Schriesheim im Bild 2023

15.11.2016

Walters "Auszeit" in Schriesheim ist unverzichtbar

Der Kiosk "Auszeit" und sein beliebter Inhaber Walter Lichtenberger in der Conradstraße

Von Carolina Paul

Schriesheim. In aller Frühe öffnet Walter Lichtenberger seinen Kiosk, die "Auszeit" in der Conradstraße, für die ersten Kunden. Es riecht nach Kaffee, Süßigkeiten und dem Papier von Zeitschriften, die in den hohen Regalen des kleinen, engen Verkaufraums lagern. Ein vertrauter Geruch, der Kindheitserinnerungen weckt. Vor dem inneren Auge spielt sich der Film ab, wie man mit dem ersten eigenen Taschengeld den Laden betreten hat, der damals noch viel größer wirkte. Den "Mitarbeiter des Monats", ein Süßigkeitenspender in Gestalt des Haribomännchens, gibt es immer noch. Er ist übersät mit Unterschriften und liebevollen Botschaften an den Kioskbesitzer. Lichtenbergers "Auszeit" ist für viele ein Stück Heimat und absolut einmalig. Und das hat viel mit dem Mann hinter dem Tresen zu tun.

Einige seiner Kunden, die sich auf dem Haribo-Mann verewigten, haben mittlerweile eigene Kinder. Sätze wie "Walter, du bist der Beste" oder "Walter, wir lieben dich" haben sie damals geschrieben. Oder das hier: " Ich denke an dich, wenn ich am Strand liege. Bei 30 Grad im Schatten." Noch ist Lichtenberger alleine im Laden. Doch wenn der Ansturm der Schüler des Schulzentrums beginnt, wird er Unterstützung brauchen. Dann hilft ihm seine langjährige Mitarbeiterin und gute Freundin, Wanda Straka.

Sie lernten sich durch seine Frau kennen und pflegen seitdem eine enge Freundschaft: "Sie war ein totaler Glücksgriff, die Wanda". Früher einmal hat Lichtenberger Autos verkauft. Doch schon bald merkte er, dass das nicht das ist, was er sein Leben lang tun möchte. Es langweilte ihn, und er beschloss 1997 die Ladenräume in der Nähe des Spielplatzes zu kaufen. Er tauschte gerne die gute Bezahlung gegen die Selbstständigkeit, die für ihn eine "Herzenssache" ist. Langeweile hat er nur noch in den Ferien, wenn die Schüler des Kurpfalz-Schulzentrums frei haben und das Mittagsgeschäft ausbleibt.

Gerade kommt ein alter Bekannter rein. Er kauft eine Zeitung: "Der Kerl ist ein klasse Typ, aber manchmal unerträglich", beschreibt er "seinen Walter" lachend. Er meint die flotten Sprüche von Lichtenberger. Als der Mittagsbetrieb beginnt, ist Wanda Straka schon da. Bald kommen die ersten Schüler und wollen ihre Schnitzelbrötchen oder Hotdogs. Doch dabei bleibt es oft nicht. Die Jugendlichen finden bei Lichtenberger und Straka immer ein offenes Ohr. Sie kümmern sich um die Schüler. Es ist egal, ob es dabei um Streit mit den Eltern oder um die Enttäuschung über eine vermasselte Klassenarbeit geht. Lichtenberger findet aufbauende Worte und ist dadurch für Einige mehr, als der Mann hinter dem Tresen. "Wir sind die Ersatzfreunde und Oma und Opa für die Jugendlichen und ihre Probleme. Eine Insel, auf der sie ihre Geschichten abladen können", erzählt Straka. Ein paar Jungs hätten ihre Dankbarkeit vor Jahren auf eigene Weise ausgedrückt: "Wir klauen überall, aber bei dir nicht."

Mit den meisten seiner Kunden ist Lichtenberger per Du. Was für ihn eine Selbstverständlichkeit ist, macht für andere das persönliche Etwas aus. Auch wenn mal die 10 oder 20 Cent für den Lieblingsschokoriegel fehlen, dann ist das kein Problem. Während Lichtenberger und Straka die Schüler bedienen, necken sie sich oft gegenseitig. Immer im Bewusstsein, was sie aneinander haben: "Isch bin für ihn do, wenn er misch brauch’. Un’ er is’ für misch do, wenn isch ihn brauch’" sagt Straka mit einem breiten Grinsen. Bei all dem Spaß während der Arbeit vergessen sie aber nie, welche Verantwortung sie vor allem für die Schüler tragen.

Gegen 18 Uhr schließen Walter Lichtenberger und Wanda Straka wie üblich den kleinen Kiosk, und so manch gut gehütetes Geheimnis bleibt im Laden zurück. Schon morgen werden wieder Kaffees über den beklebten Tresen wandern, und es wird nicht allzu lange dauern, bis sich die nächste Generation junger Schüler auf dem "Mitarbeiter des Monats" verewigt. "Der Walter" und "die Wanda" werden dann noch immer hinter der Theke des vollgestellten Ladens stehen und sich der ein oder anderen Sorge annehmen.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung