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30.12.2016

Grüne Schriesheim: "Ich befürchte, der Schulbauprozess ist tot"

Grüne Schriesheim: "Ich befürchte, der Schulbauprozess ist tot"

RNZ-Jahresgespräche mit den Fraktionsvorsitzenden, heute: Christian Wolf (Grüne) - Er sieht in der Stadt "zu viele große Baustellen"

Über die Zukunft der Talstraße sagt Christian Wolf: "Es kann nicht sein, dass sich hier nach der Öffnung des Branichtunnels nichts verändert. Fußgängern und Radfahrern müssen bessere Möglichkeiten eingeräumt werden". Foto: Dorn

Von Carsten Blaue

Schriesheim. Die RNZ-Jahresgespräche mit den Fraktionsvorsitzenden im Gemeinderat beginnen heute mit Grünen-Sprecher Christian Wolf. Von Bürgermeister Hansjörg Höfer wünscht er sich "mehr Innovationen und Visionen" für die Stadtentwicklung. Den Schulbauprozess zur architektonischen Zukunft des Bildungszentrums sieht Wolf am Ende: "Er ist nur noch nicht öffentlich begraben worden."

Herr Wolf, Sie wohnen in Altenbach. Gehören Sie auch zu denjenigen, die durch den Branichtunnel ins Tal und auf der Talstraße zurück nach Altenbach fahren?

Ja, manchmal. Das ist ein Automatismus, der auch mir unterläuft. Gerade aus Richtung Dossenheim.

Haben Sie den Eindruck, dass der Verkehr auf der Altenbacher Hauptstraße durch den Tunnel zugenommen hat?

Nein, gefühlt ist das kaum mehr geworden, auch der Schwerlastverkehr nicht. Konkrete Zahlen haben wir allerdings noch nicht. Ein positiver Effekt ist auch, dass heute weniger Häuser in Altenbach leer stehen als früher. Der Tunnel ist schon eine tolle Sache für die Anbindung des vorderen Odenwalds an die Region.

Die Grünen haben sich schon vor Jahren öffentlich Gedanken über die Innenstadtentwicklung in der "Zeit mit Tunnel" gemacht. Vor allem über die Festplatzgestaltung. Warum hört man von Ihnen nichts mehr darüber?

Eine Bebauung vor dem Rathaus ist leider im Gemeinderat sehr umstritten. Doch hier könnten Leistungen angeboten werden, die der Innenstadt gut täten. Davon sind wir überzeugt.

Zum Beispiel?

Ein Kindergarten - als Ersatz für den Container-Kindergarten an der Schule, der eben auch die Eltern in die Innenstadt bringen würde. Städtebaulich wäre es ganz wichtig, den Kanzelbach zwischen Kanzelbachsteg und Wiesenweg zu öffnen und hier in Ost-West-Achse einen durchgehenden Fußweg zu schaffen. Dafür gäbe es sogar Zuschüsse über das Sanierungsprogramm hinaus.

Vor dem Hintergrund der vielen Aufgaben für die Stadt: Welche Priorität haben solche Projekte für Sie?

Die strukturelle Entwicklung der Stadt bleibt für uns ganz oben angesiedelt. Das gilt auch für die Talstraße. Es kann nicht sein, dass sich hier nach der Öffnung des Branichtunnels nichts verändert. Fußgängern und Radfahrern müssen bessere Möglichkeiten eingeräumt werden. Das ist schwierig, aber nicht unmöglich, denn bei Tunnelsperrungen muss ja wieder der ganze Verkehr durch die Talstraße.

Die Grünen haben sich auch der Flurneuordnung im Mergel mit einer öffentlichen Veranstaltung angenommen. Mit dem überraschenden Ergebnis, dass nicht mal mehr die Winzer Bedarf für die große Lösung anmelden. Wie machen Sie in dieser Sache weiter?

Wir wollen Winzer und Naturschützer im nächsten Jahr in kleinerem Rahmen an einen Tisch bekommen und gemeinsam besprechen, was für jede Seite unbedingt notwendig ist. Danach gehe ich davon aus, dass das geplante Gebiet für die Flurneuordnung deutlich kleiner wird.

Nicht durchsetzen konnten sich die Grünen mit ihrem Nein zur künftigen Bezuschussung der RNV-Bahnlinie 5. Hatten Sie gar keine Bedenken, dass Schriesheim bei einer Ablehnung noch schlechter wegkommen könnte?

Nein, das hätte Schriesheims Position gestärkt. Wir waren der Überzeugung, dass man weiterverhandeln wird, wenn der Gemeinderat die ungerechte Kostenverteilung zwei Mal ablehnt. Die Bahnen wären dann mit Sicherheit nicht an Schriesheim vorbei gefahren.

Wie bewerten Sie das Vorgehen der Verwaltung in Bezug auf die Anschlussunterbringung von Flüchtlingen?

Wir waren immer für eine dezentrale Unterbringung. Und heute sieht man, dass das auch geht. Wir sind zufrieden damit, wie die Stadt das löst. Mit Isabel Herschel gibt es in der Verwaltung eine Flüchtlingsbeauftragte. Dazu kommt der enorme ehrenamtliche Einsatz. Die Flüchtlingshilfe um Fadime Tuncer und Friedel Zinn ist ein Pfund. Insofern ist die Stadt vorbildlich aufgestellt. Wir hoffen sehr, dass die dezentrale Unterbringung auch künftig funktionieren wird. Die Bereitschaft dazu ist zumindest in weiten Teilen der Bevölkerung vorhanden.

Damit sind für die Stadt hohe Kosten verbunden. Dazu kommen Projekte wie der Bau zweier Kindergärten oder die Feuerwehrerweiterung. Selbst Bürgermeister Höfer hat in seiner Haushaltsrede kein Wort mehr über den Schulbauprozess für das Bildungszentrum verloren. Ist der Schulbauprozess am Ende?

Ich befürchte, der Schulbauprozess ist tot, er ist nur noch nicht öffentlich begraben worden. Von den Kosten her - bis zu 70 Millionen Euro - ist das für eine Stadt von der Größe Schriesheims einfach nicht machbar. Das ist sehr bedauerlich. Aber wir müssen das wohl akzeptieren und warten, bis es vielleicht vom Land mehr Geld für Schulsanierungen gibt. Und solange müssen notwendige Unterhaltungsmaßnahmen gemacht werden wie bisher. Aber es ist ja auch ein personelles Problem.

Wie meinen Sie das?

Die Stadt kann es auch personell kaum stemmen. In den Haushalt 2017 werden wir über drei Millionen Euro Haushaltsreste von 2016 übertragen. Das heißt: Wir konnten dieses Jahr bei Weitem nicht alles erledigen, was wir uns vorgenommen hatten. Also müssen wir es nächstes Jahr tun. Doch da warten im Haushalt schon wieder viele neue Projekte. Und so viel auf einmal kann man nicht leisten. Wir haben eigentlich zu viele große Baustellen, die wir so gar nicht alle bedienen können. Wir sind immer noch eine Kleinstadt. Das darf man nicht vergessen.

Im Januar wird sich eine Kommission unter Beteiligung des Gemeinderats der Neubesetzung der Bauamtsleitung widmen. Welche Qualifikationen muss der neue Stadtbaumeister oder die neue Stadtbaumeisterin mitbringen?

Kenntnisse in Stadtplanung und Hochbau sind wichtig. Aber auch Führungsqualitäten und eine gute Kommunikationsfähigkeit sind gefragt.

Nichts wird aus der grünen Idee eines Bestattungswaldes - zumindest nicht zwischen Altenbach und Wilhelmsfeld. Das ergab ein Bodengutachten. Ist das Thema damit durch?

In der Fraktionssprecherrunde hatten wir mit dem Bürgermeister gemeinsam vereinbart, dass das kein geeignetes Thema für die Weihnachtszeit ist. Wir werden es im Januar angehen. Daran möchte ich mich jetzt auch halten.

Für Ihre Fraktionskollegin und Erste Bürgermeisterstellvertreterin, Barbara Schenk-Zitsch, war die nötige Sperrung des Laubelt ein "Aufreger des Jahres". Auch für Sie?

Die Aggressivität, mit der hier versucht wurde, letztendlich Einzelinteressen durchzusetzen, war schon, sagen wir mal: bemerkenswert.

Als Fortschritt bewertete Schenk-Zitsch in ihrer "Weihnachtsansprache" im Gemeinderat, dass jetzt Photovoltaikanlagen auf Altstadtdächern erlaubt sind. Das dürften Sie ähnlich sehen...

Ja, für uns ist es natürlich ein Fortschritt, ein kleiner Beitrag zur Energiewende. Aber es wird sich sicherlich nicht um viele Dächer handeln. Deshalb muss man keine Angst haben, dass jetzt die ganze Altstadt damit zugepflastert wird.

Bürgermeister Höfer ist 2016 seit zehn Jahren im Amt. Wie bilanzieren Sie seine bisherige Amtszeit?

Schriesheim hat sich in den letzten zehn Jahren enorm entwickelt. Viele große Projekte haben wir gemeinsam vorangebracht - auch weil der Bürgermeister sich immer um Konsens im Gemeinderat bemüht. Wir würden uns allerdings mehr Innovationen und Visionen wünschen, gerade im Bereich der Stadtentwicklung.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung