Schriesheim im Bild 2023

24.01.2004

Der Henker eilte aus Weinheim herbei

Wie von Schriesheim aus im Mittelalter Recht gesprochen wurde - Gut besuchter Vortrag an authentischer Stätte: im Historischen Rathaus

Die Neuwieder Juristin Melanie Hägermann referierte im Historischen Rathaus, vor einer großen Schar geschichtsinteressierter Bürger über die Schriesheimer Zent, die Rechtssprechung des Mittelalters. Das Rathaus war früher sogar der Ort der Gerichtsverhandlungen.
Foto: Kreutzer


Schriesheim. (lue) Etwas mehr als 200 Jahre ist es jetzt her, dass Schriesheim als Gerichtsstandort von der Landkarte verschwunden ist. Seit 1476 war die Stadt als einer von vier Standorten in der rechtsrheinischen Kurpfalz Sitz der herrschaftlichen Gerichtsbarkeit, des sogenannten "Schriesheimer Zent". Mit dem Reichsdeputationshauptschluss wurde die rechtsrheinische Kurpfalz 1803 aber "badisch" und die Stadt verlor damit die zentrale Gerichtsstätte.

Dass das zugegebenermaßen ungewöhnliche Jubiläum auch im noch jungen Jahr auf großes Interesse stieß, zeigte ein Vortrag der Volkshochschule (VHS). Zum Thema "Von Freveltaidigung und Blutgericht - Die Zent Schriesheim in der kurpfälzischen Strafrechtsgeschichte" fanden sich so viele Zuhörer am Donnerstagabend im historischen Rathaus ein, dass kein Platz frei blieb. Mit Melanie Hägermann, promovierte Juristin aus Neuwied, die sich in ihrer Dissertation ausführlich mit der Strafgerichtsbarkeit in der Kurpfalz beschäftigte, hatte die VHS eine kompetente Referentin gewonnen. Im Laufe ihrer Studien gewann die 31-Jährige nicht nur einen hervorragenden Einblick in die Rechtsgeschichte der Region, sondern entwickelte, wie sie schmunzelnd anmerkte, auch eine "große Sympathie" für die mit Laien besetzten Gerichte.

Auch der Pranger am Historischen Rathaus war ein Züchtigungsmittel der historischen Rechtssprechung.

Im Spätmittelalter war die rechtsrheinische Kurpfalz in vier Zentgerichtsbezirke unterteilt. Die Zenten, als höchste ländliche Gerichte Ausdruck der Landesherrschaft, standen seit dem 13. Jahrhundert der Dorfgerichtsbarkeit gegenüber. Schriesheim, seit 1470 kurpfälzisch, unterstand zunächst dem "Sachsenheimer Zent" in Großsachsen. Erst mit der zunehmenden Ausdehnung des Gerichtsbezirkes nach Süden wechselte der Gerichtssitz in die Stadt. Von Lamperheim und Hemsbach im Norden bis nach Neuenheim im Norden erstreckte sich seit 1476 der Zuständigkeitsbereich. Sandhofen und Hilsenhain begrenzten den Schriesheimer Zent im Westen und Osten.

Die Zente waren als Laiengerichte, erläuterte Melanie Hägermann, "Ausdruck der ländlichen Gerichtsbarkeit". Die angeschlossenen Gemeinden entsandten jeweils einen Schöffen, meist dem Schultheiß der Ortes. Zeitweise umfasste der Schriesheimer Zent 14 Schöffen. "Beliebt" war das Schöffenamt aber nicht, war es doch mit vielen Entbehrungen und finanziellen Belastungen verbunden.

Die Vorhandlungen fanden öffentlich vor dem heutigen historischen Rathaus statt. Den Vorsitz führte ein vom Herrscher eingesetzter Beamter, der sogenannte Zentgraf. Dieser verkündete das von den Schöffen getroffene Urteil: Er brach den Stab über die Angeklagten. Mussten Todesurteile vollstreckt werden, geschah dies auf dem heute noch bekannten Galgenbuckel. Dafür musste aber eigens ein Henker aus Weinheim, der "Nachrichter", geholt werden.

Vor 1582 gab es keine deutliche Trennung zwischen den Rechtsgebieten und den Fragen der Zuständigkeit. Die historischen Quellen der Dörfer lassen erahnen, dass der Zent Schriesheim für Raub, Zauberei und Ketzerei, Mord und "Rugen und alle großen Frevel" zuständig war. Frevel, die eine Strafe über "10 Pfund Heller" erwarten ließen, wurden in Schriesheim verhandelt, darunter in den Dörfern. Als besonderer Streitfall zwischen der Kurpfalz und dem Bistum Worms galten jahrhundertelang Hemsbach und Laudenbach. Die Dorfherrschaft lag in Wormser Händen, die Zentherrschaft bei der Kurpfalz.

Die "Malefizordnung" und das "Zentweistum" von 1582 definierten als Folge der territorialpolitischen Streitigkeiten zwischen Worms und der Kurpfalz die Zuständigkeit des Schriesheimer Zents genauer. Eine Vielzahl von Delikten galt seither als zentpflichtig: Neben den bereits bekannten Straftaten Mord, Diebstahl, Frevel Ketzerei und Zauberei kamen auch Gotteslästerung, falsches Gewicht und Maß, Brandstiftung, Notzucht und Ehebruch dazu. Dies entsprach durchaus dem damaligen Zeitgeist. Die detaillierten Regelungen hatten nicht nur einen hoheitlichen Aspekt, sondern spiegelten auch den moralischen Anspruch wider. Die umfangreichen Gesetze galten als moralische Richtschnur des Regenten für seine Untertanen.

Die Verfahrenseinleitung erfolgte durch eine "Rüge" vor dem Dorfgericht. Dieses entschied dann, ob das Verfahren an das hoheitliche Zentgericht in Schriesheim weitergeleitet werden musste. "Die Freveltaidigungen" , das waren Delikte die mit einer Geldstrafe abgegolten werden konnten, wurden in regulären, meist quartalsmäßig stattfindenden Sitzungen verhandelt. Außerordentliche Versammlungen mussten bei sogenannten Blutgerichten, die sich mit Kapitaldelikten beschäftigten, einberufen werden.

Der Einfluss des neu eingerichteten "Heidelberger Oberamtes" auf die Rechtssprechung wurde aber immer größer. Die Untersuchung der Straftaten oblag fortan den Amtleuten aus Heidelberg, die Urteile mussten ihnen zur Genehmigung vorgelegt werden. Die zunehmende Formalisierung der Verfahren tat ihr übriges: die Delikte wurden von den Schultheißen im Frevelregister protokolliert, die Akten auf Kosten der Schöffen verschickt. Das Zentgericht verkümmerte mehr und mehr zu einer Instanz, das die Urteile aus Heidelberg abnicken musste. Endgültig zum "Ballast der Geschichte", schloss die Juristin ihren Vortag, wurde das Zentgericht mit dem Verschwinden der Kurpfalz von der territorialen Landkarte. 1803 hatten die Schriesheimer ihr Zentgericht verloren. Der neue Landesherr setzte auf einen effektiven und mit Fachleuten besetzten modernen Justiz- und Verwaltungsapparat.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung