Schriesheim im Bild 2023

10.03.2005

"Doppelter Rittersberger" auf eisigen Straßen

"Tour de Schriese": Die RNZ sah sich am vergangenen Wochenende auf dem Mathaisemarkt vor und in den Straußwirtschaften um

Von Roland Kern

Schriesheim. Karl-Heinz Wehweck passt genau auf. Wenn sich übergroß ausgefallene Rucksäcke merkwürdig ausbeulen, reagiert der Winzer und Straußwirtschaftsbetreiber allergisch. Keine Chance für Rucksacktrinker. Schon mancher nur vermeintliche Wandergesell musste seinen Rucksack auspacken: mehrere Flaschen Schnaps kamen dabei zum Vorschein, oder billiger Fusel aus dem Discounter.

Auch in diesen Tagen steht Wehweck wieder an der Kellertür seiner Mathaisemarkt-Straußwirtschaft und kontrolliert. Es gibt ein ehernes Gesetz, das da lautet: bei Winzers im Keller nur den Wein von dort süffeln. Die allermeisten Mathaisemarkt-Besucher halten sich daran. Manche aber auch nicht. Wehwecks Einlass-Kontrolle war nur eine Erfahrung, als die RNZ-Redaktion wie in jedem Jahr am vergangenen Wochenende einen Rundgang durch die Straußwirtschaften unternahm. Vor allem war die "Tour de Schriese" unterhaltsam und lustig - was nicht nur daran lag, dass nachts eine Glatteisschicht auf den Straßen rund um den Festplatz lag und man manchen "doppelten Rittersberger" beobachten konnte. Aber wer will sich schon für seine Schadenfreude brüsten?
König für eine Nacht

Wer nicht mit blauen Flecken nach Hause kommen will, sollte jedenfalls die Weinscheuer Majer möglichst früh am Abend ansteuern. Dann hat er die besten Chancen, einen zumindest gefahrlosen Stehplatz zu ergattern. Ab etwa 21 Uhr neigt man eher dazu, Ölsardinen in der Büchse um ihren großzügigen Platz zu beneiden. Aber sei es drum: Der "Majer" ist beim Mathaisemarkt die wildeste Scheuer der Welt und aller Zeiten.

Ein ominöses und nur bedingt musikalisches Duo namens "Franz & Herbert" dudelt von der Empore herunter alles was Stimmung macht. Wer einen Platz auf der Treppe ergattert, ist der König für eine Nacht (wobei Tom oder Manfred Urban auf der Königsliste sicher ganz oben stehen). Die Luft, zum Sägen dick, ist wein- und rauchgeschwängert und nicht nur das: Es gibt Leute, die behaupten, aus der Scheuer schwanken des Nachts mehr menschliche Wesen heraus als zuvor hineingelangt sind. Quod erat demonstrandum. Oder: Ma waaß es als net, wie der Kurpfälzer sagt. Weiter zum Zehntkeller, vorbei am hardrockenden "Kakadu" und entlang der neu entstandenen Straußwirtschaft Ries in der Talstraße. In der guten Stube der Winzergenossen, dem alten Zehntkeller, hat Geschäftsführer Harald Weiss in den letzten Jahren mal wieder einen Coup gelandet. Er hat den Keller kurzerhand zweigeteilt, die rustikalen "Figaros" spielen zum Tanz im großen Gewölbe, während es im kleineren Probierkeller so richtig fetzt. Am hinteren Ende verbindet ein Geheimgang die beiden Etablissements für alle Wanderer zwischen den Musikwelten. Zweifelsohne ist der Zehntkeller der Winzer die schriesemerischste aller Straußwirtschaften dieser Erde. Das Establishment duzt sich. Und wer sich nicht duzt, wird kurzerhand ins Establishment erhoben. Hier bin ich Schriesemer, hier darf ich sein... Allerdings gibt es doch ein Problem: nämlich sich hier loszureißen, falls man noch andere Straußwirtschaften kennen lernen will an diesem Abend.
Ausschnaufer im Bacchuskeller

Man kann es kaum glauben, aber es ist wahr: es gibt einen Ausschnaufer bei diesem Fest der Feste. Das ist der Bacchus-Keller der Weinstube Hauser direkt am Festplatz. Schon die Kellertür schließt beruhigend lärmdämmend, der Mannheimer Alleinunterhalter Edi Rosenberger (vielleicht ein Vetter oder Onkel des Bürgermeister-Kandidaten?!) klimpert die Foxtrott-Schlager rauf und runter. Manche ambitionierte Tanzpaare sollen hier schon ganze Ledersohlen geliefert haben. Jedenfalls ein Kontrastprogramm zum Remmidemmi der großen Sause, bei der auch das große Festzelt, wenn es am Wochenende gegen Mitternacht zugeht, eigentlich eine einzige große Straußwirtschaft ist. Hauser kann gut tun.

Zurück bei Karl-Heinz Wehweck, dem schon Schweißperlen auf der Stirn stehen vor lauter ausgebeulten Rucksäcken. Schriese rockt in seinem Keller: Rock-Express, Fahrenheit, Skonnix - Hauptsache eingeschenkt. Schade, dass die Akustik nicht vom Allerfeinsten ist, aber wer besitzt schon an einem späten Mathaisemarkt-Abend noch das Gehör für filigrane Klänge.

Bleibt die Abkühl- und Ruhephase am Taxi-Stand vor der Wehweck'schen Straußwirtschaft, denn wie immer kommen die Schilder-Autos beim großen Andrang nicht ganz nach. Und wer im Laufschritt der erste sein will, riskiert einen "doppelten Rittersberger" - so ist es, wenn Mathais mal nicht das Eis bricht.

Copyright (c) rnz-online

Autor: Rhein-Neckar-Zeitung