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14.03.2016

Mathaisemarkt-Kunstausstellung: "Der Tausendfüßler hat das Scannen überlebt"

Noch bis Sonntag ist im Schriesheimer Feuerwehrhaus die Mathaisemarkt-Kunstausstellung "Lichtzeichnungen. Ohne Kamera" zu sehen

Von Stephanie Kuntermann

Schriesheim. Die Lautsprecher an den Mathaisemarkt-Karussells schicken ein buntes Durcheinander von Popmusik über den Festplatz, eine verkleidete Mickymaus formt Luftballontiere, und von den Imbissbuden wehen einem verführerische Düfte in die Nase. Nur ein paar Schritte entfernt öffnet sich die Tür des Feuerwehrsaals für die Besucher der Kunstausstellung, und man lässt Lärm und Trubel des Volksfests für einen Moment hinter sich. "Lichtzeichnungen. Ohne Kamera" ist der schlichte Titel, den der Kulturkreis (KKS) als Veranstalter, Jo Goertz als Kuratorin und Künstler Walter Spagerer gewählt haben, und damit wird schon allerhand gesagt.

Nämlich über die Arbeitsweise des Mannheimer Fotografen: Er blickt nicht durch Linse und Objektiv auf seine Motive, sondern durch die gläserne Platte eines Scanners. Und weil der jedes Detail mit großer Schärfe und Eindringlichkeit wiedergibt, Blätter und Strukturen bis in die feinsten Verästelungen darstellt, passt auch "Lichtzeichnungen" sehr gut.

Filigrane Gräser sieht man auf den Bildern, Orchideen mit glänzenden, wachsartigen Blättern und einmal auch einen anthrazitgrauen Tausendfüßler, der seinen Chitinpanzer mit den vielen weißlichen Beinen zu einer Schnecke aufgerollt hat. Doch das große Thema des Künstlers ist die Darstellung der Vergänglichkeit, von Werden und Vergehen, für die er immer wieder Hibiskusblüten auf die Scannerplatte gelegt hat. Er stellt sie in präzisem Schwarz-Weiß dar, manche leuchten aber auch rot und violett vor mattschwarzem Hintergrund wie alte Stillleben: Da gibt es eine voll entfaltete Blume, die ihre kräftig-gelben Blätter ausstreckt wie einen aufgespannten Schirm.

Nichts, das hat der Künstler der RNZ bereits im Vorgespräch zur Ausstellung verraten, sah nach dem Scannen noch so aus, wie es die Bilder zeigen: Hitze und helles Licht setzten den Blumen, dem Obst und Gemüse meist so zu, dass sie danach allenfalls noch zu Trockengestecken getaugt hätten - auch das eine wenn auch ungewollte Symbolik für ihre Endlichkeit. "Aber", und da beruhigt Spagerer die Tierfreunde, "der Tausendfüßler hat das Scannen überlebt".

Mal zeigt er die Knospe einer Amaryllis, mal eine Iris, doch gerade der Hibiskus mit seinen im Absterben eingerollten Blättern hat es ihm angetan: Die größten der ausgestellten "Scanografien" zeigen die eigenartigen Gebilde, die beim Verwelken entstehen, ihre Strukturen werden mit harten Hell-Dunkel-Kontrasten hervorgehoben. Automatisch verliert man sich beim Betrachten in Details; fast jeder, der durch die Ausstellung geht, verlangsamt sein Tempo und wird stiller, sogar die Kinder, die an der Hand von Eltern und Großeltern hier herein kommen. "Das ist mein Lieblingsbild", sagt ein Junge und meint eine fuchsiafarbene Hibiskusblüte, auf deren Blatt ein einzelner Tautropfen glitzert.

Am Eingang sitzt KKS-Mitglied Dieter Seegelken, der die zu Beginn des Volksfests begonnene Besucherzählung fortsetzt. Gestern Nachmittag gegen fünf sind es 450 Menschen, die die Bilder gesehen haben. Viele blättern nach ihrem Rundgang noch das ausliegende Exemplar von Spagerers Bildband "Ohne Kamera" durch, fasziniert von der ganz speziellen Atmosphäre der Bilder. "Ich nehme das Buch mit für eine Freundin, die nicht zur Ausstellung kommen kann", sagt eine Besucherin. Für 39,90 Euro ist es zu haben, neben Erläuterungen findet man darin auch noch Prosa und Gedichte, die es dem Künstler besonders angetan haben. Besonders ein Brecht-Zitat scheint auf viele der "Scanografien" zu passen: "Es gibt keine Kunst ohne Geheimnis."

Info: Die Mathaisemarkt-Kunstausstellung dauert noch bis Sonntag, 13. März und ist am Wochenende wie folgt geöffnet: am Samstag von 12 bis 19 Uhr sowie am Sonntag von 11 bis 18 Uhr. Der Eintritt ist frei.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung