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04.11.2016

Paul Zipser in der NBA: Am Traumziel angekommen

Paul Zipser in der NBA: Am Traumziel angekommen

Von der NBA hat Paul Zipser bisher nur geträumt - Jetzt will sich der 22-jährige Schriesheimer bei den Chicago Bulls beweisen

Der Schriesheimer Paul Zipser kam über den USC Heidelberg und FC Bayern und in die USA. Foto: dpa

Von Frederick Mersi

Die Stimmung ist ausgelassen in der Schriesheimer Mehrzweckhalle an diesem heißen Freitagvormittag Ende Juni - immerhin dürfen die Abiturienten des Kurpfalz-Gymnasiums ihren Abschluss feiern. Doch als ein 2,03 Meter großer Hüne den Raum betritt, ist in der gesamten Halle auf einmal Flüstern und Tuscheln zu hören. Paul Zipser hat das nicht unbedingt gewollt, aber ändern konnte er es nicht: Wenige Tage zuvor war er der fünfte Deutsche überhaupt geworden, der je den Sprung auf die ganze große Basketball-Bühne geschafft hatte - in die USA, in die NBA.

Der 22 Jahre alte Schriesheimer verfolgte seinen Sprung zum Traumziel mit seiner Familie und seiner Freundin Mira vor dem Fernseher: "Eigentlich habe ich es aber am Telefon erfahren. Als ich gedraftet wurde, lief im Fernsehen gerade Werbung", erinnert er sich. Klar sei er nervös gewesen, obwohl er vorher immer wieder in engem Kontakt mit seinem Agenten stand. Schließlich stand fest: Die Chicago Bulls greifen sich Zipser beim Draft, dem fernsehtauglich inszenierten Spieler-Casting, in der zweiten Runde - der ehemalige Klub von Basketball-Legende Michael Jordan.

Und so ist es wenig verwunderlich, dass er ein paar Tage später Gesprächsthema in der Mehrzweckhalle ist, obwohl eigentlich seine Schwester Anne dort ihr bestandenes Abitur feiert. "Ob das jetzt immer so sein wird, werde ich wahrscheinlich sehen, wenn ich wiederkomme", sagt Zipser. In Chicago wird er schon auf der Straße angesprochen: "Viele Leute kennen meinen Namen."
Der Weg dorthin war allerdings keinesfalls vorgezeichnet. Pauls Vater Dietrich hatte zwar ebenfalls Basketball beim USC Heidelberg gespielt, doch sein Sohn probierte als Kind erst einmal verschiedene Sportarten aus. Erst mit zwölf Jahren brachten ihn Freunde zum USC - in Schriesheim gab es damals wie heute kein Basketball-Angebot. "Ich war als Jugendlicher dann eigentlich nur noch zum Schlafen in Schriesheim", sagt Zipser und lacht. Schule und Basketball hielten ihn fast den ganzen Tag in Heidelberg.

Dort spielte er fast acht Jahre lang zusammen mit Niklas Würzner, inzwischen sind die beiden gute Freunde. Würzner spielt vor einigen Hundert Zuschauern in der Zweiten Liga, Zipser vor Zigtausenden in Chicago. "In der U 12 wurde er noch ein bisschen belächelt", erinnert sich Würzner. Bei einem Trainingscamp durfte der 12 Jahre alte Paul dem großen Dirk Nowitzki mal die Hand schütteln - er sollte ihn erst als Mitspieler in der Nationalmannschaft wieder treffen. Zwei Jahre später sei Zipser dann bei den süddeutschen Meisterschaften zum ersten Mal "so richtig explodiert", so Würzner.

Auf Zipsers Talent wurde auch Alexander Schönhals, sein Jugendtrainer, aufmerksam: "Er konnte gut mit dem Ball umgehen - das liegt wahrscheinlich in der Familie." Außerdem habe Zipser vom Fußball taktische Vorkenntnisse mitgebracht, zum Beispiel über die richtigen Laufwege. "Aber dass er mal Profi wird, das hat niemand gedacht - bis er 16 Jahre alt war", erinnert sich Schönhals.

Völlig verändert sei Zipser dann 2010 von der U 16-Europameisterschaft zurückgekommen, sagt Schönhals: "Da hat er seine Einstellung geändert, einen Gang höher als die Anderen geschaltet." Sein Sohn habe sich ein Ziel gesetzt, habe Vater Dietrich damals gesagt: "Er will Profi werden." In der Folge spielte Zipser für gleich vier Mannschaften: das Basket-College Rhein-Neckar, Jugend- und Herrenmannschaft des USC sowie für die Jugendauswahl des Deutschen Basketballbundes. Zu viele, fand Schönhals, und erstellte ein individuelles Trainingsprogramm für das Nachwuchstalent.

Dann spielte der damals 17-Jährige beim international renommierten Albert-Schweitzer-Turnier in Mannheim ganz groß auf: "Da habe ich gemerkt, dass sich viele für mich interessieren", sagt Zipser. Doch eine Sprunggelenksverletzung setzte ihn bald für mehr als sieben Monate außer Gefecht. Er habe darauf aber gelassen reagiert, meint Schönhals: "Das gehört dazu, hat er gesagt. Paul ist kein Typ, der sich wegen so etwas gleich aufregt." Geduld war gefragt, und Disziplin in der Reha - bloß nicht das Ziel aus den Augen verlieren.

Unter den vielen Interessenten beim Albert-Schweitzer-Turnier war auch der FC Bayern München, dessen Basketball-Abteilung Zipser im Januar 2013 in die bayrische Landeshauptstadt holte. Freundin Mira begleitete ihn dorthin. 2014 wurden die Bayern Deutscher Meister, in der K.o.-Runde allerdings weitestgehend ohne Zipser, der sich wieder am Sprunggelenk verletzt hatte. "Da ist Paul aber stur. Wenn er irgendwo hingeht, will er sich dort auch durchsetzen", sagt Schönhals.

Das tat der Schriesheimer: Er biss sich durch, steigerte sich in den folgenden Spielzeiten und wurde 2015 ein Thema für die Nationalmannschaft. Auch für den NBA-Draft meldete sich Zipser an, zog dann aber doch wieder zurück: "Ich wusste, dass ich da noch nicht so weit war." Geduld zeichnet den Forward aus, später sollte sich das auszahlen: Bei der Europameisterschaft wurde er an der Seite von Nowitzki als "bester Dreier der Nation" gelobt.

Jetzt ist er in Chicago und hat sich dort nach eigenen Worten gut eingelebt: "Alles ist größer - die Straßen, die Autos und die Burger." Insgesamt gefalle ihm der "American Way of Life", die Leute seien offener als in Deutschland und "supernett". Mit den Teamkollegen verstehe er sich ebenfalls gut, gerade nach dem Trainingslager habe man sich auch abseits des "Courts" öfter mal getroffen. Dass Freundin Mira seit einigen Tagen in Chicago ist, hilft ihm ebenfalls bei der Eingewöhnung. Sie hofft, dort bald ihr Biologiestudium weiterführen zu können.

Sportlich lief Zipsers Vorbereitung durchwachsen, auf beeindruckende Auftritte folgten schwächere. Für das erste Ligaspiel stand er gar nicht im Kader. In den folgenden Partien kam er auf zwei Kurzeinsätze und ein paar Rebounds, Punkte hat er noch keine erzielt. Der NBA-Neuling lässt sich davon aber nicht verrückt machen. "Ich will ein Rotationsspieler werden, weiß aber auch, dass ich da noch nicht bin", sagt er.

Geduldig sein müsse er, sagt Zipser immer wieder: "Und dann muss ich meine Chancen nutzen." Sein ehemaliger Trainer Alexander Schönhals lobt diesen Charakterzug: "Die Großen, wie Dirk Nowitzki, sind ganz bodenständige Leute. Und das ist Paul auch." Nach dem Draft traf Schönhals seinen ehemaligen Schützling noch einmal in Heidelberg - und war überrascht, wie erwachsen der geworden war: "Keine Spur von Arroganz. Er hat einfach in der Halle trainiert wie jeder Andere auch." Niklas Würzner sieht das auch so: "Er ist bodenständig, ruhig und immer auf sich selbst konzentriert."

Mit Zipser bleiben die beiden über Whatsapp in Kontakt: Schönhals gratuliert bei guten Leistungen, meldet sich aber auch, wenn es mal nicht so gut gelaufen ist. Würzner schaut sich Highlights der Bulls auf YouTube an und spricht mit "Paule" darüber. "Die Spiele selbst kommen ein bisschen zu spät nachts, um sie live anzuschauen", sagt Würzner und lacht. Er und Schönhals hoffen, dass Zipser eine lange NBA-Karriere vor sich hat.

Bis dahin heißt es: hart trainieren, dazulernen, weiter auf dem Boden bleiben. Dass die NBA ein hartes Pflaster ist und ein Vertrag schnell gekündigt werden kann, weiß Zipser. Damit er in Chicago erfolgreich ist, muss vieles passen. Seine Gelegenheiten wird er bekommen. Dann entscheidet sich, ob sein großer Traum tatsächlich Wirklichkeit wird.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung