Schriesheim im Bild 2023

26.05.2004

"Durch Meckern wird's nicht besser"

RNZ-Kandidatenrunde zur Kommunalwahl heute mit den Neueinsteigern auf allen Listen - "Es ist eben an der Zeit"

Am RNZ-Redaktionstisch hatten diesmal zur Gesprächsrunde im Vorfeld der Kommunalwahl die Neueinsteiger der Listen Platz genommen, um mit RNZ-Lokalredakteur Roland Kern (r.) über Schriesheims Kommunalpolitik zu reden. Gesprächsteilnehmer (v.l. im Uhrzeigersinn) sind : Willi Dehoust (Grüne Liste), Dr. Walter Wolters (CDU), Herbert Graf (Freie Wähler), Marc Gnädinger (FDP) und Gabriele Mohr-Nassauer (SPD). Foto: Kreutzer

Von Roland Kern

Schriesheim. So war es bei Kommunalwahlen in Schriesheim schon immer: neue Gesichter tauchen auf, anderseits fassen sich alte Bekannte aus dem gesellschaftlichen Leben ein Herz, um endlich auch politisch ein Wörtchen mitzureden. Interessante Leute sind es aber allemal, die sich als Neueinsteiger erstmals auf einer Liste bewerben. RNZ-Redakteur Roland Kern unterhielt sich mit den Erst-Kandidaten im Rahmen einer RNZ-Gesprächsrunde zur Kommunalwahl. Besonders interessant: es gibt viele gemeinsame Ansatzpunkte.
Ganz Deutschland beklagt die Polititikverdrossenheit, und Sie haben beschlossen, in die Politik einzusteigen. Warum?

Mohr-Nassauer: Ich bin in Schriesheim aufgewachsen und lebe hier sehr gerne, ich habe auch schon lange die Kommunalpolitik verfolgt, allerdings waren meine Kinder noch zu klein, als dass ich die Zeit für ein politisches Amt gehabt hätte. Jetzt ist es eben an der Zeit.

Wolters: Das ist bei mir ähnlich. Es ist eine Frage der Lebensphase. Wenn man die berufliche Entwicklung auf den Weg gebracht hat und die Kinder groß sind, dann sollte man sich endlich auch dem Gemeinwesen widmen. Mit Parteipolitik, finde ich, hat eine Kandidatur für den Gemeinderat jedenfalls nichts zu tun.

Gnädinger: Das ist bei mir natürlich etwas anders. Ich habe in Heidelberg VWL studiert, und habe mich sehr für politische Vorgänge interessiert. Irgendwann habe ich einen Punkt erreicht, an dem ich morgens die Zeitung aufgeschlagen und mich nur noch geärgert habe. Da habe ich mich entschieden: jetzt nimmst du das Heft selbst in die Hand. Ich gebe zu, mittlerweile ist eine Leidenschaft daraus geworden.
"Ich fühle mich jetzt reif für so ein ehrenvolles Amt"

Graf: Ich bin ja seit Jahren aus Überzeugung ein Vereinsmeier. Und ich liebe meine Heimatstadt. Aufgrund meiner ehrenamtlichen Tätigkeit und meiner beruflichen Laufbahn, fühle ich mich jetzt reif für so ein ehrenvolles und anspruchsvolles Amt. Durch Meckern macht man nichts besser, nur durch Machen.

Dehoust: Ich bin schon seit ein paar Jahren bei den Grünen dabei, weil dort die Fraktionssitzungen immer öffentlich sind, fällt es einem leicht mitzuarbeiten. Politisch interessiert bin ich seit langer Zeit, unter anderem in der Agenda-Arbeit, der jetzt der offizielle Charakter leider fehlt. Da lag es nahe, zu kandidieren.
Aber mit der Kandidatur auf einer Liste bekennt man ja auch deutlich Farbe. Gab es da Probleme? Wurden Sie in Schubladen gesteckt?

Dehoust: Das war bei mir kein Problem, die Leute begegnen einem eher offen und sind neugierig. Man muss zu seiner politischen Meinung eben stehen.

Mohr-Nassauer: Nein, in meinem Bekanntenkreis wissen sowieso die meisten, wo ich politisch stehe. Ich stehe dazu, und habe in der Vergangenheit schon öfter bedauert, dass ich die Zeit für eine Kandidatur noch nicht hatte. Die meisten finden es gut.

Graf: Als Freier Wähler habe ich damit sowieso kein Problem. Für eine Partei würde ich auch nie antreten. Es spielt meiner Meinung nach auch gar keine Rolle: die Gemeinderatswahl ist eine reine Persönlichkeitswahl.

Wolters: Natürlich gibt es im Bekanntenkreis andere politische Meinungen,das muss auch so sein. Aber Freundschaften bleiben unabhängig von der politischen Zugehörigkeit.

Gnädinger: Komisch, mich haben am Anfang viele gefragt, ob ich für die Grünen kandidiere. Jung und grün, das passt wohl irgendwie. Aber ich war schon immer ein bisschen anders. Jetzt sind meine Erfahrungen sehr positiv. Manchmal werde ich schon auf der Straße von Leuten angesprochen und um Rat gefragt. Das finde ich toll.
Braucht der Schriesheimer Gemeinderat neue Köpfe und damit frischen Wind für mutige Entscheidungen?

Mohr: Die SPD braucht vor allen Dingen einmal Frauen in der Fraktion, das wird Zeit!

Wolters: Bei der CDU treten ja einige Kandidaten nicht mehr an, die Liste ist sehr jung. Es wird sich also ganz automatisch eine Veränderung ergeben. Und das ist gut so.

Graf: Eine Verjüngung braucht der Gemeinderat nicht unbedingt, denn Erfahrung ist ja auch etwas wert. Aber eine Erneuerung tut immer gut.

Dehoust: Bei den Grünen kandidieren ja alle fünf Stadträte wieder, auf den nächsten Plätzen sind Jugendliche. Wir wollen insgesamt ein gutes Ergebnis, dann haben diese Jungen auch die Chance.
Haben Neueinsteiger vielleicht andere, vielleicht sogar die besseren Blickwinkel für eine modernere Kommunalpolitik?

Wolters: Das ist durchaus denkbar. Ich bin ja kein gebürtiger Schriesheimer, wohne aber schon lange hier. Ich kenne die Belange der Alteingesessenen aber auch der Zugezogenen.

Dehoust: Ich bin ja über die Agenda-Arbeit mit der Kommunalpolitik stark in Berührung gekommen, mein Thema war damals die Verkehrsplanung. In der Agenda-Arbeit gibt es Vorgänge, da versucht man schon anders zu denken und neue Ansätze zu finden. Das sind die Vorteile eines Neueinsteigers.

Graf: Man sieht vieles unbedarfter. Allerdings, ob man die Arbeit am Ratstisch schließlich so tun könnte, wie man sich das vorgestellt hat, ist schwer zu sagen. Dort muss man doch Kompromisse eingehen, sonst funktioniert es nicht.

Dehoust: Wir Neuen würden uns natürlich schon reiben an den erfahrenen Stadträten, das schadet aber nichts.

Wolters: Die Aussage: das haben wir schon immer so gemacht, die zählt bei einem Neuen eben nicht.

Gnädinger: Vor allem ist es wichtig, dass junge Leute gewählt werden. Wir haben einen anderen Blickwinkel auf vieles: Zum Beispiel die desolate Internet-Präsenz der Stadt. Da kommt von den derzeitigen Gemeinderäten doch keiner drauf. Aber für uns gehört das Internet zum täglichen Leben. In diesem Gemeinderat stimmt das Altersverhältnis nicht mehr.

Dehoust: Neue Ideen sind immer gut. Ich nenne den Festplatz als Beispiel. Wer denkt da heute noch im Gemeinderat über eine Gestaltung nach? Da gehört einfach mal wieder ein Anschub her. Neue Leute bringen neue Impulse.

Mohr-Nassauer: Die Interessen neuer Stadträte würden auch woanders liegen. Zum Beispiel das große Thema Schule und Kindergärten. Die meisten unserer Stadträte sind doch dabei persönlich nicht mehr betroffen. Wenn man 50 oder 60 ist, dann ist das kein zentrales Thema im Leben.
"Gerade wenn das Geld fehlt, braucht man neue Ideen"

Graf: Stimmt. Erneuerung ist wichtig, aber mit Vernunft und Augenmaß. Ich bin zum Beispiel Elternbeirat im Kurpfalz-Gymnasium. Ich höre dort immer nur die eine Seite. Ich kenne Klassenzimmer und Toiletten, die verdienen diese Bezeichnung gar nicht. Dazu will ich auch die andere Seite kennen.
Aber die Zeiten sind hart, in den Kommunen fehlt das Geld. Kann man da als Stadtrat überhaupt noch etwas bewegen oder nur noch den Mangel verwalten?

Dehoust: Gerade da braucht man doch neue Ideen. Ich nenne nur die Radwege, da sind Verbesserungen möglich, ohne dass es viel kostet. Ganz oben steht die Zufahrt und die Kreuzung im Gewerbegebiet.

Graf: Das kann sogar eine Chance sein, neue Ideen zu suchen und zu finden. Aber wer nur meckert, verliert das Recht, sich zu Wort zu melden.

Mohr-Nassauer: Da gibt es Dinge, die man ohne viel Geld verbessern kann. Zum Beispiel durch einen Seniorenrat, der ehrenamtlich arbeitet. In so einem Gremium kann das Wissen der Senioren genutzt werden, bevor es verloren geht. Da wird auch Kreativität frei.

Dehoust: Dazu bräuchte man nur einen Raum, in dem sich die Senioren treffen können. Dazu wären nicht einmal Investitionen nötig. Etliche Räume stehen zumindest zeitweise leer und könnten dafür genutzt werden.

Mohr-Nassauer: Mir schwebt da eine Erhebung vor, was alte Menschen wollen. Die alten Schriesheimer haben weniger Probleme mit dem Kontakt. Aber Zugezogene brauchen eine Begegnungsstätte.
Im Gemeinderat wirft man der Verwaltungsspitze vorwerfen, die Finanzkrise sei hausgemacht. Wenn dem so ist, wäre die Lösung ja auch innerhalb Schriesheims zu suchen. Geht das?

Gnädinger: Ein Großteil der Krise ist hausgemacht. Wir leben seit Jahren davon, dass wir unser Vermögen verramschen. Wir haben Konzepte: Die Zuschüsse an die kommunalen Bildungseinrichtungen würden wir massiv kürzen, diese Einrichtungen müssen sich dem privaten Wettbewerb stellen. Es kann auch nicht sein, dass die Feuerwehr eine Drehleiter für 250 000 Euro bekommt, die nur für wenige Häuser passt. Da muss es gezieltere Zusammenarbeit mit anderen Kommunen geben, um Kosten zu sparen. Die einzigen, die ein Konzept zur Förderung ehrenamtlicher Arbeit haben, sind die Julis. Wir fordern ein Engagier-Dich-Tagebuch. Die Stadtverwaltung kann Projekte ausschreiben, die früher hauptamtlich geleistet und bezahlt werden mussten. Leute können das ehrenamtlich leisten, sparen der Kommune viel Geld und bekommen das in ihrem Lebenslauf bescheinigt. In anderen Städten läuft das schon sehr erfolgreich.
Die FDP hat ein neues Gewerbegebiet gefordert, ist das die Lösung?

Gnädinger: Wir finden: ja. Es kann ja nicht sein, dass in Schriesheim das Pro-Kopf-Einkommen enorm hoch ist und das Konsumverhalten weit unter dem Durchschnitt.

Dehoust: Ein Gewerbegebiet ist doch Quatsch. Wer sich in der Gegend umschaut, in Ladenburg und Hirschberg, der erkennt doch, dass es überall leere Gewerbeflächen gibt.

Graf: Ohne vorher den tatsächlichen Bedarf zu ermitteln, wäre das blanker Unsinn.

Wolters: Konsum und Bedarf werden auch erzeugt. Deshalb halten wir auch die Erschließung des Neubaugebietes Nord für richtig. Die neuen Bewohner werden konsumieren und zur Erholung der Gemeindefinanzen beitragen. Die Ansiedelung neuer Bürger ist gut für die Stadt.

Graf: Es war vor allem höchste Zeit, auch den Grundstücksbesitzern gegenüber. Die haben nämlich 30 Jahre darauf gewartet.

Mohr-Nassauer: Obwohl ich es persönlich sehr bedaure, dass ein Stück Lebensraum für die Freizeitgestaltung verloren geht.
Braucht Schriesheim mehr Jugend-Sozialarbeit?

Dehoust: Natürlich muss man die Jugend im Alter zwischen 14 und 21 Jahren begleiten und darf sie nicht alleine lassen. Die halbe Sozialarbeiterstelle ist zu wenig, bei aller Knappheit der Mittel. Frau Michelmann kann gar nicht das leisten, was sie leisten müsste. Wenn ich da sehe, wie manchmal an anderer Stelle das Geld ausgegeben wird. im Übrigen wendet sie bereits jetzt mehr Stunden auf als dies der halben Stelle entspricht.

Wolters: Für mich genießt da die freiwillige und ehrenamtliche Arbeit in den Vereinen Priorität, was für das Gemeinwohl unentgeltlich geleistet wird, scheint mir wertvoller als bezahlte Arbeit.
"Jugendsozialarbeit ist eine Investition in die Zukunft"

Gnädinger: Die Julis wollen die Vollzeitstelle für die Jugendsozialarbeiterin, weil wir das nicht als Ausgabe sondern als Investition in die Zukunft unserer Stadt betrachten. Am Push-Verein sieht man doch, dass es der Stadt Geld spart, wenn die Sozialarbeiterin ihren Job gut machen kann.

Mohr-Nassauer: Die SPD will das auch, obwohl es finanziell schlecht aussieht. Das sehen wir wie die Julis: die Stelle ist als Zukunftsinvestition wichtig.

Graf: Unter Sozialarbeit für Jugendliche stelle ich mir mehr vor als das, was im Moment geleistet wird. Da muss man an die Problemfälle ran.
Wo sehen Sie Defizite in der Stadt, wo würden Sie im Gemeinderat ansetzen?

Dehoust: Zum Beispiel bei den Spielplätzen oberhalb der B 3. Auch hier wieder: selbst ohne viel Geld könnte man manches tun. Man könnte hier die Eltern ansprechen oder die Handwerker.

Gnädinger: Große Defizite gibt es in Altenbach. Die Ruftaxi-Verbindung muss dringend ausgebaut werden. Für Jugendliche, aber auch für die älteren Mitbürger.

Graf: Mein Lieblingsthema: wir brauchen eine Sportlerehrung, das fordere ich schon seit acht Jahren. Das wäre ganz wichtig für die Jugendarbeit in den Vereinen, man glaubt nicht, wie sehr so eine Ehrung die Jugendlichen motiviert.

Gnädinger: Aber nicht nur für Sportler, auch für andere Leute, die sich ehrenamtlich engagieren.

Graf: Einverstanden.

Mohr-Nassauer: Ich auch, die Stadt schmückt sich schließlich auch mit den Ehrenamtlichen, da ist es nur richtig, etwas zurückzugeben.

Wolters: Wir sind da naürlich auch dafür, es kann wohl nicht sein, dass zu diesem Thema kein Konsens herzustellen ist.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung