Schriesheim im Bild 2023

27.11.2003

Früher hätte man gesagt: Wir sind pleite

Schriesheimer Gemeinderat diskutierte gestern Abend die Eckdaten des Haushaltsplanes 2004

Von Roland Kern

Schriesheim. Außergewöhnliche Umstände erfordern außergewöhnliche Maßnahmen: wegen der dramatischen Finanzlage, diskutierte der Schriesheimer Gemeinderat gestern Abend erstmals schon Monate vor der eigentlichen Etatberatung die Eckwerte des nächsten Haushaltes. Es sieht dramatisch aus.

Die Szene hatte Symbolkraft. Nachdem Schriesheims Stadtkämmerer Volker Arras seinen Computer-Vortrag zu den Zahlen beendet hatte, verwechselte jemand den Lichtschalter. Im Ratssaal wurde es stockdunkel. Wird es finster in der Weinstadt? Die Zahlen könnte man so deuten. So arm war Schriesheim noch nie. Worte wie "desolat", "dramatisch" oder sogar "pleite" fielen in der Diskussion.

Wie immer in den letzten Wochen und Monaten, war auch das Neubaugebiet "Nord" ein Diskussionsthema, weil es bekanntlich auch eine finanzpolitische Komponente hat: weil die Stadt im Zuge der Umlegung viele Grundstücke zurücknehmen musste, muss sie 9,5 Millionen Euro so genannter Minderzuteilung an die Gundstücksbesitzer bezahlen. Zwar besitzt die Stadt dadurch eine Menge Grundstücke, aber deren Verkauf kann sich hinauszögern. Dadurch muss die Gemeinde eine Menge Geld vorstrecken. "Etwa 50 000 Euro mehr Zinslast", rechnete Stadtkämmerer Arras vor. Bürgermeister Peter Riehl machte jedoch eine andere Rechnung auf: "Wir müssen nur noch für 1,5 Millionen Euro Grundstücke verkaufen", erklärte er, "und das wird innerhalb eines halben Jahres möglich sein". Riehl: "Die Geschiche mit Nord läuft, entgegen aller Unkenrufe." Und über das Jahr 2004 hinaus seien weitere 2,8 Millionen an Grundstückswerten vorhanden.

"Dank der Grundstückserlöse", fand auch FWV-Sprecher Friedrich Ewald, "sieht es jetzt für 2004 sogar besser aus, als wir es vor ein paar Wochen noch gedacht haben". Auch die Jahre 2005 und 2006 bleiben hart, prophezeite der Freie Wähler. Anders - natürlich - die Grünen: "Was passiert, wenn die Grundstücke nicht so gut verkauft werden?", wollte Gisela Reinhard wissen. "Es springt doch nichts dabei heraus", behauptete sie. Und nur die überraschend als Konkurrent der Firma Conceptaplan aufgetauchte holländische Bauträgerfirma, habe dafür gesorgt, dass der Mitbewerber seine Zahlung zügig vornimmt. Sonst, so die Grüne, sehe die Lage noch schlechter aus.

CDU-Sprecher Siegfried Schlüter bot der Verwaltung für seine Fraktion an: "Wir werden alle Sparmaßnahmen mittragen." Die Finanzsituation, so der Vize-Bürgermeister, sei "hoch dramatisch". Schlüter: "Vor ein paar Jahren hätte man bei diesen Zahlen gesagt: wir sind pleite." Den Schulterschluss zum Sparen bot auch SPD-Sprecher Hans-Jürgen Krieger an. FDP-Stadträtin Dr. Birgit Arnold ließ sich beim Thema "Nord" nicht beirren. "Dieses Neubaugebiet belastet den Haushalt mit 3,6 Millionen Euro", schimpfte sie, worauf Riehl erwiderte: "Sie behaupten immer Sachen, die gar nicht wahr sind."

Zuvor hatte Stadtkämmerer Volker Arras die Finanzsituation der Stadt erläutert, die er als "desolat" bezeichnete. Wie gestern bereits ausführlich berichtet, weisen die Eckdaten des Schriesheimer Etats 2004 im Verwaltungs- und im Vermögenshaushalt auf eine Unterdeckung hin. 737 000 Euro fehlen bei den laufenden Kosten, 1,13 Millionen Euro bei den Investitionen.

Bei den roten Zahlen hatte Arras schnell die Schuldigen ausgemacht: Land und Bund. Während die Stadt eine Million Euro mehr als im letzten Jahr als Umlagen an Kreis und Bundesland überweisen muss, fehlen auf der anderen Seite staatliche Zuweisungen von einer Million. Und falls die Steuerreform vorgezogen wird, fehlen weitere 670 000 Euro im Etat. Noch heftiger kritisierte Riehl die Bundes- und Landespolitik: "Wenn nicht schnell umgedacht wird, dann fährt Deutschland an die Wand", warnte er. Die Jahre 2004 und 2005 seien die schlimmsten und schlechtesten seiner gesamten 30-jährigen Amtszeit, erklärte der Rathauschef. "Zum ersten Mal habe ich null Hoffnung in die Zukunft", orakelte Riehl und nahm weiter kein Blatt vor den Mund: "Was die Gemeindefinanzreform angeht, sind wir Kommunen betrogen worden."

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung