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04.01.2018

Schriesheim: "Wir können die Betriebe hier nicht halten"

Heinz Kimmel (Freie Wähler) fordert im Jahresgespräch mehr Gewerbeflächen - Nein zur Verlegung weiterer Stolpersteine

Von Frederick Mersi

Schriesheim. In den Fensenbäumen, in der Carl-Benz-Straße, im Dossenheimer Weg und bald auch in der Talstraße kauft die Stadt Immobilien als Unterkünfte für Flüchtlinge und Menschen, deren Wohnungen zwangsgeräumt wurden. Im Jahresgespräch erklärt Heinz Kimmel, Fraktionschef der Freien Wähler, warum er das skeptisch sieht, warum Schriesheim mehr Gewerbeflächen braucht und warum seine Fraktion mehrheitlich gegen Stolpersteine ohne Zustimmung der Hausbesitzer votiert hat.

Herr Kimmel, im Juli haben Sie gesagt, dass Sie mit ein wenig Angst und Sorge auf den Kindergarten-Neubau in der Kurpfalzstraße schauen.
Dabei ging es um die Kosten. Wir sind gebrannte Kinder seit dem Hortneubau, was Kostenexplosionen angeht. Mal schauen, ob es im Fall des Kindergartens im Rahmen von vier Millionen Euro bleibt.

Die Angebote für die Rohbauarbeiten liegen deutlich über den geplanten Kosten. Ist Ihre Sorge jetzt größer geworden?
Die endgültigen Kosten kenne ich noch nicht, daher kann ich dazu im Moment nichts sagen.

Ist die hohe Nachfrage bei Baufirmen im Moment ein Problem, weil sie auch höhere Preise erlaubt?
Das sehen wir definitiv so, egal ob bei Maurer-, Zimmermann- oder Schlosserarbeiten. Alles ist im Moment etwas teurer, weil die Betriebe sich sagen: Wenn ich den Auftrag bekomme, ist das gut, wenn nicht, ist es auch in Ordnung.

Sind Sie trotzdem zuversichtlich, dass der Kostenrahmen beim Kindergarten-Neubau eingehalten werden kann?
Ich bin bei der aktuellen Planung zuversichtlich, weil wir mit dem Architekten eine klare Absprache getroffen haben, dass er darauf achten soll.

Ihr CDU-Kollege Michael Mittelstädt hat bei Bauprojekten die Kommunikation der Verwaltung als "stark verbesserungsbedürftig" bezeichnet. Wie sehen Sie das?
Da kann ich ihm nur beipflichten. Aber ich glaube, dass diese Botschaft inzwischen im Rathaus angekommen ist. Wir haben jetzt beim Treppenturm für einen zweiten Fluchtweg am VHS-Gebäude darauf gedrängt, dass wir erst einmal Angebote einholen, bevor wir einen Kostenrahmen festlegen. Als Gemeinderat wollen wir uns nicht zu schnell auf einen vorgeschlagenen Weg festlegen, das brauchen wir präziser.

Hat sich in diesem Bereich seit der Kostenexplosion beim Hortneubau etwas verbessert?
Die Verwaltung und das Bauamt achten schon genauer auf die Kosten, glaube ich. Wir hoffen, dass das Bauamt jetzt unter der Leitung von Markus Schäfer auch wieder ein bisschen Kontinuität bekommt. Herr Foltin war ja nur kurz da, danach war die Stelle vakant, und Herr Schäfer muss sich jetzt einarbeiten. Soweit ich das beurteilen kann, macht er seine Sache gut. Trotzdem hoffe ich, dass das im neuen Jahr etwas schneller geht.

Der Kindergarten-Neubau ist nur eine von vielen Investitionen in den kommenden Jahren. Irgendwie muss das finanziert werden. Warum wollten Sie die Erhöhung der Gewerbesteuer trotzdem nicht mittragen?
Bei der Klausurtagung hatten wir uns die Zahlen der Kämmerei noch angeschaut und nichts daran bemängelt. Bei der Beratung in der Fraktion haben wir dann aber beschlossen, dass wir die Grundsteuer-Erhöhungen mittragen, aber eben nicht die Gewerbesteuer - obwohl ich persönlich von der Grundsteuer A viel mehr betroffen bin. Gewerbetreibende sind aber von einer Erhöhung aller Hebesätze doppelt betroffen: Sie haben neben ihrem Betrieb in der Stadt meistens auch ein Grundstück oder eine Wohnung. Das wollten wir nicht.

Ihre Entscheidung stand also nach der Fraktionssitzung fest?
Ja, das war am Montag nach dem Wochenende mit der Klausurtagung. Da blieb für die Beratungen nicht allzu viel Zeit, der Beschluss sollte ja schon am Mittwoch gefällt werden.

Blieb 2017 häufig wenig Zeit für Entscheidungen?
Bei vielen Themen wussten wir im Gemeinderat schon lange im Voraus, dass da was kommt. Aber bei den Bauprojekten kamen kurzfristig einige Überraschungen, auf die man reagieren musste.

Sie haben lange Zeit einen Gartenbaubetrieb geführt. Ist Schriesheim für Unternehmen attraktiv genug?
Nein, das habe ich auch schon in der Gemeinderatssitzung gesagt. Wir können die Betriebe hier nicht halten. Ich kenne selbst zwei Inhaber, die mit ihren Unternehmen aus der Stadt weggegangen sind, weil sie im Gewerbegebiet keinen Platz bekommen haben. Jetzt sehe ich die Gefahr, dass Betriebe, die in Schriesheim expandieren wollen oder aufgrund der Nachfrage erweitern müssen, dazu keine Chance haben. Die Stadt wollte deswegen das ehemalige Duscholux-Gelände anmieten und selbst vermarkten, aber dann hieß es meines Wissens immer, die würden das selbst machen. Wir als Freie Wähler würden das Gewerbegebiet gern Richtung Süden erweitern. Bei, laut Bürgermeister, 390 Euro Bodenwert pro Quadratmeter würde sich da zwar kein kleiner Schlosserbetrieb ansiedeln können. Aber auch wenn ich in dieser Sache kein Patentrezept habe, müsste man sich in Zukunft darüber unterhalten - vielleicht auch über ein neues Gewerbegebiet im Norden. Sonst sind wir am Schluss als Standort völlig abgehängt.

Diskutiert wird 2018 auf jeden Fall über ein Neubaugebiet südlich des Schlittwegs. Wie stehen Sie dazu?
Wir als Freie Wähler sind grundsätzlich dafür. Sonst wandern uns die Leute aus Schriesheim ab. Ilvesheim, Heddesheim, Ladenburg - viele Gemeinden in der Region weisen neue Baugebiete aus. Es ist klar, dass wir Wohnraum brauchen. Schriesheim kann ein weiteres Neubaugebiet vertragen, attraktiv genug ist die Stadt auch. Es fehlt in der Kinder- und Jugendbetreuung an nichts. Dafür stehen auch unsere Vereine, seien es sportliche oder kulturelle. Manche Seiten spielen aber jetzt schon mit dem Gedanken an bis zu 50 Prozent Flächenabzug (die dann der Gemeinde zur freien Verwendung zufallen würden, Anmerkung der Redaktion). Damit sind wir mit Sicherheit nicht einverstanden.

In den Kindergärten und Krippen ist die Zahl der belegten Plätze zuletzt zurückgegangen. Glauben Sie, dass junge Familien jetzt schon aus Schriesheim wegziehen?
Diese Sorge habe ich. In meinem Bekanntenkreis gibt es auch viele Leute, die mich da um Hilfe bitten. Was auf dem Markt zu finden ist, ist für junge Familien meistens viel zu teuer. In einem Neubaugebiet könnte man da etwas bereitstellen, ähnlich wie bei Solaris im Neubaugebiet Nord, auch wenn es natürlich nicht so aussehen muss. Da hat man mittlerweile zum Glück dazugelernt.

Um mehr junge Familien geht es auch bei der Bebauung von Altenbach-Süd. Der Investor, die Baugenossenschaft Familienheim Rhein-Neckar, hatte 15 Häuser geplant, erlaubt sind jetzt laut Bebauungsplan nur zwölf. Ist das ein Kompromiss, mit dem Sie leben können?
Ich kann damit leben. Wir als Freie Wähler hatten uns im Gemeinderat aber hinter den mehrheitlichen Beschluss des Ortschaftsrates für 15 Häuser gestellt. Von der Fläche her würde das gehen, man braucht dort keine Grundstücke mit 700 Quadratmetern. Natürlich gibt es in Altenbach auch alte Häuser, die gekauft werden könnten. Vielleicht sind die für junge Familien zu teuer, ich weiß es nicht. Aber neue Einfamilienhäuser würden sicher helfen.

Der Investor hat nach dem Gemeinderatsbeschluss davor gewarnt, dass bei weniger Häusern die Preise steigen. Teilen Sie diese Bedenken?
Mehr Häuser wären sicher günstiger. Ich hoffe natürlich, dass niedrigere Preise dann auch an die Käufer weitergegeben würden. Da muss ich dem Investor Glauben schenken.

Die SPD hat gleich ein Vorkaufsrecht für mindestens ein Haus vorgeschlagen. Eine gute Idee?
Da können wir mitgehen, das macht ja nichts kaputt. Wir müssen das nicht unbedingt wahrnehmen, aber ich denke, die Familienheim ist dafür offen, wenn wir als Stadt den entsprechenden Preis bezahlen.

Sind Sie grundsätzlich froh, dass die Stadt wieder mehr Immobilien kauft und anmietet?
Da bin ich zwiegespalten. Ich frage mich vor allem, ob wir das Personal haben, um diese Gebäude dann auch zu unterhalten. Das bereitet mir Kopfschmerzen. Vom Grundsatz her ist das eigentlich eine gute Sache, um Menschen ein Dach über dem Kopf zu bieten. Aber meine Sorge ist, dass diese Immobilien über die Jahre hinweg vielleicht vernachlässigt werden, was die Sauberkeit und Instandhaltung angeht. Das bringt Folgekosten mit sich.

Skeptisch waren die Freien Wähler auch bei der Entscheidung des Gemeinderats, Stolpersteine künftig auch ohne Zustimmung der Hausbesitzer verlegen zu lassen. Warum?
Wir haben mehrheitlich dagegen gestimmt, weil einige dieser Hauseigentümer auf uns zugekommen sind, und gesagt haben, dass sie diese Stolpersteine vor ihren Häusern nicht wollen. Das hat nichts mit Judenhass oder Antisemitismus zu tun. Viele Besitzer wissen um die Vergangenheit ihres Hauses, aber sie wollen nicht jeden Tag vor ihrer Tür daran erinnert werden.

Also waren für Sie die Interessen der Hauseigentümer wichtiger als das Ziel, für alle Schriesheimer Opfer des NS-Regimes einen Stolperstein zu verlegen?
Ja, so ist es.

Worauf freuen Sie sich 2018?
Darauf, dass das leidige Thema Schülerhort hoffentlich mal erledigt ist und dass wir das Schulzentrum endlich mal sanieren. Die Verwaltung wollte das Gymnasium zuerst angehen, aber wir haben als Gemeinderat gefordert, dass jede Schule gleich behandelt wird.

Wird das auch die größte Herausforderung?
Das kann ich mir schon vorstellen. Dazu kommen die Straßensanierungen, besonders in der Talstraße mit den beiden Brücken. Das muss 2018 geplant werden.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung