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22.02.2017

Schriesheimer Theologe klärt Luther-Mythen

"Hier stehe ich, es war ganz anders" heißt sein Vortrag - Andreas Malessa räumte mit Irrtümern rund um den Reformator Martin Luther auf

Von Stephanie Kuntermann

Schriesheim. Das Geschäft hatte für die Menschen des ausgehenden Mittelalters nichts Fragwürdiges: Man gibt einem Geistlichen Geld dafür, dass er Ablassbriefe ausstellt. Damit kann man seinen verstorbenen Angehörigen oder sich selbst die Zeit im Fegefeuer verkürzen. Händler wie der Dominikanermönch Johannes Tetzel betrieben ihr Ablass-Marketing mit einer gehörigen Portion psychologischen Drucks; er schrieb: "Sieh deine Mutter an! Wie sie von den Flammen des Fegefeuers gequält wird! Und das leidet sie ja deinetwegen! Und du könntest ihr mit einem Groschen zu Hilfe kommen!"

Einer, der diesen Handel missbilligte, war Martin Luther. Den Handel, aber nicht den Sündenablass als solchen: Denn der Theologe sprach im Beichtstuhl selbst Ablässe aus. Um solche feinen Unterschiede ging es jetzt in Andreas Malessas Vortrag "Hier stehe ich, es war ganz anders", den der Theologe, Buchautor, Hörfunk- und Fernsehjournalist auf Einladung der evangelischen Kirchengemeinde im Schriesheimer Ortsteil Altenbach hielt. Das Interesse war riesig, der Gemeindesaal voll und die Fragen kritisch - etwa die nach Luthers dunklen Seiten.

Malessas Antwort darauf fiel ebenso eloquent und kenntnisreich aus wie sein Redemanuskript. Der Reformator, erklärte er, habe im Laufe seines Lebens einen ausgeprägten Anti-Judaismus entwickelt, also keine rassistischen Vorbehalte gegen Juden, sondern solche, die ihre Ursachen in Glaubensfragen hatten. Seine Schrift "Wider die Juden und ihre Lügen" sei wohl auch Zeitgenossen peinlich gewesen, das Pamphlet erst zu Zeiten der Nazi-Diktatur populär geworden. Eine weitere wenig sympathische Seite Luthers war dessen Stellungnahme im Bauernkrieg, wo er für die Fürsten Partei ergriff.

Ansonsten klärte Malessa ein paar gängige Irrtümer über den einstigen Mönch auf, etwa dessen vermeintlichem Thesen-Anschlag an der Schlosskirche zu Wittenberg. Die Fakten sind dünn: Es gibt keine Augenzeugenberichte, keinen Beleg in über hundert Bänden mit Luther-Zitaten, keinen Nachweis in seinen 7000 Tischreden. Viel eher scheint er die Thesen nach Ansicht Malessas und anderer Autoren ausschließlich an einen Freund und zwei Bischöfe geschickt zu haben, letzteres mit einem äußerst demütigen Begleitschreiben. Die Reaktion kam ein halbes Jahr später: Tetzel, Anlass und Ursache für Luthers Kampfschrift, strengte ein Inquisitionsverfahren in Rom an. Aufzuhalten war die Kritik an seinen Geschäften da schon nicht mehr.

Wahr ist dagegen eine andere, oft erzählte Geschichte: Die junge Zisterziensernonne Katharina von Bora floh tatsächlich mit einem Dutzend Gleichgesinnter aus dem Kloster. Ob sie dazu in ein Heringsfass stieg, überließ der Redner der Fantasie seiner Zuhörer. Katharina hatte damals jedenfalls Luther-Schriften wie "Die Freiheit des Christenmenschen" gelesen, in denen stand: "Ein Weibsbild ist nicht dazu geschaffen, Jungfrau zu bleiben, sondern Kinder zu tragen." Luthers Kinder, sechs eigene und zwei Pflegekinder, wuchsen in der 21-jährigen glücklichen Ehe auf, deren schriftliche Zeugnisse bis heute erhalten sind - als Beweis einer großen Liebe, die es nach den Geboten der Kirche nicht hätte geben dürfen.

Wahr ist übrigens auch, dass die deutsche Sprache seiner Bibelübersetzung eine Vielzahl neuer Redewendungen und Wörter verdankt: Fallstricke, Lückenbüßer, Wind säen, Sturm ernten - die Liste ist so lang, dass man das Fehlen des Spruchs vom Apfelbäumchen verschmerzen kann. "Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen" - das, da war sich Malessa sicher, sagte nicht Luther.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung