Schriesheim im Bild 2023

28.12.2005

An die Bergstraße kamen die Christbäume spät

Franz Piva lud zur Altstadtführung durch das nachweihnachtliche Weinheim – Bunte Exkursion in die belebte Historie Weinheims

Mit geschultem Blick und großem Erzähltalent führte Franz Piva rund 60 interessierte Zuhörer durch das weihnachtliche Weinheim. Dabei war er nicht nur der Stadtgeschichte, sondern auch den Bräuchen auf der Spur.

Weinheim. (keke) Er ist zweifellos der Star unter Weinheims Altstadtführern. Egal, ob abendliche Fackel- und Nachtwächterwanderung oder beim nachmittäglichen Weg durch die romantische Altstadt Weinheims: Wenn „Kaiser Franz“ Piva zur Führung lädt, so zieht er regelmäßig einen Rattenschwanz Interessierter hinter sich. Wie auch jetzt wieder am nachweihnachtlichen „Verdauungsspaziergang“ Pivas rund 60 Menschen ihr Interesse bekundeten, „Neues“ aus der Geschichte der Zweiburgenstadt zu erfahren.

Am zweiten Weihnachtsfeiertag war es wieder einmal so weit. „Vor 100 Jahren hätten wir uns an diesem Platz noch in der Neustadt befunden“, versammelt Piva seine Heerschar rund um den Marktplatzbrunnen. Schweift weit zurück bis zum Geschlecht der Swende, von Sippenführer Wino und taucht in die Geschichte des 1250 Jahre alten „Winenheims“ ein, dessen Namen aber auch rein gar nichts mit Weinanbau zu tun hat.

Das 1750 erbaute ehemalige Kaufhaus hinter dem Marktplatzbrunnen, das bis 1929 den Bürgervertretern als Rathaus diente, bannt die Blicke ebenso wie die das Markt-platzrund säumenden Weihnachtsbäume. 1606 sei erstmals ein von einem Straßburger Bürger geschmückter Weihnachtsbaum schriftlich belegt, so Piva. An die Bergstraße kamen die „Tannenbäume“ erst um 1800. Hießen hier zunächst, weil meist mit Süßigkeiten behangen, allerdings „Zuckerbäume“.

Ihnen folgten aus Zweigen zusammengebundene und in ausgehöhlte Rüben gesteckte „Holz“bäume, ehe um 1850 dann die ersten „Lichterbäume“ aufflammten. Als „Kerzen“ dienten dabei oftmals mit Öl gefüllte Nussschalen, darin eingetauchte Wollfäden als Dochte, so Pivas einleuchtender Verweis auf die davon ausgehende Brandgefahr.

Zu den alten heidnischen Bräuchen der „Sperrnächte“, in denen von den Frauen in den zwölf Tagen nach dem 25. Dezember weder an den Spinnrädern gesponnen werden noch geputzt oder gewaschen werden durfte, wusste Piva noch weitere „Sprüch“: Wie etwa den von den heiratswilligen jungen Mädchen, die am Heiligen Abend um Mitternacht zum Hühnerstall gingen, um zu erfahren, ob sie im kommenden Jahr einen Bräutigam finden würden: „Kräht der Hahn, krieg ich einen Mann. Gackert die Henne, krieg ich ke(i)nen“.

Nächste Station ist die zwischen 1731 und 1736 erbaute Evangelische Stadtkirche. „Ohne Türme, dafür aber mit Dachreiter“, lenkt Piva mit geschultem Blick die Augen seiner Truppe auf das Wesentliche und auf ein weiteres Altstadt-Schmuckstück, die aus dem Jahre 1577 stammende und bis 1991 in Diensten stehende „Löwenapotheke“ als älteste ihrer Art in Nordbaden.

Zum Leidwesen etlicher „Nicht-Weinheimer“ Gäste verschlossen sind die 28 Stufen hinunter zur 1350 erbauten Ullnerschen Kapelle. „Ein Grund, im Sommer wieder nach Weinheim zu kommen“, tröstet Piva.

Den Marktplatz bergauf macht Piva auf die den Platz säumenden „Japanischen“ Schnurbäume aufmerksam, die außerdem nur noch in China und Korea wachsen und aus deren Rinde und Wurzeln „wirksame“ Abführmittel und deren Knospen und Blüten Farbstoffe hergestellt werden. „Sogar von den Farbwerken Höchst kommen regelmäßig Fachleute, um sich darüber vor Ort zu informieren“, weiß Piva wieder mal Neues.

Zeitweise als Gefängnis genutzt wurde der „Rote Turm“ als einer der ältesten noch erhaltenen Stadttürme Weinheims. Hinter seinen dicken Mauern befindet sich eine im Uhrzeigersinn gewendelte Treppe, die sich um vier Geschosse 30 Meter nach oben zieht.

Warum im Uhrzeigersinn? „Die meisten Angreifer waren Rechtshänder und konnten mit ihren Schwertern deshalb nur wenig anfangen“.

Und auch die Historie der heutigen Marktplatzgastronomie von der „Alten Pfalz“ über das „Diebsloch“ und den „Goldenen Adler“ bis hin zum „Montmartre“ macht Appetit auf mehr. Albert Ludwig Grimm schrieb hier die erste Fassung des „Schneewittchen“, im Hause nebenan wurde Scheffels Gedicht „Alt Heidelberg, du feine“ vertont. Nicht zu vergessen das zur Erinnerung an den Sieg Deutschlands über Frankreich 1871 errichtete Kriegerdenkmal vor der Laurentius-Kirche, für das der Weinheimer Müller Goos Modell stand, ehe er 1890 nach Amerika auswanderte. „Noch heute kommen alle paar Jahre Heerscharen von Nachfahren des Goos-Clans nach Weinheim, um zu sehen, wo ihr berühmter Ur-Ur-Großvater geboren wurde“.

Vom Alten Schloss zur ältesten Zeder Deutschlands und das Obertor, durch das 1818 schon Zar Alexander gefahren war, ging‘s an die Stelle der ehemaligen Jüdi-schen Synagoge und ins Gerberbachviertel. Doch das sind schon wieder andere Geschichten aus Pivas Mund, die bei Gelegenheit zu erzählen sind.

Copyright (c) rnz-online

Autor: Rhein-Neckar-Zeitung