verleihen sämtlichen Weinen des Jahrgangs 2003 eine ungewohnte Wucht. Entweder es bleibt ein Rest der eigentlich unmodernen Süße oder der trockene, restlos durchgegorene Wein hat einen kräftigen Alkoholgehalt in sich. Für einen normalen Tischwein, so die Bedenken, sind die 2003er großteils zu schade. Und trotzdem wollen die meisten Kunden genau so etwas trinken. Das wird das Dilemma dieses außergewöhnlichen Jahrgangs bleiben.

Dennoch: alle Schriesheimer Winzer können mit der Ausnahme-Qualität des Herbstes nur zufrieden sein - an die Vermarktung denkt man jetzt lieber noch nicht. "Gute Qualitäten quer durch alle Sorten", meldet Gerd Bartsch vom Weingut Schlossberg. Bartsch hat wie Wilhelm Müller und Christiane Majer die Lese gerade abgeschlossen, was bei der Winzergenossenschaft eigentlich auch der Fall ist. Geschäftsführer Harald Weiss setzt mit seinen Vorzeige-Winzern Sandel und Krämer jetzt noch auf zwei Selection-Lagen am Kuhberg, die sogar eine Riesling-Auslese bringen könnten. Für den weit gereisten Weiss war der Herbst 2003 der "beste, den ich seit Beginn meiner Arbeit in Weingütern erlebt habe". Und das war 1976 - damals sprach man auch schon einmal von einem Jahrhundertwein.

"Wo die guten Kellermeister sind"
Stolz ist Weiss übrigens auf das jüngste Kind der Genossenschaft, den ersten Jahrgang eines Chardonnay-Weines aus den Fittichen Winfried Krämers. Er ist eine Spätlese geworden, und nun überlegt man sich, ob man dem Erstling anderthalb Jahre im Barrique-Fass gönnen soll.

Noch bei der Ernte sind die Weingüter Jäck, Bielig und Wehweck. Vor allem die Riesling-Trauben, aber auch Spätburgunder-Beeren, haben in den letzten Tagen der kühlen Nächte noch einmal Mineralstoffe getankt, die so wichtig für den Extrakt der Weine sind. Das gibt jenes Merkmal, das Karl-Heinz Wehweck "den letzten Dubbe physiologischer Ausreifung" nennt.

"Die Weine entwickeln sich im Moment sehr positiv", konnte Georg Bielig schon erste Tendenzen aus dem Keller berichten. Bielig schätzt, dass die Rotweine "im oberen Spitzenbereich" liegen werden, während die Weißweine des Jahrgangs 2003 nicht unbedingt wie die typischen Bergstraßentropfen der letzten Jahre schmecken dürften. "Das geht eher in die italienische Richtung", glaubt er. Das deckt sich mit der Einschätzung der Meteorologen, die den Sahara-Sommer 2003 mit dem Klima von Sizilien verglichen haben.

Am längsten wird heuer wohl das Weingut Wehweck am "herbsten" sein, sicher noch die ganze Woche. Und dann geht die Arbeit im Keller los. Wegen der gering ausgeprägten Säure, wird das kein leichtes Unterfangen. Die hohen Öchslegrade und die weit fortgeschrittene Reifung machen das Geschäft mit der Gärung nicht einfacher. Harald Weiss: "In diesem Jahr zeigt es sich, wo die guten Kellermeister sind."

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung