Schriesheim im Bild 2023

23.12.2004

Ein Weihnachtsmann nicht nur zur Weihnachtszeit

 Weil Wladimir Starowiecki weiß, "dass Hunger weht tut", versorgt er Kinder und alte Menschen ehrenamtlich mit Backwaren


Wladimir Starowiecki kümmert sich um Süßigkeiten für Kinder und alte Menschen. Foto: vaf


Von Bettina Weiss

Schriesheim. "Wladimir Starowiecki, 73 Jahre und kein bißchen müde." Mit diesen Worten stellte die Bäckerei Riegler einen ihrer treuen Mitarbeiter in ihrer Firmenzeitschrift in 1999 vor. Heute, fünf Jahre später, ist diese Aussage nach wie vor treffend. Unermüdlich fährt Starowiecki für Riegler immer noch Brote, Brötchen und süßes Gebäck vom Vortage zu den Bedürftigen in seiner Region. Auch die von ihm schon seit vielen Jahren organisierten privaten Hilfstransporte nach Osteuropa sind nicht Geschichte: "Ich mache das immer noch und auch wenn es einen Tropfen auf dem heißen Stein ist, so ist es für mich dennoch wichtig, dort zu helfen, wo Menschen immer wieder in Not geraten oder bedürftig sind", sagt er. Als 16-jähriger Ukrainer wurde er deportiert und musste als Zwangsarbeiter schuften. Er hat die Kälte, die Not, die Erfahrung, dass "Hunger weh tut" am eigenen Leib erfahren. Aber über den grausamen Krieg und die harten Jahre danach will er nicht reden. Er ist ein optimistischer Mensch, der nach vorne schaut und nicht zurück. Kurz vor den Weihnachtsfeiertagen begleitete die RNZ ihn auf einer seiner Fahrten in und um Schriesheim.

Es ist kalt, der Wind pfeift und eigentlich wäre es zu Hause viel gemütlicher aber Starowiecki hält es dort nicht lange aus, denn sein Wagen ist bereits voll beladen: süße Schneckennudeln, Nusshörnchen, Quarktaschen für das Seniorenheim "Stammberg", die soziale Heimstätte "Talhof" und das Kinderheim "Mirabelle"; Schuhe und Kleidung für die polnischen Arbeiter und Arbeiterinnen, die auf den Feldern des Bauernhofes von Herbert Schröder arbeiten. Starowiecki mit Pelzhut und dicker Jacke, strahlt. Er ist ein herzlicher Mann und man nimmt es ihm sofort ab, wenn er sagt, dass diese Fahrten für ihn kein Stress sind, sondern "eine richtige Erholung - für Leib und Seele".

Starowiecki ist ein Willkommener: "Stammberg", "Talhof" und - vor allem - das Kinderheim "Mirabelle" warten schon sehnsüchtig auf ihn. "Einmal", so Starowiecki, " rannte einer der Kleinen barfuß auf mich zu. Es war damals eiskalt, es war Winter, so wie jetzt. Können Sie sich das vorstellen? Barfuß! Er hüpfte von einem Fuß auf den anderen und wartete sehnsüchtig auf seinen Berliner."

Nicht, dass es den Kindern an Essen mangelt, aber süße Naschereien oder Brötchen sind schon Dinge, die sie nicht alle Tage bekommen. Die Kinderheim-Leitung ist dankbar, dass es so jemanden wie Starowiecki gibt. Das sehr knappe Budget kann für andere Dinge ausgegeben werden. Der selbe Junge rannte auch dieses Mal als erster raus. Heute rannte er mit Socken. Kaum war Starowiecki aus dem Auto, wollte er wissen: "Wann kommst du wieder?" und trippelte von einem Fuß auf den anderen.

Die letzte Station an diesem Samstag ist der Bauernhof Schröder. Die Frauen und Männer sind noch auf dem Feld. Auf dem Hof gibt es Weihnachtsbaum-Verkauf, Glühwein und heiße Würste. Es herrscht ein reges Treiben, auch im Bauernhofladen, in dem Produkte aus dem Eigenanbau sowie aus der Region verkauft werden. Starowiecki gönnt sich eine Pause und wärmt sich mit Glühwein auf. Nach einem schnellen Einkauf im Laden und einem kurzen Besuch bei den Pferden, die Schröder bei Springturnieren einsetzt, geht es zu den Wohnquartieren der Arbeiterinnen.

Nach und nach kommen die Frauen von der Arbeit zurück. Mit Schlamm verschmierten Gummistiefel, kunterbunt bekleidet in mehreren Schichten, um der Kälte einigermaßen Stand halten zu können, die Gesicher vom Wetter und der harten Arbeit gezeichnet. Sie alle strahlen, als sie Starowiecki sehen - laut wird gestikuliert, man unterhält sich auf polnisch und italienisch. Weshalb italienisch? "Wir können uns ein bisschen verständigen, die Rumänin und ich", verrät Starowiecki. Bei einem Versuch herauszufinden, wie lange sie schon hier ist und wann sie wieder zurück geht, muss zum Italienischen noch die Zeichensprache als Verständigung eingesetzt werden.

Die Frau ist hager und blass. Dass ihr Körper die ausdauernde Feldarbeit, die sie teilweise bei Minustemperaturen verrichten muss, aushält, kann man sich nur schwer vorstellen. Hat sie Heimweh?

"Nostalgia, di casa?" Sie runzelt die Stirn. Die Frage wird wiederholt und dabei berühren beide Hände das Herz, dann weist eine Hand zum Horizont, dorthin wo man vermutet, dass Rumänien liegen muss - ein Ort, weit von hier. Sie versteht. Heftig nickt sie mit dem Kopf. Ja, sehr. Doch ihr Gesicht erhellt sich als Starowiecki den Raum mit Säcken betritt, prall gefüllt mit Schuhen und Kleidungsstücken.

Auf der Rückfahrt erzählt Starowiecki, dass er Kleidung und Schuhe von den Schriesheimer Bürgern bekommt. Er sei ihnen sehr dankbar für ihre Spenden. Er bringe diese gut unter die Leute, denn die Gewissheit, dass die Sachen auch bei den Bedürftigen ankommen, sei ihm sehr wichtig. Dieses Jahr bleibt er über die Feiertage Zuhause bei seiner Familie; im nächsten Jahr geht es wieder Richtung Osten, Verwandte besuchen und auch ein bisschen Urlaub machen - aber sicherlich nicht mit leeren Händen.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung