Schriesheim im Bild 2023

23.11.2010

Eigentümer konnten unterschiedlicher nicht sein

Von Stephanie Kuntermann

Schriesheim. Als Ende des 19. Jahrhunderts der Fremdenverkehr nach Schriesheim kam, suchten auch wohlhabende Großstädter hier Erholung. Einer von ihnen war Markus Hirschland, ein jüdischer Kaufmann aus Mannheim.

Ob die Geschichte seines Wochenendhauses zur Errichtung eines Stolpersteins berechtigt, wie in den Fällen der dauerhaft in Schriesheim ansässigen Juden, sei dahingestellt. Jedenfalls sammelt die RNZ ab jetzt Geschichten wie die folgende - auch von anderen Häusern in ehemals jüdischem Besitz. Tatsache ist, dass Hirschlands Haus, das nach ihm im Volksmund bis heute "Hirschland-Villa" heißt, auf besondere Weise die Widersprüche und die Tragik des letzten Jahrhunderts widerspiegelt.

Errichtet wurde es 1902. Da war das 1885 gegründete Mannheimer Kaufhaus "Hirschland" bereits eines der führenden Warenhäuser der Stadt. Zuletzt hatte es seinen Standort in O 3, 6/7 unweit von Paradeplatz und Planken. Architektonisch war der 800 Quadratmeter große Verkaufsraum im Parterre eine Besonderheit, wurde er doch durch keinerlei Säulen oder Streben gestützt. Geplant wurde das sechsstöckige Gebäude von dem Mannheimer Architekten Albert Speer, dem Vater des gleichnamigen späteren NS-Rüstungsministers.

Wer die "Villa Hirschland" plante, ist nicht bekannt. Fenster, Türen und Flure des 350 Quadratmeter großen Gebäudes verraten jedenfalls unverfälschten Jugendstil. Die Küche, die sich früher im Souterrain befand, war mit Lastenaufzug ausgestattet. "Es gab sogar eine Rufanlage für die Dienstboten", verrät der jetzige Eigentümer Karl-Ruprecht Mayer. Von ihrem Wohlstand abgesehen, weiß man heute nur noch wenig über die Familie. Hirschland und seine Frau Marie hatten zumindest eine Tochter. Sie hieß Johanna, verheiratete Neu, und war Kinderärztin in Frankfurt und Mutter von drei Kindern. Sie emigrierte mit ihrer Familie 1933 nach Paris, wo sie 1941 ausgebürgert wurde und im Januar 1942 starb. Auch Markus Hirschland verließ Deutschland 1933 und ging in die USA. Zuvor verkaufte er sein Schriesheimer Haus. Nach mehrfachen Eigentümerwechseln ging die Villa im Wege der Zwangsversteigerung an den Zahnarzt Dr. Heinrich von Faulhaber. Verheiratet war er mit Emilie geborene Reichert, seine Töchter hießen Helga und Karen. Der neue Eigentümer baute das Haus mehrmals um und gab ihm den Namen "Freyhof". 1936 erhielt es seinen charakteristischen Turm und das Tor mit der rot-weiß gestrichenen Tür. Später baute er einen Stall, eine Remise und das Brunnenhäuschen. Bleiverglaste Fenster im Treppenhaus zeigen die Namen der Bewohner und daneben einige vom Zeitgeist geprägte Sprüche, die kaum deutlicher die Gesinnung der Familie wiedergeben könnten, war der neue Eigentümer doch überzeugter NSDAP-Parteigänger. Dass er darüber hinaus noch das Amt eines kommissarischen Bürgermeisters von Ilvesheim innehatte, ließ sich Faulhaber im Haus in Stein meißeln.

Verschwunden ist heute eine andere Inschrift, die einst darauf hinwies, dass das Haus "im Jahr der nationalsozialistischen Erhebung" gekauft wurde. Vermutlich ließ Faulhaber selbst die Inschrift entfernen, als die US-Armee sich Schriesheim näherte. Das Haus wurde US-Kommandantur. Wenig später nahm sich Faulhaber das Leben. Bis 1963 blieb seine Familie im Haus wohnen.

Dann kaufte der Vater des jetzigen Eigentümers das Gebäude. Lange war es vermietet oder verpachtet, zuletzt diente es als Hotel Garni, war dann aber so heruntergekommen, dass es durchs Dach regnete. Vor zwölf Jahren nahmen sich Ruth und Karl-Ruprecht Mayer des Gebäudes an, sanierten aufwändig und förderten den einen oder anderen Schatz zutage. "Wir wollten dem Haus seine Würde zurückgeben", erklärt Mayer. Das gelang. Zwar verschwand der Davidstern, den Markus Hirschland einst in eines der Ostfenster einlassen ließ, aber die Haustür trägt bis heute seine Spuren. In verschnörkelten Lettern, überschrieben von der Jahreszahl 1902, sind dort seine Initialen ins Holz geschnitzt.

Info: Wer bislang unveröffentlichte Begebenheiten oder "Haus-Geschichten" zum jüdischen Leben in Schriesheim erzählen möchte, kann sich an die Redaktion wenden. Telefonnummer: 0 62 21 / 519 5731, E-Mail: schriesheim@rnz.de.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung