Schriesheim im Bild 2023

30.03.2018

FSJ im Schriesheimer "Stammberg": "Altenheime können sich bei uns nur die Reichen leisten"

Junge Frauen aus aller Welt absolvieren ein Freiwilliges Soziales Jahr - Die RNZ besuchte sie

Von Marco Partner

Schriesheim. Am Anfang hat sich Kristina Nepali noch gar nicht ausgekannt. Die Sprache fremd, die Kultur unvertraut, die Straßen und Menschen völlig unbekannt. Vor zwei Jahren startete die Nepalesin ihr Deutschland-Abenteuer als Au-pair-Mädchen in Berlin. "Aber ich hatte zu Beginn einige Probleme. Nicht nur mit der Sprache, auch das Essen und die Kleidung waren völlig neu für mich." Inzwischen hat die 25-Jährige ihren Kulturschock längst verdaut. Nach Zwischenstationen in Stuttgart und Biblis absolviert sie ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) in der Altenhilfe im "Stammberg". So wie sechs andere junge Menschen aus den verschiedensten Teilen der Welt.

Sie kommen aus China, Indien, Nepal, der Ukraine, Kenia oder Bolivien. In Schriesheim lernen sie aus erster Hand, was es bedeutet, als Altenpfleger in Deutschland tätig zu sein. "Zunächst kamen die meisten ohne festes Ausbildungsziel. Aber es hat ihnen so viel Spaß gemacht, dass nun viele die Absicht haben, einen Pflegeberuf zu erlernen", erklärt Heimleiter Michael Meisel.

Seit drei Jahren bietet das Alten- und Pflegeheim im Tal die sozialen Freiwilligendienste an. Eigentlich waren die FSJ-Stellen nur deutschlandweit ausgeschrieben. Doch es meldete sich niemand. Über das Diakonische Werk Baden und Via e.V. wurde man im Ausland fündig. Seitdem sind die FSJ’ler aus Südamerika, Asien und Osteuropa, von denen einige im Anschluss tatsächlich eine Ausbildung zum Altenpfleger absolvieren, kaum aus der Einrichtung wegzudenken.

"Altenheime - das können sich bei uns nur die reichen Menschen leisten. Den Beruf Altenpfleger gibt es so auch nicht", betont Anna Sokol. Die 21-Jährige ist im Westen der Ukraine aufgewachsen. Die Arbeit mit Menschen gefällt ihr."Und auch die Gegend hier. Der Wald und die frische Luft", verrät sie.

In Nepal dagegen gebe es überhaupt keine Seniorenheime, sagt Kristina Nepali. "Die Pflege und Betreuung übernimmt die Familie. Niemand wird allein gelassen", erklärt Nepali. Manche Menschen suchen im hohen Alter jedoch auch einen Tempel auf und versuchen, von Almosen zu leben. "Aber es gibt ohnehin wenig Senioren. Die Menschen sterben früher." Als Nepali zuletzt ihr Heimatdorf in der Chitwan-Region besuchte, pflegte sie ihre kranke Großmutter, die einen Schlaganfall erlitt. Und da es auch in Nepal immer mehr junge Menschen in die Großstädte und ins Ausland zieht, überlegt sie, im Land der Achttausender später einmal selbst eine Einrichtung für Senioren ins Leben zu rufen. Gebirgig ist auch die Heimat von Eteri Arachashvili.

Die 27-jährige Georgierin wird nach ihren FSJ-Erfahrungen im Oktober bei der Heidelberger Akademie für Gesundheitsberufe ihre Ausbildung zur Altenpflegerin beginnen. Bis dahin möchte sie aber noch fleißig ihr Deutsch verbessern. "Im Moment lese ich noch eher Kinderbücher", sagt sie lachend. Das "Haus Stammberg" bemüht sich deshalb, den Volontären Sprachkurse zu vermitteln. In Bildungsseminaren in Potsdam wie am Bodensee erfahren die Teilnehmer zudem viel über Politik und Lebensart ihres Gastlandes.

Dass man aber mit einem Freiwilligen Sozialen Jahr nicht nur Deutschland, sondern auch sich selbst besser kennenlernt, stellt Mariami Burnadze unter Beweis. Die 20-jährige Georgierin kam als Au-pair-Mädchen nach Fulda, seit September wohnt und arbeitet sie im Schriesheimer Tal. Zu Beginn sei es noch etwas schwer gewesen. "Vor allem den Altenbacher Dialekt zu verstehen", schmunzelt sie. "Mehr als ’Hallo’ und ’Ja’ konnte ich kaum sagen. Aber jetzt geht es." Die Stimme von Burnadze ist in der Altenhilfe inzwischen längst bekannt. Denn die Georgierin singt bei Festen wie der Adventsfeier gerne Volkslieder aus ihrer Heimat. Mit ihrer Schwester Tamta weiß sie zudem eine starke Verbündete an ihrer Seite. Heimweh habe sie manchmal schon. Aber dann kochen die Schwestern einfach georgische Gerichte wie Khachapuri (mit Ei überbackende Käsebrote) oder Khinkali (eine Art Maultasche).

Als Burnadze zuletzt in ihrer Heimatstadt Telawi war, habe sich etwas geändert: sie selbst. "Ich bin zu Hause eine andere Person, als Mädchen bekommst du in Georgien viele Aufgaben abgenommen", erklärt sie. In Deutschland habe sie dagegen gelernt, für sich selbst einzustehen. "Mein Charakter hat sich gewandelt. Ich traue mir mehr zu und bin selbstbewusster geworden." Nach ihrer Zeit im "Haus Stammberg" möchte sie Zahnmedizin oder Gynäkologie studieren. Aber nicht nur Heimleiter Meisel und Schwester Tamta, sondern auch viele Senioren wären wohl froh, wenn sie noch etwas bleibt.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung