Schriesheim im Bild 2023

07.04.2007

500 Jahre, 1350 Seiten, 6500 Namen

500 Jahre, 1350 Seiten, 6500 Namen

Von Carsten Blaue

Helmut Hartmann findet einfach keine Ruhe. Vor 27 Jahren hat er angefangen, die Chronik seiner Familie zu schreiben. Und die ist auch ein Stück Schriesheimer Stadtgeschichte. Immerhin leben die männlichen und weiblichen "Hartmänner" seit 1659 in der Stadt und ihrer Nachbarschaft. Über die Jahrhunderte breiteten sich die Stammlinien der Familie aus, verzweigten sich immer breiter und führten zu bemerkenswerten Verwandtschaften. "Irgendwie ist doch ganz Schriese verwandt", lächelt Helmut Hartmann.

Seine Chronik ist inzwischen 1350 Seiten stark und dokumentiert rund 500 Jahre Geschichte deutscher und schweizerischer Hartmann-Familien. Und er forscht weiter, manchmal in mühevoller Kleinarbeit. Jedes Foto zählt, jedes Schriftstück ist wichtig, und wenn es aus Archiven in Frankreich ist.

Unter dem Dach seines Hauses in Ludwigshafen-Oppau macht Hartmann in Familie. Betritt man das gemütlich ausgebaute Arbeitszimmer, fallen zuerst die 19 dicken, weißen Ordner auf, die in Reih’ und Glied auf einem Sideboard stehen. Links daneben die ganze EDV: PC, Scanner, Laptop, Drucker, Fax. Mit dem Einzug der Technik ins Hause Hartmann nahm die Ahnenforschung Mitte der 90er-Jahre erst richtig Fahrt auf. Ältere Archiv- und Ordnungsprinzipien kamen bei der riesigen Menge an Informationen und Daten einfach nicht mehr mit. Davon zeugt etwa noch ein alter, handschriftlicher Stammbaum, der nur noch nostalgischen Wert hat. Die Vergangenheit der "Hartmänner" ist längst in der technischen Gegenwart angekommen und füllt ganze Festplatten.

Helmut Hartmann hat seinerzeit ein Datenverarbeitungssystem entworfen, das zu seiner chronistischen Arbeitsweise passt. Inzwischen hat er in seinem Computer Informationen zu 6500 Namen – dazu Fotos, Urkunden, Briefe und Verweise auf die Fundstellen in den Ordnern, in denen noch mal alles fein säuberlich abgeheftet ist. In seinem Rechner selbst sind rund 15000 Dateien miteinander verknüpft. Mit drei, vier Mausklicks kommt Hartmann von der einen Ecke der Familiengeschichte in die andere – und bis in die Gegenwart.

Statistik ist für ihn aber nur die Pflicht: "Ich bin kein Typ für tote Zahlen. So eine Chronik muss leben." Die Historie der Schriesheimer "Hartmänner" begann vor knapp 350 Jahren im schweizerischen Biel, dem heutigen Uhrenzentrum. Seinerzeit war es der Schreiner Emanuel Hartmann, der seine alte Heimat verließ um in der Kurpfalz beim Wiederaufbau des völlig zerstörten Landes nach dem Dreißigjährigen Krieg zu helfen. "Die Bieler hatten ständig Theater mit dem Bischof in Bern", sagt Helmut Hartmann.

Also wanderte der Handwerker aus, landete in Schriesheim und gründete 1665 mit Anna Margarethe Frank eine Familie, aus der neun Kinder hervorgingen. Drei davon sind familienhistorisch besonders wichtig, und zwar die Söhne Johann Wilhelm, geboren am 6. April 1679, Philipp Friedrich, geboren am 3. Februar 1686, und Hans Dietrich, geboren am 20. April 1689. Rund 140 Stammlinien der Ahnentafel führen zurück auf diese drei Söhne des Einwanderers.

Helmut Hartmann hat sie nach Farben geordnet: Die Linie Johann Wilhelms ist gelb gekennzeichnet, blau ist die Linie von Philipp Friedrich und grün ist die Ahnenreihe von Hans Dietrich. "Ich bin ein ’gelber Hartmann’", lächelt der Familienforscher. Schriesheims Ehrenbürger, Peter Hartmann, entstammt übrigens der "grünen Linie", deren Familienmitglieder in der Stadt und längs der Bergstraße wohl auch die Mehrheit bilden. Die "blaue Linie" sei hier seines Wissens nach ausgestorben, so Helmut Hartmann. Er verweist zwar darauf, dass nicht alle "Hartmänner" in der Stadt vom Bieler Einwanderer abstammen – immerhin gab es da noch den Michel aus Katzental bei Mosbach, der 1758 nach Schriesheim kam – aber über die Frauen seien dann doch wieder alle "über ein paar Ecken" verwandt.

Der seit sechs Jahren pensionierte Chemotechniker folgt in seiner Arbeit dem Vermächtnis eines Vorfahren, der ebenfalls bei der BASF arbeitete: Dr. Gabriel Hartmann, Chemiker und promovierter Philosoph. Dieser schrieb von 1920 bis 1924 ein Familienbuch anhand von Schriesheimer und Dossenheimer Kirchenbüchern und legte den Grundstein der Chronik. Im Nachwort bat er, es möge sich doch jemand finden, der seine schwierige Arbeit fortsetze. Er hätte seine Freude gehabt an Helmut Hartmann, der auf die Enkelin von Gabriel Hartmann in Norwegen stieß.

Wibke Hartmann hatte noch alte Unterlagen ihres Großvaters, darunter auch die Ahnentafel des Regierungsrats im Kanton Solothurn, Dr. Siegfried Hartmann. Der 1871 geborene Nationalrat und Artilleriehauptmann hatte 1924 ebenfalls einen Stammbaum erstellt. So kam Helmut Hartmann auf die "Berner Linie", die seit 1632 das Berner Bürgerrecht besitzt. Bei den Forschungen half ihm Siegfrieds Enkelin, Monika Hartmann. Sie ist ein echtes "Hartmann-Mädel". Und damit ist man bei den aktuellen Projekten von Helmut Hartmann.

Er unterscheidet zwischen den "Hartmann-Mädeln", also den gebürtigen weiblichen "Hartmännern", und den "Hartmann-Frauen", die in die Familie Hartmann eingeheiratet haben. Als die Rhein-Neckar-Zeitung vor sechs Jahren über die Arbeit des Ludwigshafener Familienforschers berichtete, waren die Studien zur Historie der "Hartmann-Frauen" für ihn nur eine Spielerei. Inzwischen widmet er ihnen den fünften Band seiner Chronik, der in Arbeit ist (siehe weiteren Bericht).

Bei der Suche nach den Familien der "Hartmann-Mädel" half der Odenwaldklub. Denn dieser gab im Jahr 2004 das "Familienbuch Schriesheim 1650-1900" heraus. "Ein Traum eines jeden Familienforschers", schwärmt Helmut Hartmann. Jetzt hatte er die Chance, die Chronik um die "Mädel" zu erweitern. Zu den Nachkommen eines "Hartmann-Mädels" gehören übrigens die Brüder Karl-Albert und Hartmut Majer. Sie sind Nachfahren des bisher letzten Schriesheimer Bürgermeisters aus dem Hartmann-Clan, nämlich Karl Hartmann, der 1920 verstarb. Und sie hatten bekanntlich eine prominente Großcousine: Grace Kelly, die monegassische Fürstin Gracia Patricia.

Winzer Karl-Albert Majer ist der Vater der heutigen Weinscheuer-Chefin Christiane. Kein Wunder, dass also gerade hier am 6. Oktober 2001 ein großes Treffen der "Hartmänner" stattfand. Helmut Hartmann plant für dieses Jahr wieder eine Familienzusammenkunft. Vielleicht kann er dann neue Erkenntnisse seiner jüngsten Forschungen über die "Mädels" und "Frauen" der Familie berichten.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung