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27.12.2016

Jahresgespräch mit Schriesheims Bürgermeister Höfer: "Heute lebe ich bewusster"

Jahresgespräch mit Schriesheims Bürgermeister Höfer: "Heute lebe ich bewusster"

Über die Herausforderungen der Stadt und das Leben mit 60

Von Carsten Blaue

Schriesheim. Das Jahr 2016 war für Bürgermeister Hansjörg Höfer auch persönlich ein besonderes. Er wurde 60 Jahre alt und konnte auf zehn Jahre im Amt zurückblicken. Der RNZ reichten im Jahresgespräch jedoch die vergangenen zwölf Monate und ein Ausblick. Denn die Herausforderungen der Gegenwart sind groß.

Herr Höfer, Thema des Jahres ist natürlich die Eröffnung des Branichtunnels. Teilen Sie den Eindruck Ihrer Stellvertreterin, Barbara Schenk-Zitsch, dass es gefühlt so ist, als gebe es ihn schon immer?

(lacht) Ich stand neulich auf der Brücke an der Leutershäuser Straße und habe mir den Verkehr angeschaut, der durch den Tunnel rollt. Ich habe mich gefragt, ob die Autos früher wirklich alle durch die Talstraße gefahren sind. Die Entlastung der Talstraße greift. Zur Zeit machen wir Verkehrszählungen und Geschwindigkeitsmessungen in der Talstraße und können heute schon sagen: Es gibt deutlich weniger Verkehr, aber es wird zu schnell gefahren.

Sie haben nach der Öffnung des Tunnels unmissverständlich klar gemacht, dass Sie bei der Sanierung der Talstraße als alter L 536 auch das Land in der Pflicht sehen. Wie weit sind Sie mit den Verhandlungen in dieser Sache?

Wir sind auf einem sehr guten Weg. Das Regierungspräsidium teilt unsere Meinung. Wir brauchen von der B 3 bis zur Einmündung der Branichstraße einen neuen Belag. Das ist unstrittig. Anders sieht es bei der Sanierung der Gauls- und der Schotterersbrücke aus. Ebenso wie das Regierungspräsidium haben auch wir ein Gutachten erstellen lassen, um festzustellen, ob die Brücken saniert werden können oder ob ein vollständiger Neubau notwendig ist. Bei einem Neubau müsste die Durchflusshöhe der Gaulsbrücke erhöht werden. Da werden wir uns im kommenden Jahr zusammensetzen.

Sie haben immer betont, wie wichtig es ist, die städtebaulichen Chancen in der Talstraße nach der Tunnelöffnung zu nutzen.

Ja, das ist wirklich eine große Chance. Wir können ein altes Schriesheimer Kerngebiet neu entwickeln. Für mich hat das von der Tragweite her eine Bedeutung, die in ihrer Dimension mit der Altstadtsanierung gleichzusetzen ist.

Welchen Eindruck haben Sie: Fahren die Kunden durch den Tunnel am Schriesheimer Einzelhandel vorbei, wie befürchtet?

Nein, das hat sich bislang nicht bestätigt. In diesem Zusammenhang war es für mich auch eine Herzensangelegenheit, dass die Heidelberger Straße zwischen Kirchstraße und Talstraße saniert wird. Das Ergebnis kann sich auf jeden Fall sehen lassen.

Bis alles fertig war, hat es aber ziemlich lange gedauert.

Vorher hatten wir 25, 30 Jahre lang eine asphaltierte Straße. Jetzt ist sie ordentlich und entspricht dem Charakter unserer Altstadt.

Nicht mal für den Branichtunnel ging Ihnen das Wort "historisch" leicht über die Lippen. Bei der Anschlussunterbringung von Flüchtlingen sprechen Sie aber von der "historischen Dimension" der Aufgabe. Was macht diese so bedeutend?

Ich benutze dieses Wort wirklich nicht inflationär und bin grundsätzlich kein Freund von Superlativen. Aber in diesem Fall kommen schutzbedürftige Menschen zu uns. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen Flüchtlinge und Vertriebene. Sie damals zu integrieren und ihnen Unterkunft zu geben, war eine historische Aufgabe. Was wir heute erleben, hat für mich eine ähnliche Dimension. Darüber hinaus kommen die Menschen heute aus anderen Kulturkreisen, was die Aufgabe ungleich komplexer macht.

Für die Sie in der Anschlussunterbringung Wohnraum zur Verfügung stellen müssen.

Ja, und es ist uns bisher gut gelungen, Häuser und Wohnungen dafür zu finden. Zunächst wollten wir ein Haus am Wiesenweg bauen. Der Gemeinderat lehnte das ab und forderte eine dezentrale Unterbringung. Wir mussten also Lösungen finden. Und heute bin ich sehr froh, dass wir keine Großunterkunft haben. Wohnraum zu finden, bleibt ein dominantes Thema. Dafür haben wir eine Arbeitsgruppe im Haus unter Federführung unserer Flüchtlingsbeauftragten Isabel Herschel eingerichtet. Wir beraten uns jede Woche.

In Ihrer Haushaltsrede kam kürzlich der Schulbauprozess gar nicht mehr vor. Hat die bauliche Zukunft des Bildungszentrums angesichts anderer Herausforderungen wie der Flüchtlingsunterbringung oder dem Bau von zwei neuen Kindergärten keine Priorität mehr?

Gerade im letzten Jahr ist das Aufgabenspektrum der Stadt gewachsen. Wir müssen die Finanzierung solch großer Projekte auf sichere Beine stellen.

Es war Ihr Ziel, diese bis Ende des Jahres 2016 zu klären.

Es dauert aber eine gewisse Zeit, und das liegt ja weniger an uns. Wir haben einen klaren pädagogischen und baulichen Fahrplan. Vielen Städten geht es da ja ähnlich wie uns. Das Land hat mittlerweile reagiert, und auch der Bund hat eingesehen, dass es zusätzlicher Zuschussmöglichkeiten bedarf. Dass das Umdenken aber speziell auch unserem Schriesheimer Schulbauprozess zu verdanken ist, ist vielen gar nicht so bewusst. Für mich ist die Priorität also nach wie vor gegeben.

Beim Thema Windkraft gab es den Schulterschluss zwischen Hirschberg, Dossenheim und Schriesheim. Jetzt wird die Hangkante der Bergstraße vom Nachbarschaftsverband nicht mehr als Konzentrationszone für Windräder berücksichtigt. Wohl aber Gebiete auf Schriesheimer Gemarkung am Weißen Stein und an der Schriesheimer Hütte. Könnten Sie sich mit diesen Standorten anfreunden?

Grundsätzlich bin ich ein Befürworter der Windenergie, aber nicht um jeden Preis. Und ich betone es noch einmal: Wir müssen Konzentrationszonen ausweisen, weil der Teilflächennutzungsplan "Windenergie" sonst nicht genehmigt wird. Die Folge wäre, dass überall Windkraftanlagen gebaut werden dürften, auch an der Hangkante. Ich will in diesem Verfahren die Möglichkeit haben, mitreden und steuern zu können. Zudem weiß ich heute noch nicht, ob in den vorgesehenen Konzentrationszonen genug Wind weht. Das muss erst noch untersucht werden.

Bei der Kostenverteilung für die RNV-Bahnlinie 5 war sich jede Anrainerkommune wieder selbst die nächste - mit dem Nachteil für Schriesheim, dass der Zuschuss wieder anhand der Nutzzugkilometer berechnet wird. Warum haben Sie dem Gemeinderat in diesem Fall nicht mal ein Nein empfohlen?

Es hat sich ja etwas getan. Der Rhein-Neckar-Kreis sieht unsere überdurchschnittliche Belastung und gewährt eine höhere Bezuschussung. Außerdem muss man Lösungen auch im Kreistag durchsetzen können. Und hier gibt es Gremiumsmitglieder aus Gemeinden ohne einen guten Öffentlichen Personennahverkehr. Diese fragen sich dann womöglich, warum der Kreis uns überhaupt so hoch bezuschussen muss, sollten wir uns der neuen Kostenverteilung verweigern. Dann wären wir am Ende alle die Verlierer.

Aber eine Million Euro ist schon viel.

Ja, sicher. Zieht man den Zuschuss des Rhein-Neckar-Kreises ab, bleiben an der Stadt etwa 650.000 Euro an Finanzierungsbedarf hängen. Ein Stadtrat aus Ladenburg hat mir gesagt: "Wir wüssten nicht, wie wir das stemmen sollten." Daran alleine kann man die Dimension erkennen. Aber die Verträge sind jetzt bis 2023 beschlossen. Bei unserem Gespräch im Januar geht es "nur" darum, wie sich die RNV künftig entwickeln wird - zum Beispiel in Bezug auf Unterhaltungen und die Anschaffung neuer Züge.

Ein Diskussionsthema des Jahres war auch die geplante Flurneuordnung im Mergel. Inzwischen rücken selbst die Winzer von der großen Lösung ab. Wie sehen Sie es? Braucht Schriesheim eine 65 Hektar große Flurbereinigung?

Es geht hier nicht um eine Flurbereinigung, wie sie am Kuhberg durchgeführt wurde. Über eine Verkleinerung des Gebiets kann man sicher reden. Es soll nicht so sein, dass alle Reben herausgerissen werden. Dafür sind viele Weinberge in einem viel zu guten Zustand. Außerdem wäre es auch zu teuer. Ich möchte aber betonen, dass wir bei der Neuordnung und dem Ausbau des Wegesystems auf Zuschüsse des Landes angewiesen sind. Uns muss auch bewusst sein, dass das, was wir hier heute machen, Bestand hat. Wir investieren im Mergel nicht für uns, sondern für die nächste Generation und sichern so auch den Fortbestand des Weinbaus durch Nebenerwerbswinzer.

Können Sie nachvollziehen, dass gerade Schriesheimer Gastronomen den Zuschuss der Stadt für das Begegnungszentrum und Café "mittendrin" kritisch sehen?

Das "mittendrin" ist wertvoll und eine große Bereicherung für die Innenstadt und für ihre Belebung. Davon profitieren letztlich auch die Einzelhändler und Gastronomen. Zudem ist das Begegnungszentrum in erster Linie ein sozialer Treffpunkt und dient dem Austausch der Generationen, vom Baby bis zum Greis. Es besteht kein Zwang, etwas zu konsumieren. Hier können sich ganze Krabbelgruppen treffen, was in einer normalen Gaststätte so nicht möglich wäre. Ich bin froh, dass sich die Kirchengemeinden so engagieren und dass wir durch unseren Zuschuss dazu beitragen, dass das "mittendrin" ein Mehrgenerationenhaus werden kann.

Ihr Führungspersonal hat Sie gerade am Jahresende mehr beschäftigt, als Ihnen recht gewesen sein dürfte. Der Abschied von Stadtbaumeister Markus Foltin kam überraschend.

Sehr überraschend! Ich bedaure seinen Weggang sehr, die Gründe sind für mich jedoch nachvollziehbar.

Was wird im Bauamt liegen bleiben?

Im Moment gehen wir davon aus, dass wir unser Jahrespensum erfüllen. Viele Projekte sind ja auch schon eingetaktet und werden im Laufe des Jahres 2017 umgesetzt. Ich bin mir bewusst, dass das für die Bauamtsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter eine hohe Belastung und viele Anstrengungen bedeutet. Das ist eine große Herausforderung, der wir uns stellen. Ich bin mir sicher, dass wir auf das Geleistete in der Rückschau stolz sein können.

Haben Sie das angekündigte Gespräch mit Ortsvorsteher Herbert Kraus und Kämmerer Volker Arras schon geführt? Immerhin hat Kraus einen verwaltungsinternen Streit öffentlich gemacht und Arras vorgeworfen, dass dieser auch deshalb die Haushaltszahlen für Altenbach nicht rechtzeitig vorgelegt habe.

Das hat mich schon geärgert, dass die Auseinandersetzung öffentlich ausgetragen wurde. Es war aber kein Selbstzweck, den Herr Kraus verfolgt hat. Er wollte Altenbachs Interessen vertreten. Aber das tun wir doch alle! Uns allen liegt die Weiterentwicklung Altenbachs am Herzen, sowohl mir als auch dem Kämmerer. Vergleicht man Altenbach vor fünf Jahren mit heute, sieht man die enorme Entwicklung, die dieser Ortsteil genommen hat. Wir alle sollten zur Sacharbeit zurückkehren. Nächstes Jahr werde ich mit beiden reden.

Ihre Stellvertreterin hatte in ihrer "Weihnachtsrede" im Gemeinderat auch zahlreiche Jubiläen von Vereinen erwähnt. Zwei andere Jubiläen aber nicht: dass Sie nämlich zehn Jahre im Amt sind und dieses Jahr Ihren 60. Geburtstag feierten. Welches persönliche Jubiläum hat Sie mehr beschäftigt?

Mein 60. Geburtstag. Ich habe mir vorgenommen, dass ich mehr auf mich achten werde. Gesundheit war für mich glücklicherweise immer normal. Ich hatte nie größere Gebrechen. Heute lebe ich bewusster, treibe bewusster Sport, gehe zur Vorsorge und messe sogar mal meinen Blutdruck. Und ich merke jetzt mit 60 Jahren, dass mir die Meinung junger Leute immer wichtiger wird. Ich möchte ihnen zuhören, um zu wissen, was ihnen wichtig ist, was sie bewegt und was sie brauchen. Die nächsten 50 Jahre sind ihre Zukunft, das ist mir eine große Verpflichtung!

"Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen Flüchtlinge und Vertriebene. Sie damals zu integrieren und ihnen Unterkunft zu geben, war eine historische Aufgabe. Was wir heute erleben, hat für mich eine ähnliche Dimension", sagt Hansjörg Höfer. Fotos: Dorn

Der Schulbauprozess hat für den Bürgermeister trotz zahlreicher anderer Aufgaben weiterhin Priorität.

Lustig fand Bürgermeister Höfer die Frage, ob es auch für ihn gefühlt so ist, als gebe es den Branichtunnel schon immer.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung