Schriesheim im Bild 2023

09.12.2008

„Eine ältere Uhr ist einfach nicht bekannt"

Von Stephanie Kuntermann.

Schriesheim. Sie ist 1,24 Meter klein, hat ein Grundmaß von 60 mal 76 Zentimetern und führt seit zehn Jahren ein eher unbeachtetes Dasein. Trotzdem sorgte die frühere Rathausuhr am Samstag für eine handfeste Sensation.

Die zahlreichen Besucher der zweiten "Wein und Geschichte"-Veranstaltung staunten nicht schlecht, als sie bei der Beamerpräsentation im Historischen Rathaus erfuhren, dass Schriesheim die vermutlich älteste bekannte Turmuhr im deutschsprachigen Raum besitzt. "Eine ältere ist schlicht und einfach nicht bekannt", so Chronometrie-Experte Klaus Schlaefer. Er führte in einem spannenden Vortrag in die Geschichte der Turmuhr ein, die zuletzt im Bauhof vor sich hin rostete, bevor sie mit Druckluft von Dreck und Rost befreit wurde und einige ihrer Geheimnisse offenbarte.

Schlaefer, der sie vor 20 Jahren einmal flüchtig im Rathausturm begutachtete, musste sein Urteil revidieren, dass die Uhr nicht älter als 250 Jahre sei. Stutzig machte ihn zunächst der hohe, schlanke Werkskörper, der nicht wie bei zeitgenössischen Uhren im Breitformat gebaut war. Er wandte sich an Wolfgang Komzak, den Leiter des Wiener Turmuhrenmuseums Aschau.

Verzapfte und verkeilte Pfeiler, vernietete Gestellbänder und noch erkennbare Ansätze gotischer Fialen legten ein weit höheres Alter nahe – Komzak schätzte das Baujahr der Uhr auf 1450. Andere Experten bestätigten sein Urteil. An den Gestellpfeilern angebrachte gotische "Tropfnasen", leicht geschwungene Achsen, Windfangflügel und gerade ungekröpfte Füße untermauerten die Vermutung: "Diese gotischen Zierelemente sind ein klares Zeichen für das Alter der Uhr. Wir haben eine so alte Turmuhr noch nie gesehen", so Schlaefer.

Drei Schmiedemarken, eine in Blumenform, eine mit den Initialen H/K und ein Pfeil, geben Rätsel auf, bekannte Schlaefer: "Wir stehen erst am Beginn unserer Forschungen." Aufschluss über das Alter der Holzwalzen können dendrochronologische Untersuchungen geben. Hier werden die Jahresringe mit bereits bekannten im Computer verglichen, womit das Alter des Holzes bestimmt werden kann. Mit der Radiocarbonmethode, die den Zerfall des Kohlenstoff-Isotops 14C misst, kann man das Alter der übrigen Bauteile auf 50 Jahre genau angeben.

Weiteren Aufschluss über die Geschichte des Zeitmessers geben Akten aus dem Stadtarchiv, die Archivar Dr. Hans Jörg Schmidt sichtete – sie berichten vom Kauf einer "allten" Uhr für den Dachreiter am Rathaus. Die kurpfälzische Kanzlei Mannheim, die damals in der Festung Friedrichsburg untergebracht war, wollte die gebrauchte Uhr loswerden. Die Stadt Schriesheim kaufte sie 1687 für 25 Gulden. Lohn für Träger, Transport- und Fährkosten fielen an, die Reparatur kostete 30 Gulden. Das Aufstellen dauerte vier Tage. Gesamtkosten von 75,35 Gulden kamen zusammen.

Für Schriesheim, das bis dahin vermutlich mit Wasser- oder Sonnenuhren die Zeit gemessen hatte, brachte die Turmuhr einen enormen Fortschritt. Sie zeigte mit Schlägen die vollen Stunden an. Ob das Zifferblatt mit einem oder zwei Zeigern versehen war, lässt sich heute nicht mehr mit Sicherheit sagen.

[ZW_TITEL_2Z]Handwerkliche Meisterleistung

[/ZW_TITEL_2Z]1791 wurde die Uhr zusammen mit dem übrigen Rathaus auf den neuesten Stand der Technik gebracht und auch in ihrem Aussehen ein wenig zurechtgestutzt. Der Einbau der "Hemmungen", zweier Haken, die in ein Zahnrad greifen und für das charakteristische "Ticktack" verantwortlich sind sowie einiger barocker Zierteile fallen in diese Zeit. Später wurde die Uhr immer wieder repariert, zuletzt ließ sie wohl kurz nach dem Ersten Weltkrieg ihren Stundenschlag hören. Dann wurde es im wahrsten Sinne des Wortes still um die alte Turmuhr.

Jetzt soll sie fachgerecht zerlegt, gereinigt und wieder zusammengebaut werden, wenn das erforderliche Geld dafür vorhanden ist. Bürgermeister Hansjörg Höfer zeigte sich auf Nachfrage der RNZ zögerlich, den Posten von 2000 Euro im Haushalt einzustellen.

Für die Untersuchungen werden weitere 750 Euro fällig. Falls die Stadt nicht dafür aufkomme, hoffte Schlaefer auf Spenden, denn nicht nur ihr hohes Alter macht sie zu etwas Besonderem: "Sie ist eine handwerkliche Meisterleistung" (siehe weiteren Bericht in unserer Print-Ausgabe).

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung