Schriesheim im Bild 2023

16.11.2004

Die tiefe Trauer über das Ende einer Illusion


Die Städte und Gemeinden an Bergstraße und Neckar gedachten gestern am Volkstrauertag den Opfern von Kriegen und Gewalt - "Gemeinsame Verantwortung"

Bewegende Ansprachen zum Volkstrauertag (wie von VdK-Vorstand Karl-Heinz Grüber in Schriesheim, kl. Foto) waren gestern in alle Städten und Gemeinden an Bergstraße und Neckar zu hören. Links: in Schriesheim nahmen mehr als 100 Bürgerinnen und Bürger an der Gedenkstunde teil, rechts der Zug der Gemeinde in Altenbach zum Friedhof. Fotos: Kreutzer

Bergstraße/Neckar. (anzi/skb/nip) Die Städte und Gemeinden an Bergstraße und Neckar erweisen sich ihrer Vergangenheit würdig. Unter große Anteilnahme der Bevölkerung fanden gestern Morgen die Gedenkfeiern zum Volkstrauertag mit beeindruckenden Reden statt.

Von persönlichen Eindrücken und Erinnerungen waren die Ansprachen am neu gestalteten Kriegerdenkmal in Schriesheim geprägt. Bürgermeister Peter Riehl erinnerte vor der Kranzniederlegung daran, dass er bei seinem Amtsantritt vor 30 Jahren eine Abschaffung der Gedenkstunde verhindern konnte. "Dabei sehen wir gerade heute, dass dieser Volkstrauertag immer notwendiger wird", erklärte der Rathauschef. Denn im Gedenken an die Lieben, so Riehl, "schöpfen wir Kraft für die Zukunft". Die Zeichen der Zeit seien nämlich ein "Zusammenrücken und ein gemeinsame Tun in der Familie, der Nachbarschaft und den Freunden". Riehl: "Wir müssen uns wieder mehr achten und schätzen lernen."
"Keine Kollektivschuld; aber eine gemeinsame Verantwortung"

Pfarrerin Eva Beisel erzählte von Gesprächen mit ihrem 85-jährigen Vater, der selbst in den Krieg gezogen war und von sich sagt, dieser Krieg habe sein Leben geprägt und verändert wie kein anderes Ereignis. "Erst fließt das Blut, dann fließen die Tränen." Mit diesem Satz beschreibt der alte Herr die späten Folgen des Leidens. Des Schmerzes, zum Beispiel, bei der Erkenntnis, "für die falschen Ziele missbraucht worden zu sein".

Pfarrerin Beisel sprach aber auch über die "Trauer darüber, dass unsere Hoffnung auf Friedfertigkeit enttäuscht worden ist" - angesichts zahlreicher aktueller Kriege und Konflikte auf der Welt. "Wir trauern auch über das Ende unserer Illusion."

Im Mittelpunkt der Ansprachen stand aber die Rede des Schriesheimer VdK-Vorsitzenden Karl-Heinz Grüber, der sich mit der Sinnhaftigkeit des Volkstrauertages beschäftigte. Er forderte eine Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, denn "wer gedenkt muss auch bedenken". Zwar gebe keine Kollektivschuld eines Volkes, durchaus aber eine gemeinsame Verantwortung. Grüber: "Wer aus dem Gedenken keine Schlüsse zieht und zur Scham nicht fähig ist über die Verbrechen, die von Deutschland ausgingen, der macht die Sinnhaftigkeit des Volkstrauertages zunichte." Kein Krieg, so der VdK-Chef, ist an einem Tag zu Ende. So seien auch 60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges viele Wunden offen. Grüber appellierte, in das Gedenken auch die Widerstandskämpfer des Nazi-Regimes einzubeziehen, ebenso die deutschen Soldaten, die sich an Krisenherden der Welt für die Menschlichkeit einsetzen. "Aus dem Volkstrauertag", so fasste er zusammen, "erwächst für uns alle der Auftrag, für Friede, Freiheit und Gerechtigkeit einzutreten, dafür dass Menschen auf der ganzen Welt in Würde leben können."

Die Gedenkfeiern, an denen Hunderte von Leuten teilnahmen, wurden vom Posaunenchor Schriesheim, von der Lyra, dem Liederkranz Altenbach, dem katholischen Kirchenchor und dem Sängerchor Ursenbach im passenden Ton umrahmt, die Ortsvorsteher Alfred Burkhardt und Rosemarie Edelmann legten gemeinsam mit mit Vertretern der Kirchengemeinden Kränze nieder. In Schriesheim und Altenbach eröffneten jeweils Schüler die Gedenkfeier.

In Edingen-Neckarhausen gestalteten der evangelische Posaunenchor, die Sängereinheit Edingen und Schüler der Pestalozzi-Grund- und Hauptschule die Gedenkfeier. Da auch Bürgermeister Roland Marsch an der Kranzniederlegung in Edingen teilnahm, vertrat ihn Stellvertreterin Heidi Gade in Neckarhausen.

In Ladenburg veranstaltete die Ortsgruppe des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge (VdK) gemeinsam mit der Stadt Ladenburg alljährlich eine Gedenkfeier auf dem Friedhof.

Musikalisch umrahmt wurde die Feier in der Trauerhalle vom Klarinetten-Ensemble der Stadtkapelle unter der Leitung von Helmut Baumer sowie dem Frauenchor der Sängereinheit unter Leitung von Sabine Kneer. Fahnenabordnungen mehrerer großer Ladenburger Vereine verliehen einen würdigen Rahmen. "Für den Ohne mich-Standpunkt ist kein Platz mehr, wenn wir den Frieden in der Welt erstreben wollen."
"Das Unheilvolle soll nicht ungesehen gemacht werden."

Eindringliche Worte, mit denen der VdK-Ortsbeauftragte Karl Bommarius an die Bürgerinnen und Bürger appellierte, dass jeder Einzelne seinen Beitrag zur Herstellung des Friedens leisten müsse. Denn aus der Erinnerung an das unsägliche Leid der beiden Weltkriege erwachse "der Auftrag, uns für Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit und ein würdiges Leben für alle einzusetzen". So forderte Bommarius die Anwesenden auf: "Jeder muss sich im Rahmen seiner Möglichkeiten dafür einsetzen, dass endlich und für immer der lang ersehnte Frieden in der ganzen Welt die Herrschaft antritt. Das fordern auch die Toten, deren wir heute gedenken, von uns." Zum Abschluss der Trauerfeier legten Karl Bommarius und Bürgermeister Rainer Ziegler einen Kranz am Mahnmal vor der Trauerhalle nieder.

In Hirschberg gedachten die Menschen in beiden Ortsteilen der Opfer von Gewaltherrschaft und Krieg. In der Kapelle auf dem Großsachsener Friedhof erinnerte Heinz Stüben mit einem Gedicht an ein Soldatengrab in Russland und mit einem Sonett an die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944. Die evangelische Pfarrerin Simone Britsch betonte in ihrer kurzen Ansprache die Bedeutung des Volkstrauertages: "Das Unheilvolle nicht ungesehen zu machen" sei die vordringlichste Aufgabe. In Anlehnung an Erich Kästner erläuterte die Theologin, dass Erinnerung eine mysteriöse Macht sei, die den Menschen bilde. "Der Krieg ist Tod, Tod ist der Feind des des Lebens und damit des Menschens", verdeutlichtete Britsch. Sie appellierte an die Menschen "die Jugend ernst zu nehmen" und ihnen den Weg in eine friedvolle Zukunft zu weisen. "Dies ist einer lohnender Auftrag", betonte die Pfarrerin.

Bürgermeister Werner Oeldorf erinnerte an die vielen Opfer. An Kinder, Frauen, Männer. "Menschen, die im Krieg oder aus Überzeugung, wegen ihres Glaubens oder ihrer Rasse den Tod fanden". Der Volkstrauertag sei aber auch ein Tag der Hoffnung, der "ganz im Zeichen der Versöhnung steht" , betonte der Verwaltungschef.

Mit einer Gedenkfeier und der Kranzniederlegung wurde gestern Morgen auch auf dem Friedhof von Weinheim bei den Kriegsgräbern der Opfer von Krieg und Gewalt gedacht. Nach einem Choral der Stadtkapelle Weinheim, las Diakon Günter Huth aus dem Brief von Paulus an die Epheser, worin der Apostel fordert, die Rüstung Gottes anzulegen: Das Schild des Glaubens, den Helm des Heils und das Schwert des Friedens.

Der Fürbitte, folgte die Ansprache Pfarrer Dr. Albert Schäfers, die der Gesangsverein 1955 mit "Vater Unser" und "Die Rose" umrahmte. Schäfer betonte, dass auch, wenn man die Toten, denen man gedenkt, nicht persönlich kannte, der Volkstrauertag ein wichtiger geschichtlicher Akt ist, der an den sinnlosen Tod und die Grausamkeit der Kriege erinnern soll. "Zu schnell scheinen die Opfer und die stummen Weinenden vergessen und es folgt Krieg auf Krieg", so der Pfarrer.

Noch nicht allzu lange, da wurden die Opfer des Krieges als Helden geehrt. Doch "Kriege sind mit ihrem Massentod, die Hölle auf Erden, dass wir ihnen keinen Sinn geben mögen", so Schäfer weiter. Und nicht nur Soldaten, auch die zivile Bevölkerung wird Opfer des grausamen Geschehens. Das Volk trauere nicht nur um die eigenen Toten, sondern auch um fremde Tote.
"Wir brauchen noch viele solche Tage, um die Kriege nicht zu vergessen"

So schließe man in der Gedenkfeier die 13 Gräber der Menschen mit ein, die als Fremdarbeiter in Weinheim gestorben sind. Der Gedenktag sei zudem nicht nur für die ältere Generation, auch für die künftigen Generationen, die "ihr Leben nicht aufs Spiel setzen wollen, denn es herrscht immer noch Krieg". Im Irak, in Israel, in Palästina, im Sudan, an der Elfenbeinküste... Und die Frage sei dabei: "Kann Waffengewalt Frieden herstellen". Gewalt kann über das Böse siegen, doch sie schürt Hass, anstatt zu bekehren. "Wir werden noch viele Volkstrauertage brauchen, damit wir vergangene Kriege nicht vergessen", schloss Pfarrer Schäfer.

Die Vorsitzende des Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge, Rosemarie Schneider ehrte die Toten mit einem Gedicht, in dem sie an die Opfer aus vergangenen Tagen, aber auch an die Opfer des Terrorismus und der politischen Verfolgung gedachte. Anschließend legte sie gemeinsam mit Oberbürgermeister Heiner Bernhard, begleitet vom "Guten Kameraden" der Stadtkapelle Weinheim den Kranz an der Gedenkstätte nieder.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung