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04.11.2015

Flüchtlinge in Schriesheim: Landratsamt im "Krisenmodus"

Auf Einladung der CDU Schriesheim und des Landtagsabgeordneten Wacker sprach Landrat Stefan Dallinger über die Flüchtlingsthematik

Von Carsten Blaue

Schriesheim. Es hätten durchaus mehr Zuhörer sein dürfen. Nicht oft haben Bürger schließlich die Gelegenheit, aus allererster Hand darüber informiert zu werden, wie sich die Flüchtlingsthematik auf den Rhein-Neckar-Kreis auswirkt. Die Schriesheimer CDU und der hiesige Landtagsabgeordnete Georg Wacker hatten Landrat Stefan Dallinger ins Feuerwehrhaus eingeladen. Gerüchten wolle die CDU Informationen entgegensetzen, so Wacker eingangs. Halbwahrheiten seien für eine konstruktiv-kritische Auseinandersetzung mit dem Thema nicht "sachdienlich". Gleichwohl, gestand Wacker: "Wir bewegen uns zwischen Hoffen und Bangen." Auch Dallinger schloss seinen Vortrag wenig verheißungsvoll. Das Landratsamt befinde sich im "Krisenmodus". Zwischen diesen beiden Aussagen lagen etwa 90 Minuten, in denen der Landrat die enormen Anstrengungen seiner Behörde und der Kommunen im Kreis mit Zahlen greifbar machte. Zunächst hatte jedoch Wacker politisch Grundsätzliches zur Sache gesagt.

"Wir als Christdemokraten haben einen humanitären Auftrag." Insofern stehe auch die CDU zum Grundrecht auf Asyl. Wer eine "Bleiberechtsperspektive" habe, so Wacker, der habe auch Anspruch auf Integration - wobei auch die Flüchtlinge in diesem Fall ihren "Integrationsbeitrag" leisten müssten. Dazu gehöre der "Spracherwerb" und ein "Einüben" von Werten, Normen und Verhaltensregeln, so Wacker, der aber auch an die Religionsfreiheit erinnerte: "Sie gilt bei uns für alle." Andererseits forderte der Abgeordnete "den Mut zu einem klaren Signal": Wer keine Bleiberechtsperspektive habe, weil er beispielsweise aus einem sicheren Herkunftsland stamme, "der kann hier nicht bleiben".

Dann gelte es, die "Anreizsysteme" abzustellen: "Denn Wohlstandsanreize sind falsche Anreize." Zudem könne die Gesellschaft nicht alles leisten: "Wir haben mit der Integration derer mit Bleiberechtsperspektive genug zu tun." Auch Dallinger sagte, eine "übertriebene Willkommenskultur" wecke Begehrlichkeiten.

Der Landrat begann seinen Vortrag mit Zahlen, die alleine schon reichten, um die enormen Anstrengungen der Kreisbehörde greifbar zu machen. Hatte der Kreis im Jahr 2010 genau 226 Erstantragssteller untergebracht, so werden es Ende dieses Jahres rund 3000 sein. Wöchentlich (und nicht mehr monatlich) würden dem Kreis 250 Personen zugewiesen, "und wenn das Drehkreuz in Heidelberg in Schwung kommt, muss auch bei uns alles viel schneller gehen". Dass politische Maßnahmen wie die Einordnung von Serbien, Mazedonien sowie Bosnien und Herzegowina als sichere Herkunftsstaaten "greifen", so Dallinger, würden die fallenden Zahlen der Asylbewerber vom Westbalkan zeigen. Ihr Anteil betrug im September sechs bis zehn Prozent. Stärkste Gruppe waren Syrer mit 55,3 Prozent.

Dallinger beleuchtete auch die Rechtslage, die den Kreis verpflichtet, 5,5 Prozent aller Flüchtlinge des Landes aufzunehmen. Unter Obhut des Kreises würden diese im Rahmen des Asylverfahrens höchstens zwei Jahre bleiben, dann übernehmen die Städte und Gemeinden mit der sogenannten "Anschlussunterbringung". Für Dallinger hieß das: Weil Betroffene im Schnitt maximal ein Jahr lang in die Verantwortlichkeit des Landratsamts fallen, "können wir keine Integration leisten. Das schaffen wir nicht, und das ist auch nicht unsere Aufgabe". Zur Art der Unterbringung sagte Dallinger, dass Wohnungen für die Anschlussunterbringung "wichtig und hervorragend" seien. Für die vorläufige Unterbringung suche der Kreis aber Einheiten ab 50 Personen: "Alles andere würde eine Riesenbürokratie bedeuten und wäre für unsere Sozialarbeiter nicht zu leisten."

Gerade der Mangel an geeigneten, größeren Immobilien mache dem Kreis zu schaffen. Andererseits ist es so, dass größere Unterkünfte den Bürgern vor Ort oft Sorge bereiten. Dallinger weiß das. Er sagte: "Die Vorbehalte und Ängste nehmen wir ernst. Man muss Ängste artikulieren können." Dafür gab es Applaus im Saal.

Gebe es in Gemeinschaftsunterkünften "keinerlei Auffälligkeiten", so sei die Lage in den Notunterkünften ernster: "Sicher gibt es hier Probleme", so Dallinger. Der Druck sei aber so groß, dass man auf sie nicht verzichten könne. Dabei sei diese Art der Unterbringung für den Kreis "das Schlimmste", sagte der Landrat. Was er danach vorbrachte, durfte auch auf die geplanten Unterkünfte in der Carl-Benz-Straße und In den Fensenbäumen gemünzt werden: "Wir rennen nicht jedem Investor mit Dollarzeichen in den Augen hinterher. Wir zahlen marktübliche Preise. Alle anderen Behauptungen sind Quatsch." Und weil er schon mal dabei war, legte Dallinger nach: "Und wir lassen unsere Solidarität nicht durch Veröffentlichungen stören, die fragen: ’Wer hat Flüchtlinge und wer nicht? Wer ist der Böse?". Zum Zeitpunkt seines Vortrags waren in 23 der 54 Kreiskommunen Flüchtlinge untergebracht, "und täglich werden es mehr", so der Landrat. Dallinger sagte: "Wir befinden uns immer noch im Krisenmodus."

Daniel Schneegaß verwies in seinem Resümee auf die Gründe, warum die CDU den Landrat eingeladen hatte: "Wir wollen mehr Transparenz und Ehrlichkeit in die Flüchtlingsthematik bringen, weil wir sonst Gefahr laufen, die Unterstützung und den breiten Rückhalt in der Bevölkerung zu verlieren", so der CDU-Stadtverbandschef.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung