Schriesheim im Bild 2023

19.06.2004

Bei uns gibt es noch keine verkrusteten Strukturen

Alle sieben neu gewählten Schriesheimer Stadträte trafen sich gestern bei der RNZ zum ersten Streitgespräch - bei dem allerdings gar nicht gestritten wurde

Die sieben neuen Stadträte an einem Tisch: (v.l.) Jutta Becker, FWV, Johannes Scharr, Dr. Annette Heuer (Grüne Liste), Thomas Edelmann (CDU), Alfred Burkhardt (FWV), Dr. Maria Bullinger-Baier und Sebastian Cuny (beide SPD) im Gespräch mit RNZ-Lokalredakteur Roland Kern. Fotos: Dorn

Schriesheim. Eine geballte Ladung Innovation in der RNZ-Geschäftsstelle: Gestern Mittag trafen sich dort alle sieben am Sonntag neu gewählten Schriesheimer Stadträte zum Streitgespräch.Obwohl: Jutta Becker, Alfred Burkhardt (beide FWV), Johannes Scharr, Dr. Annette Heuer (beide Grüne), Sebastian Cuny und Dr. Maria Bullinger-Baier (beide SPD) und Thomas Edelmann (CDU) verstanden sich besser als erwartet. Fast schon ein neues "Wir-Gefühl" im neuen Gremium. Das Gespräch moderierte RNZ-Redakteur Roland Kern.

Haben Sie am Montagabend nach der Auszählung eigentlich so richtig gefeiert, oder überwiegt der Respekt vor dem künftigen Amt?

Cuny: Also ich beginne jetzt erst langsam, zu realisieren, was da geschehen ist. Das Ergebnis kam ja für mich sehr überraschend, ich brauchte einige Tage, um mich an den Gedanken zu gewöhnen, bald Stadtrat zu sein.

Becker: Natürlich habe ich mich sehr gefreut. Aber die Gefühke sind zwiespältig, immerhin kommt eine große Verantwortung auf uns zu.

Scharr: Ich war auch sehr überrascht, natürlich hatte ich schon nach meiner Zeit im Jugendgemeinderat Interesse angemeldet, dass das aber so schnell gehen würde . . . das muss sich erst einmal setzen. Der Wahlabend war übrigens lustig: zu später Stunde haben sich zufällig die Jugendlichen aller Listen nochmal im Kaffeehaus getroffen, um gemeinam zu feiern.

Heuer: Natürlich war ich hocherfreut über mein persönliches Ergebnis, aber die Freude über das Abschneiden der Grünen insgesamt hat überwogen. Das war ein Erfolg durch alle und für alle. Ich kann mir schon ungefähr vorstellen, welche Arbeit auf mich zukommt, da ich ja auch immer an den Fraktionsitzungen teilgenommen habe, die bei den Grünen öffentlich sind.

Edelmann: Das geht mir auch so, als Ortsvorsteher war ich ja in den letzten fünf Jahren immer bei den Gemeinderatssitzungen dabei.

"Der Gemeinderat wird lebendiger werden und das ist gut so"

Burkhardt: Ich habe mich natürlich über das tolle Ergebnis für Altenbach gefreut, obwohl ich es sehr bedaure, dass die SPD dort mit Dieter Lucke ihre Stimme im Gemeinderat verloren hat.

Bullinger-Baier: Diesem Bedauern schließe ich mich natürlich an. Was auf mich zukommt, kann ich mir vorstellen, denn ich habe ja die Kommunalpolitik in den letzten Jahren sehr genau verfolgt. Ich weiß auch, dass es Arbeit ist und dass man sein Leben gut organisieren muss, um sie zu schaffen.

Müssen sich Bürgermeister Riehl und die etablierten Gemeinderäte warm anziehen bei dem ganzen frischen Wind?

Bullinger-Baier: Der Gemeinderat wird lebendiger werden und das ist doch auch gut so. Eine Gemeinde braucht Lebendigkeit

Heuer: Es werden neue Aspekte in die Gemeinderatsarbeit einfließen, schon weil es mehr Frauen und mehr echte Jugendliche gibt. Wir bringen natürlich neue Ideen mit.

Scharr: Das ist ja auch eines der Signale dieser Wahl: dass die Jugendlichen zur Wahl gegangen sind und sich ihre eigenen Vertreter gewählt haben. Wir bringen mit unserem jugendlichen Elan nun Schwung in den Gemeinderat.

Bullinger-Baier: Was wiederum Jugendlichen die Möglichkeit gibt, sich mehr mit der Kommunalpolitik zu beschäftigen. Ich finde das sehr gut.

Cuny: Das haben wir ja auch schon vor der Wahl geschafft, das beweist ja die hohe Wahlbeteiligung vor allem bei den jungen Wählern.

Heuer: Das fängt ja damit an, dass wir besser kommunizieren können als die Älteren, die sich schon eingeordnet haben. Bei uns gibt es noch keine verkrusteten Strukturen.

Bullinger-Baier: Wir haben ja auch im Wahlkampf schon gut miteinander geredet, wir sind ja keine Feinde, sondern arbeiten gemeinsam am gleichen Projekt.

Becker: Ich hoffe, dass die starke Polarisierung, die ich manchmal am Gemeinderat bemängelt habe, nun aufgebrochen wird. Da wurden manchmal Diskssionen zu breit getreten. Dabei ist nur Zeit vergeudet worden. Das schadet auch dem Ansehen in der Öffentlichkeit.

Burkhardt: Ich will nicht von frischem Wind reden, das klingt gleich so provokativ. Aber es werden andere Diskussionen stattfinden, Sachthemen müssen im Vordergrund stehen, und zwar parteiübergreifend.

Heuer: So wie das der Altenbacher Ortschaftsrat ja vorgemacht hat.

Apropos Altenbach, wie es aussieht, hat auch der Stadtteil im Gemeinderat mehr Einfluss bekommen, schließlich ist der Ortsvorsteher jetzt selbst Stadtrat, und dann gibt es ja bei den Grünen eigentlich zwei Stadträte: Wolf und Heuer. . .

Burkhardt: Altenbach war schon immer gut aufgestellt, wenn es die Forderungen an Schriesheim ausgewogen gestellt hat. Daran wird sich nichts ändern. Und wir werden weiterhin parteiübergreifende Mehrheiten im Gemeinderat finden.

Heuer: Bei uns gehörte das sowieso immer zur grünen Kultur, Beschlüsse aus den Ortschaftsräten im Gemeinderat umzusetzen, daran wird sich nichts ändern.

Burkhardt: Ohne dass ich Parteiwerbung für die Grünen machen will: dass die Grüne Liste immer zu den Stadtteilen gehalten hat, im Gegensatz zu manchen anderen Fraktionen, das hat ihr sicherlich keine Stimmenverluste eingebracht . . .

"An den Wahlständen sind sich alle Kandidaten näher gekommen"
Welche neuen Themen wird es nun geben mit sieben neuen Leuten am Ratstisch, oder: welche alten Themen werden neu diskutiert?

Cuny: Na, sicher die Jugendpolitik, da wir jetzt so stark vertreten sind, werden wir noch offensiver Überzeugungsarbeit leisten.

Heuer: Das kann jetzt auch viel authentischer geschehen.

Bullinger-Baier: Das Thema wird lauter werden im Gemeinderat.

Scharr: Klar, wir haben da einen Auftrag unserer Wähler und wir werden versuchen, die Mehrheit zu knacken. Wir werden den anderen klar machen, dass die Forderung nach einer ganzen Sozialarbeiterstelle keine Spinnerei ist. Da muss ein Umdenken stattfinden.

Cuny: Der Wählerwille war doch eindeutig in Richtung Freie Jugendarbeit gerichtet: Johannes Scharr und ich haben dieses Thema offensiv besetzt und haben unter den jungen Kandidaten am meisten Stimmen bekommen.

Burkhardt: Das Thema Jugend darf man auch nicht nur auf die Jungen im Gemeinderat fixieren, es gibt Leute, die sind mit 18 schon älter als andere mit 35.

Cuny: Das haben wir ja in den letzten fünf Jahren im Gemeinderat gesehen.

Becker: Wobei man auch realistisch bleiben muss. Schriesheim hat in vielen Bereichen ein hohes Niveau. Und auch der neue Gemeinderat wird angesichts der Finanzlage viel Energie aufbringen müssen, das zu bewahren.

Bullinger-Baier: Aber es gibt auch noch viele freie Ressourcen bei der Ehrenamtlichkeit, vor allem bei den älteren Menschen. Viele haben Zeit und nur noch die Gelegenheit, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Da muss sich die Stadtverwaltung neue Wege gehen, um das zu nutzen.

Heuer: Richtig, Ich sehe da nicht nur einen menschlichen Aspekt, sondern auch einen wirtschaftlichen für die Stadt. Noch mehr ehrenamtliches Engagement zu wecken, das bedeutet auch mehr Identifikation der Menschen mit ihrer Stadt, das ist auch ein Wirtschaftsfaktor.

Becker: Die Verkehrssituation in Schriesheim wird ein großes Thema für den neuen Gemeinderat sein.

Burkhardt: Da haben die Freien Wähler ja eine eindeutige Forderung aufgestellt: eine zweite Einfahrt von der B 3 ins Gewerbegebiet, das würde ganz Schriesheim Süd entlasten. Das ist etwas, was wir Neuen auch besser fordern können. Bisher hieß es immer: das wird nicht genehmigt. Wir geben uns damit aber nicht meh zufrieden.

Bullinger-Baier: Genau, es geht auch darum, das richtige Maß zu finden, was man den Behörden glauben muss und was nicht. Wir Neuen sind da sicherlich unverkrampfter.

Heuer: Noch ein Beispiel ist die Heidelberger Straße. Wir hatten da ja samstags alle unsere Wahlstände. Das hat richtig Spaß gemacht, da sind sich die Kandidaten auch näher gekommen über Parteigrenzen hinweg. Und alle waren sich plötzlich einig, dass es besser wäre, wenn dort samstags keine Autos mehr fahren würden.

Bullinger-Baier: Genau. Und die ganzen Passanten waren mit uns einer Meinung. Burkhardt: Wir sind uns ja darüber einig, dass das Baugebiet Nord die Wahl entscheidend beeinflusst hat. Der neue Gemeinderat wird auch dieses Theme anders diskutieren, hoffe ich.

Aber die Entscheidungen sind alle gefallen.

Burkhardt: Das stimmt, grundsätzlich bin ich ja auch für dieses Baugebiet, weil es für Schriesheims Entwicklung notwendig ist. Aber städtebaulich ist dort alles völlig falsch gelaufen. Wir hatten die Chance, Städtebau von Morgen zu machen. Stattdessen bietet Nord nicht einmal Städtebau von Heute, sondern von Vorgestern!

Können Sie das konkretisieren?

Burkhardt: Da ist das so genannte Öko-Gebiet, das gar keins ist. Dort werden Familien-Ghettos entstehen, die sozial problematisch sind. Dort kann sich niemand entwickeln und entfalten.

"Es ist wichtig, dass der neue Gemeinderat nicht in Schubladen denkt"

Heuer: Moderne junge Familien haben heute ganz andere ökologische Anforderungen an ihren Wohnraum als das in Nord geboten wird. Außerdem sehe ich immer noch das finanzielle Risiko für die Stadt. Die Stadt hat bislang dort nur jede Menge Grund und Boden erworben, aber noch keinen Euro erhalten.Burkhardt: Ich sage, dass Baugebiet wird gar nicht so umgesetzt werden können, wie es geplant ist. Der neue Gemeinderat wird hoffentlich Änderungen vornehmen, auch wenn das nur noch in kleinen Schritten möglich ist.

Wie sehen Sie denn die neue Rolle der Grünen im Gemeinderat? Konkret: Wie stehen Sie dazu, dass die Grünen als zweitstärkste politische Kraft einen Bürgermeister-Stellvertreter fordern werden?

Burkhardt: Das kann man nicht so einfach beantworten, da sind auch die gesamten Verhältnisse im Gemeinderat maßgebend und nicht nur die Fraktionsgröße der Grünen. In Altenbach haben wir das erfolgreich praktiziert: da hat Dieter Minor als SPD-Mann und Stellvertreter hervorragende Arbeit gemacht, obwohl die CDU eigentlich wegen ihrer Fraktionsstärke auf das Amt einen Anspruch gehabt hätte. Prinzipiell steht den Grünen der Posten zu, aber wir werden das noch sehr sachlich in der Fraktion diskutieren. Es ist wichtig, dass der neue Gemeinderat nicht in Schubladen denkt.

Cuny: Das könnte ich doch gar nicht als Mitglied einer Minderheitsfraktion: ich zähle auf die Freien Wähler.

Burkhardt: Und wir freunden uns mit der Aufgabe an, öfter das Zünglein an der Waage zu sein.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung