Schriesheim im Bild 2023

16.06.2004

Woher und wohin weht der frische Wind?

Schon beginnen im Schriesheimer Rathaus die Rechenspiele für die künftige Gemeinderatsarbeit - Eine Analyse der Kommunalwahl
Von Roland Kern

Schriesheim. Die Schriesheimer haben mit ihrem Wahlverhalten am Sonntag eine klare Botschaft ausgesendet: sie wollten frischen Wind in die Kommunalpolitik der Stadt pusten. Und das ist ihnen gelungen: sieben neue Stadträte, überwiegend Frauen und junge Leute unter 25 Jahren sind neu ins Gremium eingezogen. Es herrscht Umbruchstimmung.

Nach der ausführlichen aktuellen Berichterstattung gestern nun eine Analyse der Ergebnisse.

Rechenspiele. Und diese Stimmung wird sich schon in den nächsten Monaten auf das Klima am Ratstisch auswirken. Bereits gestern morgen begannen einige Tüftler mit Rechen- und und Mehrheitsspielchen. Alle gehen davon aus, dass die Grünen als jetzt zweitstärkste Kraft im Gemeinderat, den Posten des zweiten Bürgermeister-Stellvertreters beanspruchen werden. Den müsste die Gemeinderats-Mehrheit dann dem Freien Wähler Heinz Kimmel streitig machen. Es fällt allerdings schwer zu glauben, dass die bürgerliche Verbindung zwischen CDU und FWV die rechnerisch und demokratisch völlig legitime Forderung der Grünen dulden oder gar zulassen wird. Das gibt schon den ersten Streit, den die verschobenen Verhältnisse bewirken. Grabenkämpfe könnten bevorstehen, selbst die Wahl des Ursenbacher Ortsvorstehers kann künftig zum Politikum werden.

Die Analyse

Geschrumpfte Mehrheit. Die bürgerliche Mehrheit, die Jahre lang die Politik Schriesheims meistens im Einklang mit Bürgermeister Peter Riehl bestimmt hat, ist geschrumpft: Die richtungsweisenden Entscheidungen fielen früher 17 zu 11 aus (wenn man Bürgermeister Peter Riehl zu der FWV/CDU-Mehrheit zählt). Künftig wird daraus 16 zu 13. Zwei Abweichler bei den Bürgerlichen reichen schon aus, um einen Richtungswechsel zu ermöglichen, Urlaub oder krankheitsbedingtes Fehlen können schon zum Risikofaktor der bislang verwöhnten Mehrheit werden. Also werden die Grünen vor entscheidenden Sitzungen künftig noch offensiver Meinungsbildung betreiben als bislang schon. Keine Mehrheit ist mehr sicher.

Der "Jäck-Verlust". Ein paar Beobachtungen von den absoluten Stimmzahlen, dazu ein paar Rückschlüsse: Die CDU hat - Bundestrend hin oder her - vor allem das Ausscheiden ihrer Stimmenfänger Ludwig Jäck, Gerd Bartsch und Dr. Horst Fleck nicht verkraftet. Diese drei Kandidaten haben 1999 gemeinsam fast 10 000 Stimmen mobilisiert. Mit 10 000 Stimmen mehr hätten die "Schwarzen" ihre alte Stärke behalten, zumal die Kandidaten der vorderen Listen kräftig zugelegt haben. Die Rekordzahl von Spitzenkandidat Siegfried Schlüter ist übrigens der gerechte Lohn für sympathische Arbeit als Vize-Bürgermeister und ein geschliffenes Profil im Gemeinderat. Wohl niemand bleibt dort so seinen Prinzipien so treu, wie der langjährige CDU-Fraktionschef.

Die Jungen Wilden. Auch bei der CDU sind die Jungen auf dem Vormarsch. Schade, dass es keiner ins Gremium geschafft hat. Das hätte auch alle anderen motiviert. Aber ganz klar: die jungen Kandidaten auf allen Listen haben es geschafft, die Jungwähler zu mobilisieren. Das ist vielleicht der positivste Aspekt der Kommunalwahl. Die Jungen Wilden der CDU folgen gleich auf die Gewählten, der ehrgeizige FDP-Youngster Marc Gnädinger liegt bei den Liberalen hinter Dr. Birgit Arnold und Ingeborg Scharf auf Platz Drei, auch die Jusos nehmen vordere Plätze bei der SPD ein. Diese Entwicklung könnte der FWV wichtige Stimmen gekostet haben: denn dort ist Georg Bielig kein wirklich Junger mehr, sondern ein gestandener Kellermeister und Geschäftsmann.

Der Trend treibt sogar bunte Blüten, so dass Jungsozialist Julian Bott immerhin noch auf Rang 14 seiner Liste gelandet ist - dabei befindet er sich auf einem Auslandsaufenthalt und beteiligte sich am Wahlkampf gar nicht.

Keine Vereinsmeier. Ein Gesetz aus vergangenen Schriesheiner Gemeinderatswahlen bewahrheitete sich auch diesmal wieder. Es lautet: Die führenden Köpfe der Vereine gelten in der Bevölkerung als Spezialisten und Interessensvertreter ihrer eigenen Sache. Der Wähler traut ihnen ein politisches Amt nicht zu. SV-Vorstand Lothar Götzmann kommt bei der CDU über Platz 15 nicht hinaus, bei der FWV bleiben KSV-Ringerchef Herbert Graf, Raubritter Vorsitzende Sabine Reinhard, Fußballer Matthias Urban und - am drastischsten - Liederkranz-Vorsitzender Jürgen Betzin deutlich hinter ihren Erwartungen zurück. Auch die SPD ist vor diesem Effekt nicht geschützt: die letzten beiden Plätze belegen Hartmut Klein und Claus Breutner, der eine ist Vorstand der Sportschützen, der andere als emsiger Vizevorsitzender des Verkehrsvereins bekannt. A propos SPD. Die Sozialdemokraten sollten bei allemJubel über die Erneuerung der Fraktion, den Verlust ihres langjährigen Stadtrates Frieder Menges bedauern. Der Mann war stets einer der unbequemen und fleißigen Stadträte. Schade, er wird fehlen.

Grüne Fensenbäume. Wie immer lohnt sich ein Blick auf die einzelnen Wahlbezirke. Es war übrigens CDU-Stadtrat Paul Stang, der noch am Abend der Auszählung eine für seine Partei tragische Schlussfolgerung zog: "Wir setzen uns am stärksten für neue Baugebiete ein, und die neuen Schriesheimer wählen dann die Grünen." Stang hat völlig Recht. In den beiden Fensenbäumen-Bezirken wurden die Grünen mit mehr als 30 Prozent stärkste Partei - dazu zählen allerdings auch die Mannheimer Straße und die Gegend rund ums Schulzentrum.Es ist übrigens eine eindeutige Wechselwählerschaft zwischen den Grünen und der SPD zu erkennen, soll heißen: Wo die Grünen stark sind, ist die SPD schwach und umgekehrt. Die "Roten" schaffen nur einmal den Sprung über die 30-Prozent-Marke: im Gebiet rund um die Talstraße. Die geringsten Schwankungen müssen übrigens die Freien Wähler hinnehmen: die FWV schneidet ziemlich einheitlich überall zwischen 20 und 25 Prozent ab. Während das Spektrum bei den Grünen bei 15 Prozent beginnt (Talstraße) und bei 33 Prozent endet (Schulzentrumsnähe). Die CDU schwankt zwischen 21 Prozent am Schulzentrum und 36 Prozent (südlich der Passein, St. Wolfgang- Straße u.a.). Die FDP hat ihren Spitzenplatz nach wie vor auf dem Branich, wo sie ein Traumergebnis von 12,4 Prozent schafften.

Wo liegt Nord? Natürlich darf der Blick auf den "Nord-Wahlbezirk" nicht fehlen, also auf die Straßen, die an das umstrittene Neubaugebiet grenzen: Dort gewinnen interessanterweise die Freien Wähler mit 26 Prozent - also die grtoßen Befürworter des Neubaugebietes. Was wiederum darauf hindeuten könnte, dass die "Nord-Frage" weniger wahlentscheidend war als zunächst angenommen. Aber ganz bis ins Detail wird man eine Kommunalwahl wohl nie analysieren können.

Die Altenbacher Linie. Interessant verläuft die Linie übrigens in Altenbach. Der Kipp-Hügel südlich der Hauptstraße ist mit 36 Prozent fest in CDU-Hand, die andere Seite ist ein bewährtes Pflaster der Freien Wähler geworden: 31,81 Prozent.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung