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05.10.2013

CDU feiert Tag der Deutschen Einheit in Schriesheim

Von Stephanie Kuntermann

Schriesheim. "Ich bin dankbar, dass ich mir nichts vorwerfen muss", sagte Professor Roland Kuntze. Seine Geschichte, von ihm selbst bei der CDU-Feierstunde zum gestrigen Tag der Deutschen Einheit erzählt, erfuhr vor 40 Jahren eine dramatische Zuspitzung bei seiner Flucht aus der DDR. Eine Geschichte, die CDU- Stadtverbandsvorsitzender Daniel Schneegaß als spannend bezeichnete, exemplarisch für einen Kampf um die persönliche Freiheit, den heute nicht mehr viele Menschen kämpfen müssten. Höchstens noch gegen "linke Bevormundung". Seine Anspielung auf den grünen "Veggie- Tag" brachte Schneegaß im voll besetzten Feuerwehrsaal einen Extra- Applaus: "Wir wollen entscheiden, wohin wir reisen, welches Auto wir fahren und was wir essen."

Einen weitaus dramatischeren Kampf hatte Kuntze auszustehen. Geboren 1942 in Leipzig, studierte er an der Musikhochschule und später als junger Cellostudent am Moskauer Tschaikowski- Konservatorium. In einem Umfeld von Künstlern aus der ganzen Welt genoss er dort Freiheiten, besuchte einmal sogar auf Einladung eines Orchesters die US-Botschaft. "Die Stasi hat nie davon erfahren, auch der KGB hat geschlafen", freute er sich diebisch. Die Entscheidung zur Flucht fiel damals aber noch nicht.

Nach dem Studium spielte er bei der Staatskapelle Berlin, die als eines der wenigen Ensembles Konzertreisen in den Westen unternahm. Von 150 Musikern gehörten nur vier der SED an, bei vielen anderen reifte bald der Entschluss, eine Konzertreise zur Flucht zu nutzen. Seine damalige Lebensgefährtin flüchtete in die Schweiz, doch auch da konnte sich Kuntze noch nicht zum Mitkommen entschließen. Er kehrte nach Ostberlin zurück und wurde von der Stasi verhört. Wenig später warben ihn zwei Stasi-Mitarbeiter an. "Ich verpflichte mich zur freiwilligen Mitarbeit bei der Staatssicherheit", lautete die Erklärung, die er unterschrieb aus Angst vor Schikanen und um weiter reisen zu können.

Treffen in konspirativen Wohnungen folgten, ein Auftrag zeichnete sich ab: Kuntze sollte einen Kollegen ausspionieren, einen angeblichen West-Agenten. "Dem konnte ich mich nur durch Flucht entziehen", sagte er und bereitete sich vor: Er tauschte Geld um, nähte Papiere in seinen Instrumentenkoffer ein und gab Freunden den Wohnungsschlüssel: "Damit sie die ausräumen konnten und nicht die Stasi." Bei einer Konzertreise nach Italien kontaktierte er den deutschen Generalkonsul in Neapel, der ihm Papiere beschaffte. Er spielte noch alle drei Konzerte mit, warnte seinen Kollegen, der ins Visier der Stasi geraten war und feierte am letzten Abend Abschied mit einigen eingeweihten Kollegen.

Mit Briefen an Professor Hans Pischner, SED-Mitglied, Stasimitarbeiter und Intendant der Staatsoper Berlin sowie an die Stasi-Zentrale in der Normannenstraße verabschiedete er sich von der DDR und sparte dabei nicht mit Kritik am Regime. Der Stasi, erzählte er der RNZ, drohte er, mit seiner Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen: Ein Versuch, seine Eltern vor dem Zugriff der Organisation zu schützen.

Am nächsten Tag flüchtete er, verfolgt vom ersten Konzertmeister, der sich damit als Stasimann offenbarte. Inoffizieller Mitarbeiter war auch der damalige Leiter des Auffanglagers Gießen, Kuntzes erster West-Station, der sich mit sämtlichen Unterlagen der Flüchtlinge aus dem Staub machte. Kuntze gründete im Westen eine Familie, fand Arbeit und musizierte in Lübeck, Bayreuth und im World Orchestra Tokio, wurde Dozent an der Mannheimer Musikhochschule und organisierte die Weinheimer Meisterkurse.

Nach den stimmungsvollen Liedvorträgen des GV Liederkranz dankte Landtagsabgeordneter Georg Wacker für die Feier und auch die Bereitschaft der Schriesheimer CDU, sie jedes Jahr zu organisieren. Die Zeiten vor dem Mauerfall sollten als Mahnung verstanden werden: "So etwas darf auf deutschem Boden nie wieder passieren."

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung