Schriesheim im Bild 2023

10.01.2006

Die Strahlenburg und die Kirchen wurden beschossen

Serie „Schriesheimer Jahrbuch“: Konstantin Groß schreibt in seinem Beitrag „Das Ende vom Anfang“ über die letzten Kriegstage in Schriesheim

Schriesheim. (sk) Konstantin Groß lässt in seinem Jahrbuch-Beitrag „Das Ende vom Anfang“ die letzten Kriegstage in Schriesheim noch einmal Revue passieren. Dabei stützt er sich auf das Tagebuch des damaligen katholischen Pfarrers Eberhard, Manuskripte von Zeitzeugen, den Bericht von Fritz Hartmann, die Aufzeichnungen von Colonel James E. Hatcher und zahlreiche mündliche Überlieferungen. Herausgekommen ist eine spannende und detailreiche Chronologie der Ereignisse um den 29. März 1945, dem Einmarsch der amerikanischen Truppen, genauer gesagt der 63. Infanteriedivision der US-Army.

Am 20. März wird Weinheim von amerikanischen Truppen eingenommen, fünf Tage später überqueren sie bei Sandhofen und Lampertheim den Rhein. Ab dem 27. März fällt im gesamten Ort der Strom aus, und es kommt zu ersten Tieffliegerangriffen mit zwei Todesopfern und sechs Verletzten, eine davon eine Zivilistin. Jetzt beginnt die Gegenwehr der deutschen Armee, besser gesagt einiger versprengter Truppenteile. In dem heraufziehenden Chaos ist sie ebenso geprägt von Fanatismus wie unzureichender Ausbildung.

Das zeigt sich am Beispiel des Soldaten, der in der Talstraße beim Versuch seine Panzerfaust zu entsichern umkommt. Es fehlt den Soldaten an Munition, Benzin und irgendeiner Koordination. Gleichzeitig werden fast bis zum letzten Tag Deserteure erschossen, auch in Schriesheim. Am folgenden Tag bietet sich Heinz und Karl Lauer von der Strahlenburg aus folgendes Bild: „Panzer an Panzer, zwischendrin immer wieder Jeeps, eine riesige Schlange, rollen auf der B3 Richtung ‘Adler‘“. An die hundert Sherman-Panzer rollen auf den Ort zu. SS-Männer sollen die Burg verteidigen, werden aber vom Ältesten der Lauer-Brüder mit vorgehaltener Waffe bis vor das Tor gejagt, um weiteres Blutvergießen zu verhindern. Im Turm haben sich Frauen und Kinder versteckt.

Die Amerikaner beginnen genau diesen Turm zu beschießen, bis Lauer ein Bettlaken als weiße Fahne an die Zinnen hängt. Am Abend ist die Frontlinie an der Gaulsbrücke zum Stehen gekommen. Kriegsgreuel erreichen jetzt auch den beschaulichen Ort: Ein Leutnant wird von Amerikanern erschossen, als er aus dem Auto steigen will. Eine Zeugin sagt: „Niemand durfte ihn wegtun. Drei Tage lang ist er da gelegen, und niemand durfte ihn wegtun.“ Ein anderer Soldat will den Amerikaner erschießen und wird dabei verwundet. Er liegt die ganze Nacht vor dem Haus Talstraße 17 und ruft, bis das Rufen schwächer wird und schließlich ganz aufhört.

Die Anwohner haben sich in ihren Kellern versteckt und wagen sich nicht nach oben. Am 29. März, dem Gründonnerstag, finden im Süden Schriesheims Gefechte statt, bei denen zwei weitere Soldaten umkommen. Der Gärtnermeister Wilhelm Grüber wird erschossen, als er zu seinem Gewächshaus gehen will.

Am Nachmittag beschießen amerikanische Soldaten beide Kirchtürme, die katholische Kirche sogar mit einem Panzer. Ein großes Loch zeugt noch Jahre später von dem Ereignis, und die Uhr ist im Augenblick des Einschlags stehen geblieben. Eine polnische Frau und ihr Kind kommen zwischen die Fronten und werden getötet.

Am Abend haben die US-Soldaten das Zentrum besetzt und beschlagnahmen Häuser. Dabei sind sie nicht zimperlich: Binnen einer halben Stunde müssen die Bewohner das Haus verlassen. Dann werden Schränke und Kommoden durchwühlt. Bei einer Familie wird der Inhalt der Schubladen im Hof mit Benzin übergossen und angezündet.

Die Besetzung wird von den Soldaten mit lautstarken feuchtfröhlichen Festen gefeiert. Sie grölen und werfen Sachen aus dem Fenster. Eine Familie mit einem neugeborenen Baby dagegen bleibt verschont: die Soldaten verlassen ohne weiteres ihre Wohnung. Am nächsten Tag müssen alle Waffen abgegeben werden. Der Krieg ist damit, zumindest für Schriesheim, vorbei. Die Kommandantur wird im Haus von Heinrich Spieß in der Landstraße untergebracht, das Büro ist im „Adler“. Am selben Tag wird Georg Rufer, SPD-Bürgermeister bis 1933, wieder mit der Leitung der Gemeinde betraut. Schriesheim ist damit offiziell in der Nachkriegszeit angekommen.

 

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung