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03.01.2007

Jürgen Scheid hat einfach das richtige Augenmaß

Jürgen Scheid hat einfach das richtige Augenmaß

Von Carsten Blaue

Jürgen Scheid ist kein Brummi-Fahrer. Und auch zu Hause auf dem Hof hat er keinen LKW stehen. Der 42-Jährige aus Bammental ist gelernter Landmaschinenmechaniker und Einzelhandelskaufmann und hat einen Gartenfachbetrieb mit einer Werkstatt zur Reparatur von Gartengeräten. Im Alltag hat er also wenig zu tun mit Sattelzügen. Dennoch wurde das Mitglied des Schriesheimer Automobilclubs mit dem deutschen Team dieses Jahr in Luxemburg Vize-Mannschaftsweltmeister im LKW-Turniersport. Mit Rennfahren hat das Ganze gar nichts zu tun. Es geht um Geschicklichkeit, Präzision und absolute Beherrschung des Gefährts. "Und man braucht Augenmaß", unterstreicht Scheid.

Beim LKW-Geschicklichkeitsfahren müssen die Fahrer Aufgaben bewältigen, die sich an Alltagssituationen für den Trucker orientieren. So gehörte zum WM-Programm zum Beispiel auch ein Theorieteil mit einem "Check-up" des LKWs, bei dem Scheid in zehn Minuten zwölf Fehler am Fahrzeug finden musste: "Da bin ich ganz schön gerannt." Überhaupt musste er es erstmal schaffen, die Bremse zu fixieren, damit er alle Lichter prüfen konnte – etwa die Rückfahrleuchte. Außerdem zählte die Ladungssicherung, Erste Hilfe und benzinsparendes Fahren zum Prüfungsumfang außerhalb des Parcours.

Scheid fährt in der so genannten "Klasse C". Das ist sozusagen die Sattelzugklasse mit den ganz schweren Brummis: fünfachsig, 18 Meter lang, bis zu 40 Tonnen schwer und über 600 PS stark. Geballte Kraft, die Scheid für millimetergenaues Fahren bändigt. Alle Turnierteilnehmer fahren den gleichen LKW. Von welcher Marke der ist, wissen die Sportler vorher nicht. Dabei macht es einen wesentlichen Unterschied, auf welchem "Bock" man sitzt. Die Außenkonstruktionen und Anordnungen von Spiegeln und Blinkern unterscheiden sich zum Beispiel. Das muss man wissen, wenn es bei den einzelnen Prüfungen um Millimeter geht.

Zum LKW-Turniersport kam Scheid auf kleinen Umwegen. Beim Bund machte er den Brummi-Führerschein: "In Badbergzabern auf Magirus", erinnert er sich auch daran, dass sein Fahrlehrer sagte, dass er in Zukunft ja die Finger weglassen sollte von einem Laster. "Ich hab’ damals einiges übersehen", grinst Scheid. Anfang der 80er Jahre nahm er Teil an Orientierungsfahrten und fuhr auch Rallye und Slalom. So kam Scheid zum AC Schriesheim. Im Jahr 1987 fuhr er sein erstes LKW-Turnier, "und das mehr so zum Spaß." Ein Spaß, bei dem er es mittlerweile auch zum deutschen Vize-Meister gebracht hat und zu Platz sechs in der WM-Einzelwertung von 52 Startern.

Dabei ist Training so gut wie unmöglich: "Wo soll ich denn einen LKW herbekommen?". Geübt wird direkt beim Turnier: "Hier kann ich das Auto vielleicht mal 20 Minuten lang kennen lernen." Der Rest ist genau zuschauen, was die Konkurrenz macht, wie sie fährt, wo die Tücken der Aufgaben liegen. Scheid prägt sich viel ein, was er bei seinem Lauf wieder abruft.

Gleich die erste Übung hat es in sich – vor allem für den erstaunten Laien. Scheid muss mit dem rechten Vorderrad durch eine etwa 50 Zentimeter breite, geschwungene Spurgasse fahren – das Profil des Reifens ist alleine 32 Zentimeter breit. Wenn er die Markierung der Spurgasse überfährt, hagelt es Fehlerpunkte. "Wenn man in der Spur drin ist, darf man nicht mehr anhalten." Im ersten Gang kriecht er also in die Spur, die Seiten- und Rangierspiegel immer im Blick: "Man muss Ruhe finden, der LKW darf nicht wippen". 40 Tonnen bändigen. Erfahrungswerte und Gefühl zählen hier. Und auch ein bisschen die Uhrzeit: "Wenn ich morgens fahren muss, dann ist das schon mal nix", lacht Scheid.

Bei der zweiten Aufgabe muss Scheid ein Lot, das vorne unter der Stoßstange befestigt ist, mittig auf eine Zielscheibe lenken, die auf dem Boden liegt. Das Problem: Scheid kann zwar aus dem Fahrerhaus herausschauen. Aber der LKW hat von der Scheibe abwärts nach vorne einen toten Winkel von zwei Metern. Und einfach aus dem Fahrersitz aufstehen und vorne runterschauen ist verboten. Danach fährt Scheid in die "Höhenkontrolle". An einem Mast sind im rechten Winkel zwei Schwingstäbe befestigt, die der Fahrer in ihrer Höhe so einstellen lassen muss, das sich der unter Hebel beim Durchfahren bewegt, der obere aber nicht. Gerade auch für die Sportler in der Bus-Klasse eine Herausforderung: "Die müssen an die Klimaanlage auf dem Dach denken." Augenmaß braucht Scheid auch bei der Durchfahrt zwischen vier Tonnen. Hier muss er zuvor die Breite des LKWs richtig abschätzen.

In der nächsten Übung muss er genau einen Meter fünfzig an einem Radfahrer vorbeifahren. Kommt er ihm zu nahe, gibt es mehr Strafpunkte als wenn er ihn zu weit passieren würde. Die Alltagsorientierung der Aufgaben zeigt sich auch an der Übung "Wende mit Messpunkt". Das Rad der mittleren Achse des Aufliegers muss dabei möglichst nahe heran an einen quer gelegten LKW-Kotflügel. Fahren durch einen Kreisverkehr wird hier quasi simuliert.

Scheid sagt, er sei schon aufgeregt während der Prüfung. Bei der WM sei das nicht anders gewesen, zumal er dort für ein Team fuhr. Und: "Wir durften vorher nicht auf den Parcours." Obwohl die Aufgaben bei allen Turnieren recht ähnlich sind, so ist doch die Ausgestaltung durch den Veranstalter immer etwas anders.

Und Coaching von außen ist auch nicht erlaubt. "Am besten nimmt man auch gar nicht erst das Handy mit." Jedes Piepsen könnte eine versteckte Warnung oder ein Hinweis sein. Bei der WM hatte Scheid so seine Probleme mit der siebten Aufgabe. Er fährt mit dem LKW an einer Reihe von roten und grünen Stangen vorbei, die auf dem Boden stehen. Die Aufgabe: Die grünen umschmeißen, die roten stehen lassen.

Hört sich leicht an? Ist es aber nicht. Denn wenn Scheid zu weit einlenkt, wirft die Lauffläche seines Vorderrades zwar den grünen Pylon um. Der Kotflügel, der sich mitdreht, erwischt gleichzeitig aber auch einen roten. Auch Scheid ist das passiert: "Mit einem Benz hätt’s gereicht." Er fuhr bei der WM einen nagelneuen Scania-Truck.

Beim Vorwärtseinparken muss Scheid über einen Sensor eine grüne Lampe zum Leuchten bringen. Leuchtet sie rot, war der Kontakt zu stark. Erweitertes Körpergefühl ist auch beim Rückwärtseinparken gefragt. Nur über den Blickkontakt durch die Spiegel schaffte es Scheid, sein 18-Meter-Gefährt auf drei Zentimeter genau an ein Gatter heranzufahren. Sein Meisterstück.

Damit ist der Parcours aber noch nicht fertig. Ohne Zurückrollen muss Scheid sauber von der Stelle wegfahren, den LKW in die richtige Parkposition bringen und nach dem Abgurten nach allen Regeln der Kunst aussteigen – also rückwärts und ordentlich. "Springen oder sowas gibt gleich wieder Abzüge". Wie gesagt: Eine WM mit Alltagsbezug.

Danach ist es wirklich geschafft. "Nach dieser Prüfung war ich schon erleichtert", gibt Scheid zu. Er will immer wissen, wo er Fehler gemacht hat. Er schaut sich Video-Mitschnitte oder Fotos an, auf denen auch schon mal Kurioses festgehalten wird. Scheid spricht von der schönen Atmosphäre bei der Weltmeisterschaft. Insgesamt 17 Nationen traten in den fünf Kategorien "LKW Solo", Bus, Sattelzug, Anhängerzug und "Lehrlinge" an. Die Deutschen wurden als Titelverteidiger insgesamt Vierte über alle Wertungen. Auch die guten Finnen und Schweizer sowie Kroaten und Liechtensteiner waren in Luxemburg dabei. Und die Südafrikaner: "Die haben immer getanzt, wenn eine Prüfung vorbei war", erinnert sich Scheid. Natürlich kam die Geselligkeit am Rande des Sports nicht zu kurz.

Auch für ein kulturelles Ausgleichsprogramm sorgten die Veranstalter von der International Union of Professional Drivers (UICR). Das Einzige, was Scheid störte, war der Pokal für den Vize-WM-Titel: "Ein einziges Plexiglas-Pokälchen für alle aus unserem Team!". Und wo steht der jetzt? "In Norddeutschland beim Organisator unserer Mannschaft. Er hat in der Vorbereitung ja die ganze Arbeit gehabt."

Scheid muss übrigens nicht unbedingt bei der nächsten WM wieder dabei sein: "Das sehe ich lockerer." Da ist der Traum, mit einem LKW über die Highways in den USA zu fahren, schon größer. Faszinierend findet der Geschicklichkeitsfahrer auch Aktionen wie den Concorde-Transport ins Auto- und Technikmuseum Sinsheim vor drei Jahren. Da werde absolute Präzision von den LKW-Fahrern gefordert. Eine Extremsituation: "Sowas würde ich mal gerne machen", sagt Scheid.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung