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06.07.2016

Schriesheim: Der KZ-Überlebende Heinz Hesdörffer bewältigte sein Schicksal durch Schreiben

Schriesheim: Der KZ-Überlebende Heinz Hesdörffer bewältigte sein Schicksal durch Schreiben

Er berichtete Schülern des Kurpfalz-Gymnasiums aus seinem Leben

Die Jugend des heute 93-jährigen Heinz Hesdörffer war von viel Leid geprägt. Foto: Dorn

Schriesheim. (sk) Er war 22 Jahre alt, schwer krank und zum Skelett abgemagert, als für ihn die Zeit der Verfolgung und Inhaftierung in Konzentrationslagern endete. Heinz Hesdörffer ist heute 93 und noch immer an Schulen und für sein Bildungswerk unterwegs, um Jugendlichen von seiner Kindheit und Jugend in der Nazizeit zu erzählen. Eine dieser Schulen war jetzt das Kurpfalz-Gymnasium (KGS), dessen Geschichtslehrer Christina Dewald und Carsten Albert die Schülerinnen und Schüler der oberen Klassen darauf vorbereiteten: In der Aula wurde die Dokumentation "Schritte ins Ungewisse" gezeigt, die sich mit dem Leben des 1923 in Bad Kreuznach geborenen Mannes auseinandersetzt. Die Elftklässler Nils Langewald, Lena Hoffmann, Anna Link, Felix Jost, Anna Schmitt, Sarah Riedel, Lilly Beitinger, Sophie Frahm und Valentin Makosch hatten Fragen vorbereitet, die sie dem Gast in einer Podiumsrunde stellen wollten.

Doch dessen Gedanken gingen immer wieder eigene Wege, schweiften ab und verirrten sich; wegen seiner starken Schwerhörigkeit, einer Folge von Misshandlungen im KZ, war auch die Verständigung nicht leicht, doch am Ende ergab sich ein Puzzle aus Erlebtem und Gedachtem, aus Antworten auf gestellte und ungesagte Fragen, dessen Teilchen sich in einander fügten. Sie ergaben das Bild eines Mannes, dessen Jugend überschattet war von Ängsten und Leid. Als Zehnjähriger erlebte er, wie sich Freunde wegen seines jüdischen Glaubens von ihm abwendeten, er musste die Schule verlassen und umziehen, "und nach der Kristallnacht wollte jeder nur noch raus aus Deutschland". Kaum ein Land habe die Flüchtlinge aufnehmen wollen, doch schließlich ergab sich die Gelegenheit, dass Hesdörffer und sein jüngerer Bruder Ernst nach Holland geschickt werden konnten.

Die nächsten Stationen hießen Wes᠆terbork, Theresienstadt und Auschwitz. "Das Schlimmste waren die Appelle", erzählte Hesdörffer. Wer arbeitsfähig war, musste stundenlang stehen, während die Toten aus den Baracken geschleift und mit Wagen abtransportiert wurden. Auf denselben Anhängern holten die Wärter anschließend das Brot für die Häftlinge: "Und das wurde immer weniger."

Der Besucher sprach auch über den Anteil, den die Juden selbst an den Morden hatten: "Die SS hat gute Augen gehabt und hat die Sadisten herausgefunden, denn die gibt es unter allen Völkern." Hesdörffer verlor Mutter, Bruder und Tante in verschiedenen Lagern; das Erlebte hinterließ tiefe Spuren, so dass er über die jüdischen Wärter bemerkte: "Sie haben uns sehr zugesetzt. Ich hoffe, dass sie auch noch in die Gaskammern gekommen sind."

Er selbst bewältigte sein Schicksal durch Schreiben: Im Winter 1945/46, den er in Belgien verbrachte, schrieb er seine Erinnerungen auf. Danach verließ er Europa, wanderte er nach Südafrika aus, heiratete, gründete eine Familie und zog später in die USA: "Denn ich wollte nicht in der Vergangenheit leben, sondern in der Zukunft." 1996 holte er sein Manuskript aus der Schublade, tippte es ab und ließ es veröffentlichen; mittlerweile ist es in der dritten Auflage erschienen. 2008 wurde er zu einer Lesung nach Deutschland eingeladen und blieb, was er ursprünglich nie vorhatte. Heute, sagte er schließlich, sehe er seine Aufgabe darin, die Erinnerung an die Nazi-Verbrechen wachzuhalten und zu verhindern, dass sie sich wiederholten. Das Schreiben, erklärte Heinz Hesdörffer noch, habe eine "therapeutische Funktion" für ihn: "Ich hatte seither keine Alpträume mehr."

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung