Schriesheim im Bild 2023

01.02.2013

Stadtplaner sprach über Angst-Diskussion

Von Stephanie Kuntermann

Schriesheim. Mit "Quo vadis, Schriesheim?" war die Veranstaltung der Grünen Liste überschrieben, darunter der Zusatz "Die Auswirkungen des Tunnels auf die Stadtentwicklung". Ein Thema, über das sich offenbar viele Schriesheimer Gedanken machten, war doch die Veranstaltung im Feuerwehrsaal sehr gut besucht. Grünen-Fraktionssprecher Christian Wolf sprach vielen aus dem Herzen, als er forderte: "Jetzt und nicht erst in ein paar Jahren ist der richtige Zeitpunkt, um über die Stadtentwicklung zu reden."

Das tat Jürgen Borkowski ausführlich, und es zeigte sich, dass die Grüne Liste mit ihrem Referenten einen Glücksgriff getan hatte. Der Ladenburger Architekt und Stadtplaner ließ Vorhaben aus 40 Berufsjahren Revue passieren, analysierte, was gut und was weniger gut funktionierte und ersparte seinen Zuhörern auch unbequeme Wahrheiten nicht. Gleich zu Beginn sprach er eine "Angst-Diskussion" an: die über das drohende Aussterben der Innenstädte nach dem Bau von Umgehungsstraßen oder Tunneln. "Das ist nicht nachweisbar, das sind emotionale Dinge." Gleichwohl: Um ein Veröden von Innenstädten zu vermeiden, müsse man auf Wohnbebauung setzen, denn Anwohner könnten aufgrund der kurzen Wege Umsätze bringen.

Im Weinheimer Gerberbachviertel oder in der Ladenburger Innenstadt sei das geglückt, obwohl gerade das Zentrum der Römerstadt in den letzten 40 Jahren etwa 1000 Bewohner verlor, weil der Wohnraum-Bedarf in dieser Zeit von 15 auf 45 Quadratmeter pro Person stieg.

Straßenbahn als "Fluchthelfer"

Altstadtsanierung, Nachverdichtungen und die Umwandlung von Scheunen oder Fabriken in Wohnraum waren Lösungen, ebenso Verkehrsberuhigungen: "Die Fußgängerzone ist aber auch nicht allein selig machend."

Schriesheim sei dafür zu klein, der Verkehr würde nur andere Straßen stärker belasten, und markante Endpunkte fehlten. "So etwas muss ganzheitlich geplant werden." Ganzheitlich war so etwas wie Borkowskis Lieblingswort, er bezog es auf die gesamte Innenstadt zwischen Bismarck-, Tal- und Bahnhofstraße. Attraktive Straßen mit viel Grün, eine teilweise Freilegung des Kanzelbachs am Festplatz, ein gut durchmischtes Angebot mit Geschäften, Praxen, kulturellen und sozialen Angeboten sowie ein "Frequenzbringer" seien wichtig, so sein Fazit. Mit Letzterem zitierte der Architekt das 2007 erstellte Einzelhandelsgutachten, das eine Bebauung entlang der Talstraße vorschlug.

Der Einwand von Blumenhändlerin Marlies Edelmann, dass die Schriesheimer letztes Jahr das dort geplante Ärztehaus vehement ablehnten, erstaunte Borkowski nicht: "Die Leute sind immer dagegen, wenn eine Planung nicht von unten her aufgebaut und vernünftig vorbereitet wird." Man hätte eine längere Vorlaufzeit gebraucht sowie mehrere Plan-Alternativen.

Claudia Kockrow berichtete von einem Ladenburger Händler, der wegen der zeitweise menschenleeren Innenstadt aufgab. Borkowski verlangte, dass Verantwortliche Leerstände genau im Blick haben, aber auch Ansiedlungen "auf der grünen Wiese" zulassen müssten. Sie könnten sich mitunter als Kaufkraft-Bringer erweisen. Winzergenossenschafts-Geschäftsführer Harald Weiss und BDS-Ehrenvorsitzender Horst Kolb erinnerten an das Beschilderungskonzept, das niemals umgesetzt wurde. "Die Stadt muss sich als Ganzes verkaufen", forderte Kolb. Das auch in Bezug auf Pflasterung oder gemeinsame Aktionen. Dazu passte Borkowskis Forderung, den Mathaisemarkt noch stärker als bisher zur Identifikation einzusetzen. Eine für seine Gastgeber vielleicht unbequeme Ansicht hatte Borkowski zum ÖPNV: "Ein gut ausgebautes Straßenbahnnetz ist für viele Kunden ein Fluchthelfer." Hieß: Kunden, die lange, umständliche Wege scheuten, würden sich mitunter "mal schnell" in die Straßenbahn setzen und in eine größere Stadt fahren.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung