Schriesheim im Bild 2023

11.08.2005

Der „Hirsch“-Wirt machte einst Millionen

Als die Ringer des KSV hier noch kämpften: Der Saal im „Goldenen Hirsch“, der heute wiedereröffnet wird, ist ein geschichtsträchtiger Ort

Von Leo Paul

Schriesheim. Der „Goldene Hirsch“ in der Heidelberger Straße ist zweifellos eines der geschichtsträchtigsten Wirtshäuser Schriesheims. Heute Abend wird mit Kunst und kulinarischen Genüssen der große Saal im Obergeschoss eingeweiht. Um diesen Raum ranken herrliche Geschichten.

Der Hirsch-Wirt ist in Schriesheim eine Person von gastronomischem Rank und Namen. Schon immer gewesen. Bisweilen sind die „Bosse“ des „Herschwerts“ sogar aktenkundig und wurden vor ein paar Jahren sogar schon einmal bei einem Mathaisemarkt-Festzug aufgegriffen. Die „Herschwerts-Bosse“, so lautete damals ein Motto. Jener Gastwirt war wegen seiner cleveren Geschäftstüchtigkeit berühmt-berüchtigt. Wer war aber dieser sagenumwobene „Herschwert“ in einer ganzen Reihe von Wirten, die das Gasthaus in mehreren Jahrhunderten bewirteten?

Vieles spricht dafür, dass es sich um Peter Rufer handelt, der den „Hirsch“ im Jahre 1897 übernommen hat und dort bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts hinter der Theke stand. Jener Peter Rufer war im Übrigen ein Vetter des Vaters von Heinrich Rufer, jenem langjährigen Geschäftsführer der Schriesheimer Winzergenossenschaft. Heinrich Rufer, Senior mit schier lückenlosem Gedächtnis, hat sich jetzt auch für die RNZ an die Geschichte des Hirsch-Saals erinnert.

Schon die Beschäftigung mit dem Saal ist mit einer lustigen Anekdote verknüpft. Im Jahre 1974 ließ Rufer für die Winzergenossenschaft, die seinerzeit Eigentümer des Gasthauses war, vom Heimatforscher und Historiker Dr. Hermann Brunn eine Dokumentation anfertigen. Rufer und Brunn waren befreundet und sogar entfernt verwandt. Als die Arbeit fertig war, fragte Rufer nach dem Honorar. Brunns Antwort lautete: „Oa Kischd Mathais!“. Der Chronist nennt das Jahr 1682 als vermutliches Erbauungsdatum des Fachwerkhauses, diese Jahreszahl ist auch auf einem Holzbalken vermerkt. Allerdings dürften der Keller und das gemauerte Untergeschoss deutlich älter sein.

1866 taucht der „Hirsch“ in den Annalen erstmals als Gastwirtschaft eines Georg Trippmachers auf. Jener Herr scheint aber nicht der fleißigste gewesen zu sein. Der durstige Volksmund gab ihm den Beinamen „Fauler Pelzwirt“. Trippmacher verkaufte das Anwesen, zu dem ein Stall und ein Brauhaus gehörte, 1878 an Jakob Rufer, den Vater von Peter Rufer. Peter Rufer war vom Fach. Bei einem Weinheimer Weingut hatte er sich Kenntnisse im Weinbau angeeignet und war seinerzeit wohl der erste Vorkämpfer für eine besondere Qualität des Schriesheimer Weines – sein Nachfahre ist dies heute noch. Peter Rufer war jedenfalls die prägende Figur in der Geschichte des „Hirsch“.

Zwischen 1914 und 1920 verschönerte er das Haus, ließ unter anderem das Schild schmieden, das noch heute vor dem Fachwerk baumelt und baute die Butzenscheiben ein, die ebenso bis heute erhalten sind. Auch gastronomisch, so hat es Hermann Brunn nachgewiesen, war das „Hirsch-Stüberl“ weit in der Region bekannt. 1922 erweiterte Rufer dann das Obergeschoss um den ehemaligen Heuboden und ließ den großen Saal entstehen. Zu Zeiten der Inflation kostete der Umbau 150 Millionen Reichsmark. Als der Saal an Kirchweih 1923 eröffnet wurde, konnte Rufer freilich Wein im Wert von 300 Millionen ausschenken – welch Segen des kollektiven Geldwertverfalls! In den 1920er Jahren diente der Hirsch-Saal dann zeitweise als Veranstaltungsort für KSV-Ringerkämpfe. Die Athleten hatten ihren Vereinssitz nämlich im Eckhaus des Strahlenberger Schulhofs, dort wo die Winzergenossenschaft heute ihren Weinladen betreibt.

1969 kauften die Winzer das Anwesen und betrieben es mit wechselnden Wirtsleuten weiter. In den 70er Jahren wurde auch der Saal noch einmal saniert und bis in die 90er Jahre hinein vor allem als Veranstaltungsraum von Schriesheimer Vereinen genutzt. Der „Hirsch“ war zum Beispiel das Vereinslokal der „Eintracht“, die im Saal lange Jahre probte. Vor acht Jahren kaufte der Mannheimer Unternehmer und Schriesheim-Fan Peter Bausback das Gasthaus und sanierte es mit der ihm eigenen Akribie.

Als das Sterne-Paar Susanne und Jürgen Schneider den „Goldenen Hirsch“ im Frühjahr übernahm und zur „Weinwirtschaft“ ernannte, gehörte der Saal bereits zum gastronomischen Konzept – eine Sanierung wurde allerdings verschoben. In den letzten Wochen und Monaten wurde darin gewerkelt und geschafft. Heute Abend gibt Bausback erstmals einen Einblick in den großen Raum. Und das sind dann keine „Herschwerts-Bosse“.

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Der „Hirsch“-Wirt machte einst Millionen-2

Autor: Rhein-Neckar-Zeitung