Schriesheim im Bild 2023

15.03.2004

Die Bilanz

Gerettet

Von Roland Kern

Machen wir uns nichts vor: Der Mathaisemarkt, in Ehren 425 Jahre alt geworden, stand in diesem Jahr auf der Kippe. Nach dem ersten Wochenende war der Ruf des Festes schwer ramponiert. Es war mehr die Rede von den "Rucksacktrinkern" als von Riesenrad, Festzelt, Straußwirtschaften oder BdS. Schlimmer noch: es mehrten sich die Stimmen, ob es denn überhaupt verantwortbar sein könne, ein Fest zu feiern, bei dem der Wein derart im Mittelpunkt steht - wo doch der Alkoholmissbrauch unter Jugendlichen so stark um sich greife? Dazu kam noch das tragische Unglück mit dem mittlerweile verstorbenen behinderten Mann. Alles wackelte.

Die aufgeweckten Männer der Schriesheimer und Weinheimer Polizei, vor allem aber Bürgermeister und Mathaisemarktchef Peter Riehl, sie haben - wohl instinktiv - den richtigen Weg gewählt: die Flucht nach vorne. Riehl, der keinen Hehl daraus macht, gerne dem Wein zuzusprechen, prangerte in heftigen Tönen den Missbrauch an. Die Polizei verstärkte die Einsatzkräfte. Und siehe da: sie hatten Erfolg. Am zweiten Wochenende ergaben sich die "Kampftrinker" kampflos. Sieger waren die Verantwortlichen des Mathaisemarktes mit ihren gewissenhaften Ordnungs- und Sicherheitskräften, deren offensive Beschäftigung mit dem Problem gleichzeitig dessen Lösung war - zumindest fürs Erste. Denn klar ist, dass die wachsende Zügel- und Maßlosigkeit der Jugendlichen dem Mathaisemarkt auf Dauer noch schwer zu schaffen machen wird. Aber diese gesellschaftliche Entwicklung ist nicht in Schriesheim zu stoppen - allerhöchstens vor den Toren des Mathaisemarktes abzuwehren.

Es war jedenfalls der richtige Weg, die Öffentlichkeit und damit auch das Umfeld der betroffenen Jugendlichen zu sensibilisieren. Es wäre falsch gewesen und töricht, wegen des Missbrauchs das ganze Fest in Frage zu stellen. Die Pflege der Weinkultur am Mathaisemarkt hat mit der "Kampftrinkerei" einiger unliebsamer Besucher nämlich überhaupt nichts zu tun. Mit dem selbstbewussten Auftreten haben die Verantwortlichen deshalb den Ruf des Festes in einem schwierigen Jahr gerettet. Kompliment.

A propos. Völlig zu Recht dürfte es ein Nachspiel haben, dass Winzer Karl-Heinz Wehweck im Keller seiner eigenen Straußwirtschaft jene "Alcopops" ausgeschenkt hat, die unter anderem in den letzten Wochen als ein Teil des Problems erkannt worden sind. Was ausgerechnet ihn geritten hat, der von den jugendlichen "Schnapsdrosseln" am meisten betroffen war, ist bislang noch sein Geheimnis. Vielleicht wird er sich in den nächsten Tagen zu den Gründen äußern. Seine Winzer-Kollegen und Riehl sind zurecht erbost. Mit diesem Verhalten macht sich Wehweck nicht nur selbst als Winzer unglaubwürdig - er fällt allen in den Rücken, für die Weingenuss genau das Gegenteil bedeutet vom Abschlucken tückisch gesüßter Spirituosen.

Der Mathaisemarkt 2004 wurde von den Diskussionen über Alkoholkonsum und - missbrauch dominiert. Und diese Diskussionen - offen und ehrlich geführt - können der Weinbaubranche nur nützen. Die ersten Schritte wurden getan.

Insgesamt war das Volksfest gerade bei den ersten garstigen Tagen am letzten Wochenende unterm Strich ein großer Erfolg. Klar, dass die Schausteller zu klagen haben; bei ihnen schlug das Wetter am meisten zu Buche. Aber im wieder einmal top-professionell geführten Festzelt, bei den Straußwirtschaften und im erneut interessant gestalteten BdS-Zelt konnte man gestern zufriedene Gesichter sehen. So war der Mathaisemarkt 2004 nicht nur eine Werbung für die Weinstadt unter der Strahlenburg. Er war, wie so oft in der Vergangenheit, ein Signal dafür, dass man es packen kann, gerade in schlechten Zeiten Optimismus zu verbreiten und Aufbruchstimmung. Da passte der wunderschöne erste richtige Frühlingstag gestern so richtig ins Konzept. Mathais bricht Eis. Das ist eben nicht nur aufs Wetter bezogen, sondern auf die allgemeine Stimmung. Insofern ist das große Fest seinem hohen Anspruch wieder gerecht geworden.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung