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03.07.2015

Schriesheimer Flüchtlingsunterkunft: "Keine Argumente für eine Ablehnung"

Appelle, Skepsis, Kritik und familiäre Erfahrungen: die vielschichtige Aussprache des Gemeinderats zur neuen Flüchtlingsunterkunft

Von Carsten Blaue

Schriesheim. Die Anzahl der Flüchtlinge spielte in der Abstimmung des Gemeinderats keine Rolle mehr. Anders als in der Sitzung des Ausschusses für Technik und Umwelt (ATU) vom 15. Juli brauchten die Stadträte am Mittwoch auch keine Sitzungspause, um sich zu beraten und mit einem Kompromissvorschlag an den Ratstisch zurückzukehren.

Eine 12:7-Mehrheit des Gemeinderats billigte, wie gestern berichtet, die Befreiung vom Bebauungsplan "Gewerbegebiet östlich B 3, 2. Änderung", um die "soziale Nutzung" der Lagerhalle mit Werkstatt in der Carl-Benz-Straße 23 als Flüchtlingsunterkunft möglich zu machen.

So bekommt der Rhein-Neckar-Kreis, was er will. Er kann das Objekt für zehn Jahre anmieten und hier 50 Flüchtlinge unterbringen. Im Gegenzug hat das Landratsamt zugesichert, im Gewerbegebiet keine weiteren Objekte für die Flüchtlingsunterbringung ins Auge zu fassen.
Man merkte am Mittwoch, dass es um etwas geht. Die Zuhörerreihen waren dicht besetzt, und Bürgermeister Hansjörg Höfer sowie Stadtbaumeisterin Astrid Fath führten besonders detailliert in das Thema ein. Eine Ablehnung wie im ATU mit einem prompten Widerspruch des Verwaltungschefs sollte es nicht noch einmal geben - zumal das Landratsamt dann das letzte Wort gehabt hätte.

Bürgermeister Höfer erläuterte also, warum der Bund im November 2014 die rechtliche Grundlage dafür geschaffen hat, dass Flüchtlingsunterkünfte in Gewerbegebieten eingerichtet werden dürfen. Er verwies auf die Kinderkrippe "Tausendfüßler" als Beispiel für frühere Befreiungen vom Bebauungsplan zugunsten sozialer Zwecke. Und Höfer verwies auf Nachbarkommunen wie Weinheim und Dossenheim, wo der Kreis bereits alte Hotels mit Flüchtlingen belegt: "Und so wird es weitergehen", so der Rathauschef. Seien dem Landratsamt im Juni 200 Asylbewerber zugewiesen worden, so kämen alleine im Juli 487 hinzu: "Wir als öffentliche Hand haben die Aufgabe, sie unterzubringen."

Stadtbaumeisterin Fath lieferte die bauplanungsrechtliche Begründung dafür, warum der Gemeinderat die Umnutzung des Gewerbeobjekts eigentlich nicht ablehnen kann. Da ging es sogar um die Definition des Wohnens. Außerdem sei die vorgesehene Flüchtlingszahl im Verhältnis zur Größe des Gewerbegebiets "gebietsverträglich", so Fath. Um die "Verträglichkeit" ging es auch in den Stellungnahmen der Fraktionen.

Fadime Tuncer (GL) eröffnete die Aussprache: "Wir müssen denen, die es zu uns schaffen, Schutz und Sicherheit bieten. Wir können uns nicht mehr zurücklehnen." Die Zustimmung für die Unterkunft sei eine "gesellschaftliche Verantwortung und keine Wohltat." Das Objekt habe eine gute Lage, es gebe Einkaufsmöglichkeiten, der Weg zur Straßenbahn sei kurz. Außerdem müsse niemand um sein Gewerbe fürchten durch die "Notunterkunft". Gleichwohl gestand sie ein, dass es "anders sein wird als vorher", wenn die Flüchtlinge da sind.

Michael Mittelstädt (CDU) erinnerte daran, dass der Bund Flüchtlingsunterkünfte in Gewerbegebieten nur als "Ultima Ratio" zugestanden habe. Also als "letzte Möglichkeit". Und das Gewerbegebiet müsse geeignet sein: "Für uns ist es aber weder geeignet für eine Flüchtlingsunterkunft, noch ist es für uns die ,Ultima Ratio‘". Das Objekt in der Carl-Benz-Straße 23 habe keine "Räume mit Aufenthaltscharakter", und 50 Personen seien "viel zu viel". Mittelstädt kritisierte die Informationspolitik in dieser Sache: "Wir haben zuerst aus nicht öffentlichen Kanälen davon erfahren."

Zudem gebe es auch in anderen Orten Vorbehalte. So habe der Gemeinderat in Edingen-Neckarhausen nur mit knapper Mehrheit für eine Unterkunft im Gewerbegebiet gestimmt, in Eppelheim habe man abgelehnt. Über die "Verträglichkeit", so der CDU-Sprecher, müsse man sich also mal Gedanken machen und sich mit dem Kreis auseinandersetzen. Auch für Schriesheim sei die geplante Unterkunft der falsche Weg: "Die Betreuung wird hier noch schwieriger sein. Insofern wären sogar 25 Personen zu viel."

Geteilt waren die Meinungen bei den Freien Wählern. Fraktionssprecher Heinz Kimmel wurde deutlich: "Der Kreis überfällt uns." Außerdem befürchtete Kimmel, dass das Flüchtlingsheim über zehn Jahre hinaus Bestand haben könne. Kimmel sprach für sich und drei seiner Fraktionskollegen, die allerdings nicht da waren. Eine andere Position vertrat Dr. Wolfgang Metzger. Der Freie Wähler sagte: "Wir haben keine Zeit für bessere Rahmenbedingungen." Der Kreis stehe mit dem Rücken zur Wand. Zudem mahnte er, sich der sozialen und historischen Verantwortung zu stellen. Auch in den Jahren von 1945 bis 1949 sei man mit den Flüchtlingen "eng aneinander gerückt, und es ging den Menschen damals schlechter als heute." Metzger sprach hier ganz offen die Geschichte seiner eigenen Familie mütterlicherseits an: "Auch sie wurde damals herzlich aufgenommen."

Gar nicht froh mit der Zustimmung war Sebastian Cuny (SPD): "Sie ist weder ideal für uns, noch für die Nachbarn oder die Betroffenen." Aber man habe nach Baugesetzbuch zu entscheiden, und da es schon eine Ausnahme vom Bebauungsplan gegeben habe, könne man sich gar nicht mehr verweigern. Die Enge und die fehlenden Räume habe der Gemeinderat nicht zu bewerten.

Gleichwohl könnten diese Zustände zu Spannungen auch mit den Nachbarn führen. Für die dezentrale Unterbringung, "am besten für einzelne Familien", fehle es an Objekten: "Wir suchen schon seit Jahren verzweifelt für Obdachlose und unsere eigenen Bedürftigen." Wenigstens könne man den Flüchtlingen ein Dach über dem Kopf bieten: "Lieber ein unzureichendes, als gar keines." Den Kreis sah Cuny in der Pflicht: "Er muss sich intensiver kümmern."

Bei FDP-Stadtrat Wolfgang Renkenberger schwang ebenfalls Skepsis mit: "Auch wenn ich wollte: Es gibt keine baurechtlichen Argumente für eine Ablehnung. Die Carl-Benz-Straße 23 ist für 50 Personen nicht geeignet. Schon 20 könnte man für zu viel halten." Erstaunt über die "Vehemenz" der Kritiker zeigte sich schließlich Georg Grüber (GL). Ihre Argumente seien scheinheilig: "Sollen die Gegner doch ehrlich sagen, dass sie keine Flüchtlinge wollen."

Schriesheim. (cab) Auf Anfrage der RNZ äußerte sich die Pressesprecherin des Rhein-Neckar-Kreises, Silke Hartmann, zum Gemeinderatsbeschluss für die Flüchtlingsunterkunft im Gewerbegebiet: "Herr Landrat Dallinger freut sich sehr, dass der Gemeinderat der Stadt Schriesheim und die Bürgerinnen und Bürger diese große gesamtgesellschaftliche Aufgabe mit dem Rhein-Neckar-Kreis als zuständige Untere Flüchtlingsaufnahmebehörde zusammen angehen wollen." Dallinger danke insbesondere Bürgermeister Hansjörg Höfer, der sich persönlich stark eingesetzt habe: "Wir werden alles dafür tun, die Unterbringung der Asyl suchenden Menschen in Schriesheim für die Bevölkerung so erträglich wie möglich zu gestalten", versprach Hartmann.

Und so geht es jetzt weiter: Das Baurechtsamt des Kreises wird nach Eingang der offiziellen Stellungnahme der Stadt den Bauantrag abschließend prüfen und die Baugenehmigung erteilen. Hartmann ging davon aus, dass das "recht kurzfristig" geschieht. Da das Objekt in der Carl-Benz-Straße 23 noch umgebaut werden muss, werde die Unterkunft frühestens am 1. September für die Belegung zur Verfügung stehen. Die Kreissprecherin wiederholte, wie dringend das Landratsamt auf die Unterkunft angewiesen sei.

Auch zur Kritik an den Zuständen im Kleinen Mönch 5, wo 25 Syrer untergebracht sind, nahm Hartmann Stellung: "Die Situation dort ist uns bekannt. Unsere Sozialarbeiter sind gemeinsam mit den Ehrenamtlichen vor Ort dabei, für ein nachbarschaftsverträgliches Verhalten der Flüchtlinge und Asylbewerber zu sorgen." Ebenso seien die Nachbarn informiert, dass sie bei massiven Störungen in den späten Abend- und Nachtstunden die Polizei anrufen können. Diese sei eingebunden und "sensibilisiert", so Hartmann.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung