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06.06.2016

Schriesheim: Der Branichtunnel und sein "Heiligtum"

RNZ-Serie "Der lange Weg zum Branichtunnel", heute: Der archäologische Fund im Herbst 2009

Von Dirk Hecht

Schriesheim. Vor den Arbeiten am Branichtunnel mussten die Zufahrt am Westportal und die Brücken für die Wirtschaftswege gebaut werden. Bei solchen Großprojekten wird viel Fläche verbraucht und große Erdmassen bewegt. Archäologische Fundstellen aus ur- und frühgeschichtlicher Zeit bestehen in der Regel aus Erdbefunden wie zum Beispiel Gruben, Gräben und Pfostenlöchern, die sich lediglich durch Farbe und eine unterschiedliche Konsistenz vom umgebenden Erdreich unterscheiden. Anders als steinerne Fundamente der Römer oder des Mittelalters, werden sie unbemerkt zerstört. Damit dies beim Branichtunnel-Projekt nicht passiert, war die archäologische Denkmalpflege früh eingebunden. Ein Team der Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen (REM) unter der Leitung von Dr. Klaus Wirth beobachtete die Bauarbeiten. Sondagen und Ausgrabungen halfen, so viel Informationen wie möglich zu retten.

Dass sie dort etwas finden würden, war den Archäologen bereits klar. Denn westlich der B 3, im Bereich des Autobahnzubringers, befand sich eine Villa rustica, ein römischer Gutshof. Dessen Hauptgebäude wurden 1766 und 1970/71 bereits ausgegraben. Kurfürst Carl-Theodor ließ zur Erinnerung an die Ausgrabung 1767 eine Gedenksäule aus Buntsandstein errichten. Nach mehreren Versetzungen steht sie heute auf dem Pendlerparkplatz nahe der B 3. Als die Untersuchungen von 1971 abgeschlossen waren, musste das Gebäude dem Autobahnzubringer weichen. Der gut erhaltene Keller konnte jedoch gerettet werden und befindet sich heute im Keller des Schriesheimer Rathauses, wo er während der Öffnungszeiten besucht werden kann.

Eine römische Villa setzt sich aus vielen Gebäuden und Errichtungen zusammen: Wirtschaftsgebäude, Scheunen, Ställe, Werkstätten, Wohnhäuser für die Bediensteten, Heiligtümer und manchmal ein eigenes Badehaus. Von der Villa im Gewann "Schanz" war bislang nur das Hauptgebäude bekannt, dessen Mauern schlecht erhalten waren. Von einem Vorgängerbau aus Holz haben einige Gruben und Gräbchen die Zeit überdauert. Später wurde das Haus durch einen steinernen Nachfolgebau ersetzt und in mehreren Phasen ausgebaut. Die Lebensdauer der Villa umfasste circa 150 Jahre, von etwa 100 bis 250/60 n. Chr. Für das Forscherteam war es nun spannend, was noch vom alten Villenareal unter der Erde erhalten geblieben ist. Jeder Baggerschnitt konnte Befunde hervorbringen. Aber Archäologen brauchen Geduld, und die wurde auf eine harte Probe gestellt. Denn es stellte sich heraus, dass der Boden tief greifend gestört war. Intensive Landwirtschaft und natürliche Einflüsse ließen nur stark eingetieften Befunden eine Chance.

Kurz vor Ende der Untersuchungen, im Herbst 2009, stieß man auf Mauerreste. Circa zehn Meter nördlich des Haupthauses wurde ein rechteckiges Bauwerk freigelegt, das knappe zehn Meter lang und etwa sechs Meter breit war. Dass es überhaupt erhalten blieb, ist der Tatsache geschuldet, dass der Innenraum in den Boden wie ein Keller eingetieft war.

Was sich Laien wie Fachleute sofort fragten, ist: Was für einen Zweck hatte dieser Bau? Diese Frage direkt zu beantworten, war sehr schwierig. Durch ein Ausschlussverfahren und Vergleiche zu ähnlichen Strukturen konnte man der Sache nahe kommen.

Ein profanes Wirtschaftsgebäude, beziehungsweise ein Stall oder eine Scheune konnte es nicht gewesen sein, da es sehr sorgfältig aus Stein erbaut wurde und die Innenwände mit einem feinen Kalkverputz verputzt waren, der unter anderem noch rote Linienmuster aufwies. An der östlichen Schmalseite, das Gebäude war in Ost-West-Richtung orientiert, befand sich der Eingang. Eine große, massive Sandsteinschwelle nahm das später zweiflügelige Tor auf. Die Schwelle bestand aus zwei Teilen, was darauf hindeutete, dass der Eingang verbreitert wurde. Wie beim Haupthaus, wurden auch hier mehrere Bauphasen nachgewiesen. Wenn man alles zusammennahm, also Grundrissform, Ost-Westausrichtung, eingetiefter und repräsentativer Innenraum mit großzügigem Eingang sowie Vergleiche zu anderen Fundorten, lag die Vermutung nahe, dass dies ein Heiligtum gewesen ist. Es gibt bis heute zwar keine Funde, die das bestätigen, aber es ist am wahrscheinlichsten, dass dieses Heiligtum dem persischen Lichtgott Mithras geweiht war. Er war besonders bei (ehemaligen) Soldaten beliebt und lange Zeit ein großer Konkurrent der christlichen Religion.

Lange dachte man, dass das Ende der römischen Herrschaft im rechtsrheinschen Gebiet (um 260) gewaltsam gekommen ist, was so nicht stimmt. Die Gründe dafür sind vielschichtig, aber die Villa im Gewann "Schanz", so konnte man auch bei dem jüngsten Ausgrabungsobjekt sehen, war quasi besenrein zurückgelassen worden. Kein Brandschutt, äußerst wenige Funde, keine Anzeichen von Zerstörungen; die Besitzer sind um 250 mit ihrem gesamten Hausrat über den Rhein gezogen, um sich dort eine neue, sicherere Existenz aufzubauen.

Am letzten Tag der Ausgrabung gab es eine schiere Völkerwanderung zu dem "Heiligtum". Über 150 Interessierte wollten sich zum Schluss noch einmal das Gemäuer ansehen. Viele mit wehmütigen Gefühlen, denn wenige Tage später sollte das Gebäude, im wahrsten Sinne des Wortes, Geschichte sein. Es war unmöglich, es zu retten. Es musste den Baggern und dem Straßenbau weichen. Gerettet wurde jedoch die große Türschwelle. Sie befindet sich derzeit als Dauerleihgabe der REM im Historischen Rathaus in Schriesheim.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung