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07.06.2005

Viel mehr als "Luft und Liebe"

Viel mehr als "Luft und Liebe"

Eine Wonne: Fünfte Kulinarische Lesung im Strahlenberger Hof mit dem Schauspieler Reinhard Mahlberg

"Es ist doch das Schönste, wenn man den Beruf und das Hobby miteinander verbinden kann": Reinhard Mahlberg widmete sich den Romantikern. Sternekoch Jürgen Schneider servierte ein Menü dazu, von dem man selbst im "Schlaraffenland" nur träumen könnte. Foto: Dorn

Von Leo Paul

Schriesheim. Sternekoch Jürgen Schneider musste ganz hinten im Regal nach seinem alten gelben Reclam-Heftchen kramen. Es war zerfleddert und hatte Eselsohren. Der belesene Küchenkünstler muss oft darin geblättert haben. Aber mit ausschweifendem Essen und Trinken hatten es die Romantiker des 18. und 19. Jahrhunderts nicht so sehr. Sie hungerten und dursteten mehr nach Liebe und wussten noch nicht, dass jenes Gefühl nachgewiesenermaßen durch den Magen geht. "Und nur Luft und Liebe kann ich ihnen nicht servieren", lächelte Schneider verschmitzt. Obwohl man ihm zutraut, selbst aus jenen Zutaten noch ein Sterne-Menü zu zaubern.

Was dann als Fünf-Gang-Menü am Sonntag und gestern Abend aus der Schneider-Küche duftend in das historische Gasthaus getragen wurde, war dann doch deutlich gehaltvoller. Schneider und Reinhard Mahlberg, der Mannheimer Schauspieler, hatten die asketischen Romantiker etwas "ausgeweitet", noch die zweite Hälfte des 19. und noch ein paar Jährchen des 20. Jahrhunderts als Zutaten verwendet, zweimal sorgfältig umgerührt, nachgewürzt und zur fünften Kulinarischen Lesung der Schriesheimer Stadtbibliothek den Titel serviert: "Sage mir, Muse, vom Schmause...". Der schmackhafte Untertitel dazu lautete: Kulinarische Texte aus dem 19. Jahrhundert. Bon appetit!

"Neuer Rekord"

"Neuer Rekord", strahlte ein stolzer Bibliothekschef Thomas Michael schon vor dem ersten Gäbelchen. Die gemeinsame Kulinarische Lesung der Bücherei und des Sterne-Tempels war diesmal schon nach 25 Minuten restlos ausverkauft. Es scheint, als seien Schriesheims Leseratten allesamt Feinschmecker. "Das liegt an diesem wunderbaren Restaurant", erklärte Michael.

Reinhard Mahlberg entpuppte sich als glänzender Schauspieler und Rezitator, der zu Abend und Anlass passte wie ein Weißwein zum Fisch und ein Roter zum Reh. Der studierte Schauspieler, der in Mönchengladbach geboren ist, gehört seit 2002 im Mannheimer Nationaltheater zum Ensemble. Er spielte dort unter anderem den Franz Moor in Schillers "Räuber" oder den König Claudius in Shakespeares "Hamlet". Der 46-jährige Mahlberg trug Lyrik und Prosa gleichmaßen schmackhaft vor. Und er stellte sich als ein Mann vor, der gerne gut isst und trinkt. Das verschaffte seinen Vorträgen eine wohltuende Glaubwürdigkeit und ein fast greifbare Echtheit. Das Weinglas unter der Leselampe, die Stimme schwellend, mal säuselnd, mal schmatzend, magenleidend, herrisch, satt - Mahlberg, Hobby-Koch und Weinfreund, sorgte für schauspielerische Pracht und Sinnlichkeit. So hört sich die gute Lust am Essen an.

So authentisch ist es selten zugegangen bei einer Kulinarischen Lesung. Dazu passte auch, dass der lebensfrohe Schauspielprofi, nach dem das Buch offiziell zugeklappt war, mit Susanne und Jürgen Schneider noch eine Weile fachsimpelte, darüber was gut schmeckt und was man gerne liest und hört. Pfefferminztee wurde dabei nicht getrunken.

Jürgen Schneider hatte nach einem Aperitif mit Rosenblättern ein "Blindes Huhn auf Weizen" serviert, lauwarm, herrlich duftend und mit dem süßlich-fruchtigen Aroma von Holunderblüten, danach schwamm ein butterzartes Stück vom Hecht im safrangeschwängerten "Karpfenteich". Die Tannenspitzen, die das "Scheue Reh" (aus der Keule), wunderbar mürbe gegart, zierten, hatte der Küchenchef selbst im nahen Wald "gemopst" - er erhalte Absolution. Aus einem Kerner-Wein ließ die Strahlenberger-Hof-Küche dann drei Sorten Dessert entstehen: Sorbet, Creme und Mousse. Mahlberg hatte seine Lesung mit Hoffmann von Fallerslebens "Schlaraffenland" begonnen. Am Ende des Schneider-Menüs kamen die dort beschriebenen Köstlichkeiten einem wie Magerkost vor.

Mahlberg und Schneider, der Schauspieler und der Koch, fanden einen Draht an diesen beiden Abenden, an dessen Glühen sich rund 120 literarisch interessierte Feinschmecker erwärmten. Und beide Hauptdarsteller waren sich darin einig: "Es ist doch das Schönste, wenn man den Beruf und das Hobby miteinander verbinden kann". Essen und Lesen. Und Lesen vom Essen.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung