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08.06.2007

Wird die Raubmilbe bald „umgesiedelt"?

Von Karin Katzenberger-Ruf

"Am 25. September ist der Herbst vorbei", da ist sich Dr. Volker Jörger, Abteilungsleiter am Staatlichen Weinbauinstitut in Freiburg, sicher. Mehr noch: Den Winzern an der Bergstraße empfiehlt er, sich auf die Lese ab Anfang des besagten Monats einzustellen und ihren Urlaub gegebenenfalls vorzuverlegen. Wäre nicht auszudenken, wenn der Lesestart mit dem Straßenfest zusammenfallen würde.

Es ist ein schwüler Nachmittag, als die Winzergenossenschaft ihre Mitglieder zu einer Begehung in den Weinbergen einlädt. Thema ist die "Qualitätsverbesserung", und Volker Jörger ein viel befragter Experte.

Zunächst einmal die gute Nachricht: Nach der frühen Rebblüte und dem Frühling mit sommerlichen Temperaturen hatten Pilzkrankheiten in diesem Jahr kaum eine Chance. Zugleich hat der Boden nach den Regenfällen um Pfingsten herum genügend Wasser gespeichert. Prophylaktische Spritzungen gegen rebschädigende Pilze erfolgten bereits.

Für die Ökologie im Weinberg ist am Institut Gertrud Wegner-Kiß zuständig. Sie setzt auf die Raubmilben, die den Blätter fressenden Kräuselmilben zu Leibe rücken. Laut einer Studie hat eine Raubmilbe täglich an die 35 gekräuselte auf dem Speiseplan. Ein Grund, warum das Weinbauinstitut anregt, den kleinen Helfern in den Weinbergen eine neue Heimat zu geben – ja, sie sogar gezielt "umzusiedeln." Die Raubmilbe ist nämlich "ein blinder Fußgänger" und tut sich mit dem Standortwechsel etwas schwerer. Da setzt das noch kostenlose Angebot des Instituts an, Holzproben von älteren Weinbergen einzuschicken, um das Raubmilben-Vorkommen zu bestimmen. Die Neuansiedlung an anderer Stelle wäre dann eine Art "Öko-Rebschutz."

Dazu Dr. Volker Jörger: "Raubmilben brauchen vom Ei bis zur ihrer Entwicklung zum Insekt zwischen 17 und 24 Tagen, sie fressen Tag und Nacht und sind nicht in der Gewerkschaft." Soviel in Sachen kostenloser Arbeitseinsatz. So kann das Konzept "Nützling, frisst "Schädling" aufgehen.

Wie so eine Raubmilbe aussieht, konnten die Gäste später am Mikroskop mit Bildschirm-Anschluss begutachten. Im Übrigen sind gerade junge Weinberge (durch die Rebflurbereinigung in Schriesheim ja ein aktuelles Thema) durch Kräuselmilben-Befall gefährdet, die laut Gertrud Wegner-Kiß "durch den Wind verbreitet werden." Wenn noch nichts Grünes am Weinstock zu sehen ist, kann man sie mit einer Mischung aus Schwefel und Öl bekämpfen. Die Wasseraufwandmenge beträgt bei dieser Behandlung 600 bis 800 Liter pro Hektar.

Ansonsten werden die winzig kleinen Schädlinge erst durch Schäden an den Blättern (helle Flecken) sichtbar. Bei der Begehung mit dem Fachpublikum kommen auch die "Frühjahrsdürre" (Eutypa) oder die Schwarzfleckenkrankheit (Phomopsis) zur Sprache. Und natürlich der Traubenwickler.

Die Männchen kann man schon seit weit über zwei Jahrzehnten mit weiblichen Sexualstoffen verwirren. Und so "funktioniert" der Traubenwickler beziehungsweise die "Verwirrmethode": Der Traubenwickler schädigt die Reben im Raupen-Stadium. Angefressen werden sowohl Blütenanlagen wie Beeren.

Das wiederum sind ideale Bedingungen für den Pilzbefall. Im Frühjahr nennt man die Raupen "Heuwurm", im Spätjahr "Sauerwurm." Mit der "Verwirrmethode" sollen die Männchen daran gehindert werden, Nachwuchs zu zeugen. Das Weibchen legt zwar nach wie vor seine Eier ab. Diese sind aber unfruchtbar und entwickeln sich nicht weiter. Bei der "Verwirrmethode" diffundieren Sexuallockstoffe in großen Mengen aus kleinen Kapseln. Will heißen: Das begattungswillige Männchen ist von so viel weiblichem Duft umgeben, dass es offenbar gar nicht mehr weiß, wohin es fliegen soll.

Inzwischen gibt es auch in unserer Region zwei Arten von Traubenwickler: Den "einbindigen" (der schon immer hier heimisch war) und den "bekreuzten" aus dem Mittelmeerraum. Die warmen Sommer in den 90er Jahren haben seine Verbreitung nach Norden begünstigt. Doch auch er wird inzwischen mit einem auf seine Art abgestimmten Sexuallockstoff "verwirrt" – dies seit 1995. Doch die Entwicklung geht weiter. So wartet derzeit ein zweites Produkt auf die "Marktreife", das laut Gertrud Wegner-Kiß geradezu perfekt ist, weil die Lockstoffe wohl dosiert über Monate hinweg abgegeben werden. Den Winzern in Schriesheim kann sie nur empfehlen, die "Verwirrmethode" einmal in größerem Stil zu testen. Zumal sie pro Hektar mit 100 Euro an öffentlichen Mitteln gefördert wird.

Bei der Begehung in den Weinbergen geht es außerdem um die Mengenregulierung. Demnach steigert die Ausdünnung der Trauben die Qualität der Weine. Die Trauben können "gekappt" werden, sobald sie so groß wie eine halbe Erbse sind. "Rein mit der Schere und nicht am Zipfel rumschnipseln" empfiehlt Dr. Volker Jöger auch betreffs Grünschnitt. Und wann ist ein Blatt ein Blatt? Etwa wenn es so groß ist wie früher ein Fünf-Mark-Stück. Beim "Ausgeizen" sollte ein Trieb stehen bleiben damit sich die Blätter den Zucker nicht aus den Trauben holen. Wer alles richtig macht, kann bei der Lese mit einer Ertragssteigerung von bis zu 17 Prozent rechnen. Auch das ist wissenschaftlich belegt. Aber wie gesagt: Viel wichtiger ist die Qualitätssteigerung.

Ansonsten überzeugt das Weinbauinstitut Freiburg durch seine Nähe zur Praxis, was auch Harald Weiss als Geschäftsführer der Winzergenossenschaft zu schätzen weiß. Auch künftig wird es weitere Info-Nachmittage geben. Schließlich haben sie sich bewährt. In Schriesheims Genossenschaft gibt es derzeit rund 200 aktive Winzer, die eine Fläche von etwa 130 Hektar bewirtschaften.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung