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28.10.2016

Apotheker der Region fürchten um ihre Filialen

Urteil des Europäischen Gerichtshofs traf die Besitzer unvorbereitet - Jetzt hoffen sie auf ein Verbot des Medikamenten-Versandhandels

Von Nicoline Pilz und Frederick Mersi

Edingen-Neckarhausen/Schriesheim. "Wenn die Bundesregierung nicht handelt, dann sehe ich nicht nur schwarz - dann sehe ich rabenschwarz", sagt Robert Long von der Strahlenburg-Apotheke in Schriesheim. Das Urteil, mit dem der Europäische Gerichtshof (EuGH) vergangene Woche die in Deutschland geltende Preisbindung für ausländische Versandapotheken aufgehoben hat, hat die Apotheker in der Region erschreckt. Denn für kleinere Betriebe könnte das gefährlich werden.

"Keiner von uns hat damit gerechnet, dass das Urteil so kommt", sagt auch Thomas Luft, Inhaber der Post-Apotheke in Neckarhausen, "das ist ein Schlag ins Kontor." Gerade weil sich der EuGH bislang nicht ins deutsche Gesundheitswesen eingemischt, sondern stets erklärt hatte, dass jedes EU-Mitgliedsland das schon selbst regele.

Nun stehe man genau wie vor vier Jahren vor der Situation, dass ausländische Versandapotheken rezeptpflichtige Arzneimittel rabattieren dürfen, so Luft. Der niederländische Anbieter Doc Morris macht das bereits mit Zwei-Euro-Nachlässen, andere geben gar zehn. "Seit 2004 sind bei uns die Preise für nichtverschreibungspflichtige Medikamente frei", erläutert Luft. Das galt bisher jedoch nicht bei Medikamenten, die von einem Arzt verschrieben werden müssen. "Das ist staatlich geregelt. Der Einzige, der den Preis frei festlegen darf, ist der Hersteller."

Das heißt, die Pharmaindustrie kann den Einstiegspreis definieren, der Großhandel darf noch einmal 3,15 Prozent auf den Herstellerpreis draufschlagen plus eine "Logistikpauschale" von 70 Cent pro Packung. Im Ergebnis ist das der Einkaufspreis für Apotheken, die wiederum drei Prozent Aufschlag dazurechnen dürfen, um die Lagerkosten oder das Lagerrisiko gegenzufinanzieren. Dann kommt noch die Mehrwertsteuer hinzu, an der der Staat verdient, und fertig ist der Endpreis für den Verbraucher. Das System in Deutschland ist bisher also klar aufgeteilt zwischen Industrie, Zwischenhandel und Krankenkassen. Der deutsche Gesetzgeber hatte deswegen erst vor vier Jahren eine Preisbindung auch für ausländische Apotheken festgelegt. Nun dreht der EuGH das Rad wieder zurück. Mit fragwürdiger Argumentation, so der Apothekerverband.

Was das für die Apotheken in der Region bedeutet, weiß Luft noch nicht: "Das kann in alle Richtungen gehen." So könnte er sich vorstellen, dass der Gesetzgeber den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Medikamenten ganz verbiete - auch, um zu verhindern, dass ein Preiskampf stattfindet.

Das sei gesetzlich aus Verbraucherschutzgründen nicht gewollt: "Wenn man eine Apotheke ordentlich führt, ist das ein beratungsintensives Geschäft", sagt Luft. Er selbst hat in Neckarhausen eine Klientel, die vor allem auch aus Stammkunden mit Kundenkarte besteht. "Man kennt deren Krankengeschichte, und es fällt auf, wenn der Arzt etwas Anderes verschreibt als sonst immer", meint er. Dem Versandhandel sei das egal.

Dennoch kann er sich auch ausmalen, dass "Chroniker", wie Menschen mit chronischen Krankheiten bezeichnet werden, den günstigeren Weg über den ausländischen Versandhandel nutzen könnten. "Die Frage ist, wie viele das tun und wie viele sagen, das mache ich nicht, weil ich meine Apotheke vor Ort habe." Das Urteil platzte mitten in eine Sitzung des Apothekerverbands, sagt Luft, "und die Gesichter waren entsprechend ungläubig. Die Aufregung hat sich dann gelegt. Wir waren uns einig, dass wir abwarten müssen. Etwas anderes geht im Moment nicht."

Auch Robert Long von der Schriesheimer Strahlenburg-Apotheke befürchtet ein Apothekensterben unter kleineren Betrieben, wenn das Urteil in Deutschland vollständig umgesetzt wird. "Innerhalb von wenigen Jahren müsste vermutlich ein Drittel der Apotheken dicht machen", fürchtet er.

Er hofft deshalb, dass sich die Bundesregierung für ein Verbot des Versandhandels mit Medikamenten entscheidet. Sonst sieht er auch seinen eigenen Betrieb in Gefahr: "Wenn wir in einen Preiskampf geraten, bräuchten wir die fünffache Menge an Kunden, um das auszugleichen."

Die Preisvorteile für die Kunden seien auch bei einer Durchsetzung des Urteils zunächst überschaubar: "Die Medikamente würden ohne Rabatte maximal 6,10 Euro billiger werden. Das ist das, was wir als Apotheker daran verdienen - egal, wie teuer die Medikamente insgesamt sind." Nur wenn die Hersteller ihre Produkte im Ausland billiger verkaufen, dann könnten die Preisvorteile für die Kunden größer werden.

Dafür fiele aber die Beratung in den Filialen weg, etwas, das Long sehr am Herzen liegt: "Auch wenn eine 82-jährige Schriesheimerin noch fit ist, könnte die Benutzung einer Versandapotheke für sie schwierig werden." Seine Mitarbeiterinnen nehmen sich dagegen Zeit für die Beratung - selbst wenn es um den Geschmack des Hustensafts geht. Online ist das nur schwer vorstellbar.

Größere Einrichtungen wie Alten- und Pflegeheime seien dagegen zum Teil schon ganz auf den Versandhandel umgestiegen. "Die wollen ihre Medikamente meistens verblistert haben", sagt Long. Verblisterung ist die Verpackung verschiedener Medikamente in den individuellen Dosen der Patienten. "Das ist eine Sache, die wir jetzt schon nicht mehr machen - zu viel Aufwand, der sich betriebswirtschaftlich nicht lohnt", so Long.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung