Schriesheim im Bild 2023

22.10.2004

Peter Hartmann - Schriesheims zweites Wahrzeichen

Der erste und einzige Ehrenbürger der Weinstadt feiert heute seinen 90. Geburtstag - Er hat seine Heimatstadt geprägt und gesteuert wie kein Zweiter


Von Roland Kern

Schriesheim. Es gibt nur ganz wenige Menschen, die schon zu Lebzeiten eine Legende sind. Peter Hartmann, der erste und bislang einzige Schriesheimer Ehrenbürger, gehört zu ihnen. Heute feiert er in bewundernswerter körperlicher und geistiger Verfassung seinen 90. Geburtstag. Kein anderer Mensch hat die Stadt so geprägt wie er.

Im Vorfeld seines Geburtstages, den er heute standesgmäß in größerem Rahmen im Bacchuskeller der Weinstube Hauser am Festplatz feiert, haben wir in der Redaktion Fotomotive überlegt. Wie könnte man diesen Mann angemessen abbilden? Einige erinnerten sich an das Foto in den Tabakfeldern, das der Jubilar selbst so gerne hat. Aber das hätte zu kurz gegriffen, Peter Hartmann ist zwar Bauer aus Leidenschaft; auch heute noch. Jedoch sein Wirken für die Stadt und die Region ist vielfältiger. Kurzzeitig dachten wir auch an das Motiv, bei dem er auf seinem schwarzen Fahrrad, den grünen Parka an, die karierte Mütze auf dem Kopf, die Talstraße hinunterfährt. Oder am Steuer seines alten Traktors? Dann fiel die Wahl aber doch auf die Strahlenburg im Hintergrund. Beide gehören als Symbole dieser Stadt zum Erscheinungsbild Schriesheims. Beide gleichsam fest vermauert, wie Urgesteine aus einer alten Zeit, die heute noch präsent ist. Schriesheim hat zwei Wahrzeichen: die Strahlenburg und ihren Ehrenbürger Peter Hartmann.

"An den wesentlichen Eckpunkten

hat er immer gelenkt"

Die Lebensgeschichte dieses Mannes mit Höhen und Tiefen, glücklichen Zeiten und schweren persönlichen Nackenschlägen ist vor allem von seiner prägenden Wirkung auf seine Heimatstadt gekennzeichnet. An den wesentlichen Eckpunkten der Nachkriegsgeschichte Schriesheims hat immer Peter Hartmann eingegriffen und gelenkt. Damit hat er die jüngere Geschichte und die Entwicklung der Stadt so stark beeinflusst wie kein anderer Bürger dieser Stadt. Jahrzehntelang hat er die Fäden gezogen, die mächtigen Gruppen und Organisationen in der Hand gehabt und die richtigen Leute gefördert.

Wie oft war dieser Mann schlauer, gerissener, schneller, machtbewusster, zielstrebiger und manchmal einfach auch ein bisschen ausgebuffter als seine Kontrahenten oder Wegbegleiter! Und auf der anderen Seite ist dieser Peter Hartmann, der sich in den letzten Jahren seinem 90. Geburtstag genähert hat ohne zu altern, auch ein bewundernswert markanter Typ Mensch. Knorrig wie eine alte deutsche Eiche, dabei aber von großer menschlicher Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft, ausgestattet mit einem Gedächtnis, auf das jüngere Menschen stolz wären. Mit ungebrochenem Tatendrang und stetiger Energie, etwas zu bewegen. Dabei versehen mit einem bodenständigen Humor und erstaunlicher Toleranz gegenüber anderen Menschen. Deshalb ist die Lebensgeschichte Peter Hartmanns nicht nur politisch eine Erfolgsstory. Sie ist auch eine menschelnde Geschichte voller kleiner Anekdoten.

Die berühmteste ist natürlich jene, wie Hartmann 1953 als junger Gemeinderat auf Bürgermeister-Suche ging. Es war das Jahr nach dem berühmten Schriesheimer Bürgermeister-Streit des Jahres 1952, in dem Hartmann gemeinsam mit seinem Freund und Wegbegleiter Theodor Riehl die Freien Wähler aus der Taufe gehoben hat - als Protestbewegung der Schriesheimer gegen die Landesbehörden. Hartmann war mit seinem Fahrrad in der Talstraße unterwegs und traf auf den jungen Mediziner Dr. Karl Schuhmann, den späteren CDU-Gemeinderat. Und beide baldowerten aus, wer ihnen als Bürgermeister passen würde. Hartmann hatte zunächst seinen Onkel, den Rathaus-Ratsschreiber Martin Ringelspacher gefragt, der ihn einst in die Kommunalpolitik eingeführt hatte. Der lehnte ab. So kamen die beiden Drahtzieher auf den Buchhalter Wilhelm Heeger, der einen Ruf als braver und überaus korrekter Mann besaß. Hartmann war damals in der Stadt schon mächtig genug, um Heeger so zu positionieren, dass er natürlich auch gewählt wurde. Er selbst wurde bald darauf Bürgermeister-Stellvertreter. Das war der erste Schritt auf dem Weg zur Grauen Eminenz; er ist es teilweise bis heute geblieben.

Schon in den 60er Jahren baute Hartmann seinen nächsten Bürgermeister auf: Peter Riehl, den Sohn seines Freundes Theodor Riehl. Selten ist eine kommunalpolitische Karriere so geplant worden. Die heutigen hoch bezahlten Wahlkampfmanager könnten bei Peter Hartmann in die Lehre gegangen sein. Riehl spielte mit, Hartmann war sein politischer Ziehvater, sein großes Vorbild und sein väterlicher Freund.

Der junge Mann wurde früh zu den richtigen Stammtischen mitgenommen, im größten örtlichen Gesangverein, dem Liederkranz, etabliert (dessen Vorsitzender niemand anderes als Peter Hartmann war), er absolvierte die höhere Verwaltungslaufbahn und schlüpfte 1974 in das Bürgermeisteramt hinein wie in einen maßgeschneiderten Anzug. Und Peter Hartmann wurde wieder Stellvertreter.

Das ist die historische Rolle des Jubilars: durch sein Maschenknüpfen im Netz der Schriesheimer Beziehungen hat er die Nachkriegsgeschichte seiner Heimatstadt gelenkt ohne selbst in vorderster Reihe zu stehen. Dazu kam über viele Jahre hinweg der zielgenaue Instinkt des schlauen bodenständigen Bauern bei wichtigen politischen Entscheidungen. Höhenflüge und Visionen waren ihm fremd, alles Konkrete motivierte ihn hingegen, unbürokratische und pragmatische Lösungen zu finden. Der Ehrenbürger ist ein Macher, ein Schaffer, ein Wiederaufbauer.

"Der Sache willen

konnte er Brücken bauen"

Hartmann setzte Akzente für die Infrastruktur seiner Stadt, brachte den Kanalbau und die Wasserversorgung voran, trieb mit großem Elan Neubaugebiete voran, verwurzelte seine Stadt Anfang der 70er Jahre im neuen Landkreis, dessen Kreistag er angehörte, versorgte die Landwirte mit einer Flurbereinigung, die für sie überlebensnotwendig war. Überhaupt: Bis heute ist Peter Hartmann ein stolzer Bauer. Jahrelang gehörte er im Land zu den führenden Funktionären des Tabakbaus, die Mathaisemarkt-Tabakprämierung hätte ohne ihn, den passionierten Zigarrenraucher (nur alte badische, auch wenn es ein bisschen stinkt), nicht ihren Stellenwert. Es gab Jahrzehntelang nicht viel, was in Schriesheim bewegt wurde und dabei nicht von Peter Hartmann angestoßen oder beschleunigt worden ist.

Als er 1993 nach 40 Jahren aus freien Stücken seinen Platz am Ratstisch räumte, wurde er nicht nur mit der Ehrenbürgerwürde verabschiedet. Vertreter aller Fraktionen verneigten sich vor ihm - auch wenn er meistens kein besonders rücksichtsvoller politischer Kontrahent war. Hartmann machte Kommunalpolitik mit hochgekrempelten Ärmeln. Aber um der Sache willen konnte er Brücken bauen. So formulierte es übrigens die damalige SPD-Fraktionschefin Dr. Helga Köhler, die nicht gerade mit dem FWV-Gegenüber auf der gleichen Wellenlinie lag.

Geschichten um dieses erfüllte Leben gibt es viele. Die meisten zeichnen den Menschen Peter Hartmann, die Persönlichkeit: 1998, im Alter von 84 Jahren, lag er zum ersten Mal in seinem Leben im Krankenhaus; er war beim Kirschenpflücken von der Leiter gestürzt und hatte sich die Rippen gebrochen. Wo andere jammern und klagen, soll er geschimpft haben wie ein Rohrspatz.

Die beste seiner Eigenschaften ist aber sicherlich jene geistige Mobilität und Klarheit, die er sich erhalten hat - bei seiner knorrigen Art überrascht sie einen bisweilen sogar.

Vor sieben Jahren gab er die entscheidenden Impulse, damit sein Liederkranz endlich ein Vereinsheim bauen sollte. Heute ist Schriesheims ältester Gesangverein ein moderner Kulturclub. Im Alter von über 80 Jahren ließ er es sich nicht nehmen, als Kreisrat den Förderpreis für die beste Rock- und Popveranstaltung zu verleihen.

Und vor einem Jahr - natürlich in einer ganz anderen historischen Dimension - stand er ganz vorne, um die einst aus Schriesheim vertriebenen Juden mit großer Herzlichkeit in der alten Heimat zu begrüßen. Dabei weiß jeder, dass sich Hartmann als junger Kerl von den Ideen der Nazis durchaus begeistern ließ. Er kann auch mit 90 Jahren noch lernen und sich entwickeln. Wir freuen uns noch auf viele spannende Jahre mit ihm.

Zu Peter Hartmanns 90. Geburtstag erscheint auch eine Biographie, bearbeitet von Rosalinde Minor. Heute Abend wird das Buch präsentiert. Daten und Fakten

21. Oktober 1914: Peter Hartmann wird in Schriesheim geboren

1937: Er übernimmt als gelernter Landwirt den elterlichen Betrieb, den nach dem frühen Tod des Vaters der Großvater geleitet hat

1952: Gründungsmitglied der Freien Wähler

1953-1993: Gemeinderat und Stadtrat in Schriesheim

1955: Zweiter Vorsitzender im Gesangverein Liederkranz

1959: Fraktionsvorsitzender der FWV und Vorsitzender des Ortsverbandes

1961-1983: Ehrenamtlicher Vorstand der Raiffeisenbank, heute Ehrenmitglied

1965-1999: Kreisrat im Rhein-Neckar-Kreis, dabei auch Mitglied im Regional- und Raumordnungsverband (bis 2004)

1967 -1991: Vorsitzender im Liederkranz

1964 bis 1993: Stellvertretender Bürgermeister

Weitere Vorstandstätigkeiten: Verkehrsverein, Schützenverein, Reit- und- Fahrverein, Bauernverband Mannheim, Tabakbauverein, Landesverband der Tabakpflanzer, Schöffe an verschiedenen Amts- und Landgerichten, Wildschadensschätzer

Auszeichnungen und Ehrungen: 1967 Adolf-Münzinger-Preis des Bauernverbandes, 1971 Goldene Ehrennadel des Sängerkreises, 1979 Ehrenmedaille des Gemeindetages, 1970 bis 1980 jeweils Goldene Ehrenblätter des Landesverbandes der Tabakbauern, 1978 Ehrennadel in Gold des Schützenkreises Weinheim, 1980 Ehrennadel in Gold des Sportschützenvereins Schriesheim, 1983 Goldener Ehrenring der Stadt Schriesheim, 1984 Bundesverdienstkreuz am Bande, 1987 Silberne Ähre im Ring des Bauernverbandes Baden-Württemberg, 1990 Goldener Ehrenring des Rhein-Neckar-Kreises, 1992 Ehrenteller des Sängerkreises Weinheim, 1993 Ehrenbürger der Stadt Schriesheim, 1994 Landkreismedaille in Bronze

Copyright (c) rnz-online

Autor: Rhein-Neckar-Zeitung